Theater als dreidimensionale Pixellandschaft: Regisseurin Susanne Kennedy taucht Philip Glass’ Oper "Einstein on the Beach" in bunte Computerspielästhetik.

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Christopher Rüping und Necati Öziri krempeln den "Ring des Nibelungen" völlig um. Zu Wort kommen hier die, die sonst stumm gestellt bleiben: Zwerge, Riesen, Fremdarbeiter.

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Auch Produktionen des guten alten Stadttheaters gehören seit jeher zum Programm der Wiener Festwochen. Mit Susanne Kennedy und Christopher Rüping läuft in der dritten und vierten Festivalwoche die Speerspitze der deutschsprachigen Regiekunst in Wien ein. Kennedy und Rüping gehören zu einer mittelalten Regiegeneration, die mit exponierten Herangehensweisen das Theater neu erforscht.

Alle verfügbaren Lorbeeren haben sie dafür schon eingesackt, europäische Theaterpreise, Regietitel des Jahres, Einladungen zum Berliner Theatertreffen. In Wien haben sie noch nie gearbeitet, ein Versäumnis, dem die Festwochen (im Fall von Kennedy nicht zum ersten Mal) Rechnung tragen.

Kennedy und Rüping beschäftigen sich hier erstmals mit Opernstoffen, ohne aber Oper zu inszenieren oder das Theatergelände zu verlassen. Beide Zugriffe sind radikal. Jenseits dessen aber hören die inszenatorischen Gemeinsamkeiten auch schon auf. Geht es bei Kennedy stets um neue Mensch- und Weltentwürfe im digitalen Zeitalter, so rüttelt Rüping gemeinsam mit dem Autor Necati Öziri an einem hyperkanonischen Werk, Richard Wagners Der Ring des Nibelungen.

Heldenparts: gestrichen!

Der megalomane Opernzyklus wird in dieser am Schauspielhaus Zürich entstandenen Inszenierung vollends gegen den Strich gebürstet und einer umstürzlerischen Revision unterzogen. Eine Stimme erhalten all jene, die in den beherrschenden Machtverhältnissen sonst nie zu Wort kommen: der Zwerg Alberich, die Riesen Fafner und Fasolt, Brünhilde, Fricka, Erda. Die üblichen Heldenparts von Siegmund, Sieglinde, Siegfried, Gunther, Hagen: gestrichen!

Rüping geht immer aufs Ganze, und das auf jeweils neue Weise. Seine Bühnenarbeiten ähneln einander wenig, und doch sind sie stets wiedererkennbar, vor allem in der Souveränität der Schauspielerinnen und Schauspieler, die in ureigenen, von der Schauspielpersona nie ganz zu trennenden Extempores momenthaft den Abend an sich reißen. Ein solches Wunderwerk an kippfreudiger Darstellungskunst hat vor wenigen Tagen wieder einmal das Berliner Theatertreffen eröffnet: Das neue Leben, 2021 herausgekommen in Bochum. Entscheidend ist für Rüping immer, die vierte Wand zum Publikum zu durchbrechen – dieses abstimmen lassen, es direkt zu adressieren oder sich ihm, wie in der legendären zehnstündigen Aufführung von Dionysos Stadt (2018), mittels Stagediving zu übergeben.

Posthumaner Zuschnitt

Mit solch haptischer Kontaktaufnahme hat Susanne Kennedy nichts am Hut. Die Regisseurin ist seit ihrem Durchbruch mit Marieluise Fleißers Fegefeuer in Ingolstadt 2013 bekannt für aseptische Kunstlandschaften und entindividualisierte Kunstmenschen. Die Schauspielerinnen und Schauspieler stecken hinter Masken, ihre Stimmen kommen vom Band. Die pixelige Bildästhetik erinnert an Computerspiele und deren immersiven, hineinziehenden Charakter.

Das ergibt immense Schauwerte und insgesamt ein singuläres Theater von posthumanem Zuschnitt, das zwischen Schauspiel, Performance und Installation changiert. Die Oper Einstein on the Beach von Philip Glass, ein Klassiker der Minimal Music, passt gut zu diesem Futurismus. (Margarete Affenzeller, 30.5.2022)