Wenn einer als Verantwortlicher für 7er und 12-Zylinder groß geworden ist: Schmerzt das sehr, wenn man mit einem Elektro-SUV in Pension geht? "Gar nicht. Im Gegenteil", sagt Johann Kistler, Projektleiter iX und damit auch zuständig für die ultimative Hochleistungsversion mit dem Zusatz M60.

Nach dem i3 ist der iX der erste BMW auf einer reinen Elektroplattform. Da wird künftig noch mehr kommen. Anders als beim i3 wird das batteriebedingte Mehrgewicht aber nicht durch CFK-Karosserie kompensiert.
Foto: BMW

Dabei handelt es sich nicht um einen veralteten US-Kampfpanzer, sondern um die hochmoderne sportive Speerspitze eines reichlich ausgewachsenen Elektro-SUVs, der insofern als Solitär in der BMW-Welt auftritt, als er auf einer reinen E-Plattform aufbaut – anders als die anderen Baureihen, die noch auf Mischplattformen setzen, wie etwa jüngst 4er Gran Coupé/i4 und 7er/i7.

Mit nur einmal 35 Minuten laden bei Leipzig sei er mit dem iX von München zum Veranstaltungsort nach Berlin hochgefahren, ganz entspannt, er sei ein ausgemachter Fan von Auto und Antriebskonzept.

Gut, das ist jetzt vielleicht nicht die große Überraschung. Aber der berufliche Werdegang des sympathischen Bayern, der auf 44 Jahre Berufserfahrung bei BMW zurückblickt, dabei auch jahrelang für das Werk Dingolfing zuständig war und in der Kollegenschaft als einer geschätzt wurde und wird, der gut zuhören kann (und dann auf dieser Basis seine Entscheidungen trifft), skizziert recht gut, wie sich der weiß-blaue Laden in den vergangenen 15, 20 Jahren gewandelt hat.

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E-Mobilität also. Freude am Fahren sei weiterhin der Leitfaden, betont BMW bei jeder Gelegenheit, und ob und wie dessen Umsetzung gelingt, sehen wir uns am Beispiel iX M60 einmal kurz an.

Lenkung und Fahrwerk weitgehend unbeeindruckt

Zunächst die Rahmendaten. 4,95 Meter Elektro-SUV. Ein Schrank mit schlanken Leuchten und mächtiger Nierenfront, an der sich sowieso die Geister scheiden. Zwei stromerregte E-Motoren kommen zum Einsatz, vorn einer mit 190 kW, hinten einer mit 360, insgesamt sind 455 kW abrufbar – in alter "Währung" 619 PS, sechshundertneunzehn Pferdestärken –, und die 1015 Nm Drehmoment findet man sonst eher im Schwerverkehr, bei Lastwagen.

Die Batterie mit 105,2 kWh Nettokapazität wurde vom iX xDrive50 übernommen, sie soll für maximal 561 Kilometer Reichweite gut sein.

Die adaptive Zweiachs-Luftfederung und auch die Karosseriestruktur wurden eigens auf die neuen Leistungsparameter abgestimmt, und damit steigen wir in die Beobachtungen aus dem realen Fahralltag in und um Berlin ein, inklusive Herantasten an die Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h auf freier deutscher Autobahn.

241 km/h hatten wir schließlich auf dem Geschwindigkeitsmessgerät vulgo Tacho unweit des Scharmützelsees stehen, doch es zeigte sich: Wo Windgeräusche das Temponiveau akustisch dokumentieren, geben sich Lenkung und Fahrwerk weitgehend unbeeindruckt.

Im Sport-Modus begleitet einen dabei symphonischer Synthetiksound komponiert von Hans Zimmer, das wird auch im neuen i7 anzufinden sein. "Iconic Sound" haben die Marketingheinis diesen Sachverhalt neubayerisch benannt.

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In nur 3,8 Sekunden schleudert das M60-Katapult den 2659 kg schweren Brocken von null auf 100 km/h, Tesla-Adepten finden garantiert in ihrer Welt noch etwas Beeindruckenderes, tun sie immer.

Betrachtet man im Datenblatt Leergewicht und maximal zulässiges gesamtes, so ergeben sich aus 2659 und 3160 Kilogramm insgesamt 501 Zuladung. Rechnen wir vier Insassen mit im Schnitt 75 Kilo, bleiben noch 201 Kilo fürs reine Gepäck – sollte sich ausgehen, Hanteln und Goldbarren bleiben aber besser daheim.

E-Antriebs-Gehäuse aus Steyr

In Summe ist das ein mehr als beeindruckendes Technologiepaket, fährt sich, auch dank Hinterradlenkung, erstaunlich agil und wendig, aber ganz ehrlich? Es fehlt irgendwie die Seele. 50 Jahre ist BMWs Hochleistungsabteilung, die M GmbH, heuer alt, und es hat noch fast alles von denen gepasst. Von der schlichten Performance her auch der iX M60. Dennoch gewinnt man hier fast eher den Eindruck: M wie Marketing. Da ist der i4 M50 ein anderes Kaliber, dem haben sie reichlich M wie eMotionen mitgegeben.

Was uns weiters fehlt: ein echtes M-Lenkrad. Das von 40er und 50er Übernommene wirkt zu klobig. Und: BMW hat seit Jahren diese geniale Taste in der Mittelkonsole, mit der sich einige oder alle Assistenzsysteme deaktivieren lassen – jeweils farblich hinterlegt, da weiß man gleich Bescheid. Grün heißt: alles an, Orange: manches aus, ohne beleuchtetes Ringerl herum, nach drei Sekunden langem Drücken der Taste: alles weg. Aber was heißt hat: hatte, heißt es neuerdings, i4 und eben iX machen die Vorreiter, künftig entfällt dieser Knopf in allen BMWs.

Grafik: Der Standard

Mit dieser behördlich animierten Entscheidung tut der Hersteller sich und seiner Klientel nix Gutes. Jetzt musst du dich in vier, fünf Schritten vorkämpfen, um endlich zur Funktion zu gelangen, die den depperten Lenkeingriff an die Leine nimmt.

Dass BMW – was logisch wäre angesichts des "Freude am Fahren"-Mythos – weiters darauf verzichtet, die jeweils gewünschte Rekuperationsstufe zwischen (fast) Segeln und (fast) Einpedalbetrieb über Wippen am Lenkrad regeln zu lassen, wie andere das tun, hinterlässt ebenfalls ein Fragezeichen. Immerhin: Maximale Rekuperationsstufe findet sich in Getriebeposition B.

Ein Rufzeichen hingegen verdient der Umstand, dass der iDrive-Kontrolleur, dieser auch in Swarovski-Kristall-Ausprägung erhältliche Dreh-drück-Knopf, weiterhin im Bedienkonzept erhalten bleibt. Es ist schlicht das Weltbeste seiner Art.

Und apropos Swarovski: Der andere Österreich-Bezug sind die E-Motoren in V12-Wicklung. Nein, Unsinn. Das E-Antriebs-Gehäuse. Das nämlich stammt aus Österreich. Aus dem BMW-Motorenwerk in Steyr. (Andreas Stockinger, 31.5.2022)