Der steirische Autor Gerhard Roth (1942–2022) filtert die Welt durch das Gedächtnis einer "schizophrenen" Erzählerfigur: ein Abschied von unserer Zivilisation.

Foto: Hans Rauscher

Die Vorboten der Apokalypse sind wenig ansehnlich. Zuerst dominiert eine "eigelbe Wolkenformation" den Himmel über Klosterneuburg. Dann, ganz allmählich, breitet sich Nebel wie ein Teppich über die Welt. Der gelbe Dunst zeitigt einen verblüffenden, vaporisierenden Effekt. Er bringt einen Großteil der Menschheit restlos zum Verschwinden, und die Mehrzahl aller tierischen Lebewesen gleich mit.

Zurück lassen die Verdampften lediglich Schmuck und ihre Kleidungsstücke. Übrig bleibt in Die Imker, Gerhard Roths posthumem Roman vom stillen Menschheitsende, zudem ein handverlesenes Häufchen, eine Schar Versprengter. Die rekrutieren sich aus dem "Haus der Künstler", dem weltberühmten Refugium für "Art-brut"-Künstler in Gugging. Und weil der Wortführer dieses Romangespinstes "Franz Lindner" heißt, lässt sich die Brücke mühelos zurück in die 1980er-Jahre schlagen: zum gleichnamigen Helden in Roths Landläufiger Tod.

Schon in diesem exzentrischen Werk entzündete sich Roths Fantasie am Summen und Wimmeln der Bienen. Der damalige Franz war Imker-Kind, ein absichtsvoll Verstummter. Dieser Lindner brachte seinen Wahnsinn gegen die Verlogenheit der Mehrheitsgesellschaft wirkungsvoll in Stellung. Jetzt, rund 40 Jahre später, irrt besagte Figur durch eine leergefegte Welt. Nie dürfen sich die Leserin, der Leser sicher sein, ihnen würde reiner Wein eingeschenkt: von einer ehrbaren, verlässlichen Erzählinstanz.

Lindner ist weiterhin ein schizophren erkrankter Patient. Als solcher hantiert er höchst eigensinnig (und betont aufsässig) mit den Produkten seiner allerdings bemerkenswerten Einbildungskraft. Lindner huscht, in Begleitung weniger Davongekommener, durch ein menschenleeres Wien. Er kann es sich sogar leisten, im Kunsthistorischen Museum ein Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren abzuhängen: Die Jäger im Schnee.

Gemeinsam übrleben

Vor allem aber sieht sich das letzte Grüppchen Aufrechter, unter ihnen vornehmlich Nervenkranke, Pfleger und SOS-Kinderdorfkinder (!), genötigt, das gemeinsame Überleben zu organisieren, in einer offenen, dörflichen Struktur. Wie Echos aus der neueren Apokalyptik vernimmt man Anklänge an zwei andere Romane, in denen die Menschheit aufsehenerregend unspektakulär verschwunden war: Wittgensteins Mätresse (1988) des US-Amerikaners David Markson und Thomas Glavinics Die Arbeit der Nacht (2006).

Vielleicht ist aber auch alles halb so wild. Ein "Feldwebel" genannter Mann übt seine Rolle als Beschützer der Dorfgemeinschaft aus, indem er über der Siedlung Helikopterrunden dreht. Das Auftauchen anderer Überlebender und Versprengter bedeutet – unter den Bedingungen des Zivilisationsendes – die Androhung der eigenen Vernichtung. Es fallen bemerkenswert viele Schüsse in diesem Buch. Sie alle führen zur Auslöschung des Gegenübers: jeweils unter Hinterlassung eines kleinen Häufchens Kleider.

Gerhard Roth hat in Die Imker, kurz vor seinem Tod im Februar, die Quersumme seines Werks gezogen. Der Roman soll für einen Wabenbau einstehen: Er steckt voller Kammern, in denen der süße Honig der Erzählkunst klebt. Wer sich an der Ziellosigkeit der Erzählrichtung nicht stört, der wird an den zahllosen Exkursen und gelehrten Essays, die Roth wie Pollen sammelt, seine helle Freude haben.

Die Figur Franz Lindner profitiert eindeutig vom Ende der Welt. Er liest eine afrikanische Kleinfamilie auf und findet mit der Hauptheldin zusammen. Er bewegt sich für die Dauer des Romans in einem Zwischenbereich: irgendwo zwischen Wachzustand und Traum. Lindner versteht sich auf die Zwiesprache mit Tieren. Er freundet sich mit Krähen an und verwandelt sich in eine flugfreudige Elster. Hündchen hören in dieser Kommune letzter Menschen auf den Namen "Gazpacho". An hohen Feiertagen sitzt der Rest vom Menschheitsfest in Klosterbibliotheken zusammen. Man genießt in trauter Gemeinschaft Filme des Gottsuchers Andrei Tarkowski. Oder man verreist via Kleinflugzeug nach Hamburg. Aber auch an der Alster herrscht Friedhofsruhe, die Reeperbahn ist tot.

Abbild der Gesellschaft

Gerhard Roths riesenhafte Meditation über das Abschiednehmen steckt voller irrwitziger Details. Es ist, als ob im gelben Dunst auch die Chance zur Selbstbesinnung läge. Man gewahrt ein verkleinertes Abbild der Gesellschaft. Elongiert und ausgemalt wurde dieses von einem Enzyklopädisten der Abweichung: Roths Poetik zwingt das scheinbar Entlegene glücklich zusammen. Und etwa alle fünfzig bis hundert Seiten unterstützt ein Aquarell von Erwin Wurm die eigene Vorstellungsgabe. Keine Kunst aus Gugging, in der Tat.

Seitenweise enthalten diese "Aufzeichnungen eines Nervenkranken" Sätze einer entfesselten Kombinationsgabe: "Das Kostüm der Ministerin erinnerte ihn an das Erbrochene von Schwänen." In einem solchen Satz ist mehr Weisheit enthalten, als Schulbildung es sich träumen lässt. Notwendiger denn je ist es geworden, Roth zu lesen: damit die Menschheit ihr eigenes Ende überlebt. An solchen Aussagen hätte Lindner, das Dichter-Alter-Ego, vermutlich seine verstohlene Freude gehabt. (Ronald Pohl, 31.5.2022)