Hau doch her, wenn du dich traust: Liam Gallagher nölt und schnarrt, weil Großbritannien ihn braucht.

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International hörte man von Liam Gallagher solo während der letzten Jahre zunehmend weniger. Die großen Hallen und Stadien wurden für ihn seit dem finalen Streit des Brüderpaars Noel und Liam Gallagher und dem Ende der britischen Pop-Superstars Oasis im Jahr 2009 jedenfalls nicht mehr gebucht.

Songschreiber Noel Gallagher durfte mit seinem Projekt High Flying Birds endlich eklektizistischer werden. Er liefert als wohlbestallter Multimillionär ab und zu interessantistische Alben ab, die niemanden besonders aufregen. Dank der regelmäßig eintrudelnden Tantiemen speziell für den alten Oasis-Hit Wonderwall, der mindestens einmal pro Abend in jeder Wirtsstube des britischen Königinnenreichs erklingt, hat man es auch nicht nötig, eine dicke Lippe zu riskieren.

Liam Gallagher zeigte sich als Sänger und gefeierte Frontfigur bei Oasis gegenüber musikalischen Experimenten immer verschlossen. Er versuchte nach dem Split unter dem neuen Namen Beady Eye die alte Tradition weiter unters Volk zu bringen. Zwischen den Beatles und den Rolling Stones als fixen Vorlagen entstanden mit ihm als leidlich talentiertem Songschreiber einmal mehr, sehr oft weniger beherzte Neudeutungen der britischen Popgeschichte. Dann war Schluss.

Liam Gallagher

Während der letzten Jahre rappelte sich Liam Gallagher allerdings solo langsam wieder hoch. Die Alben As You Were von 2017, Why Me? Why Not von 2019 und aktuell C’Mon You Know fügen der Geschichte von Oasis zwar keine neuen Ruhmesblätter hinzu. Immerhin aber verkaufen sie sich in England wie geschnitten Brot. Das dürfte auch daran liegen, dass Liam Gallagher nicht mehr versucht, selbst Lieder zu schreiben. Es reicht ja eigentlich auch schon fürs Leben, wenn man eines seiner Kinder ausgerechnet Lennon Gallagher tauft und dann darauf hofft, dass die Lendenfrucht nicht drogensüchtig, sondern nur ein Model für Gucci und Dings wird. Der Plan ist aufgegangen. Lennon hat eine eigene Band, verfolgt laut dem Vater aber eher komplizierter als Oasis-Songs umzusetzende Zielsetzungen. Tempo- und Rhythmuswechsel und so Zeug.

Ein Chor süßer Engel

Ausgerechnet zwei US-Musiker, Komponisten und Produzenten zeichnen nun dafür verantwortlich, dass der Britpop der Gallagher'schen Bauart uns noch lange erhalten bleibt. Andrew Wyatt und Greg Kurstin haben schon bei den Foo Fighters, Beck, Lady Gaga, Paul McCartney, Miley Cyrus oder Charli XCX ausgeholfen.

Das Album C'mon You Know startet gleich einmal mit bewährtem Material. Ein Kinderchor sorgt in More Power mit Engelsstimmen zu einer der kirchlichen Rhythmusmesse huldigenden Akustikgitarre dafür, dass Liam Gallagher gleich einmal seine Kernkompetenz ausüben kann. Dabei handelt es sich um einen altehrwürdigen Gastronomiebrauch der männerlastigen "lad culture". Man nennt ihn "fight picking": Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen (Hau doch her, wenn du dich traust!) gießt Liam schnarrend Hohn und Spott über sein Gegenüber: "The cut, it never really heals / Just enough to stop the bleed / People talkin’ like they’re gods, but that’s just not the deal". Die süßen Fratzen singen: "I wish I had more power." Das ist natürlich herrlicher Unsinn. Weil das Lied klingt wie You Can’t Always Get What You Want von den Rolling Stones, nennt Liam Gallagher das Kind beim Namen. Er sagt im Interview mit Mojo: "Basically, You Can’t Always Get What You Want." Ihm doch egal. Er schreibt das Zeug ja nicht.

Im New Musical Express meint Liam ergänzend: "Ich bin mit der Formel für meine Musik zufrieden. All die Leute, die etwas Neues probieren oder sich verändern wollen, fein für sie und all das. Wenn ich etwas mag, dann bleibe ich dabei."

Liam Gallagher

In Don’t Go Halfway oder Better Days schauen die Beatles in ihrer psychedelischen Phase vorbei. Statt Lucy In the Sky With Diamonds müssen es allerdings auch ein Joint und ein paar Gin und Tonics tun. Von den ursprünglichen Plänen, ein "Punkalbum" im Gedenken an Iggy Pop & The Stooges einzuspielen, sind möglicherweise nur das nicht soo gelungene I’m Free und der hämmernde Titeltrack übriggeblieben. In dem heißt es reichlich pfundig: "I had a girl, she gave me hell / In a flat in Camberwell."

Zu diesem Zeitpunkt geht einem die Stimme Liam Gallaghers schon ziemlich auf die Nerven. Der Mann ist kein Rocker, da hilft auch nicht ein Dave Grohl als Gast am Schlagzeug für den Song Everything's Electric.

Zwei Konzerte jetzt im Juni in Knebworth, einst die größte Triumphstätte von Oasis, waren mit jeweils 80.000 Besuchern innerhalb von Minuten ausverkauft. Liam Gallagher wird gut daran tun, auch einige alte Hits zu spielen. Wonderwall, Morning Glory und Champagne Supernova dürften auch den verfeindeten Bruder Noel freuen, wenn er den Kontostand abruft. Zusätzlich zu C’Mon You Know ist übrigens auch ein passables Livealbum von Liam Gallagher erschienen: Down by the River Thames. (Christian Schachinger, 30.5.2022)