Ein Genuss, für den man sich ausgiebig Zeit nehmen kann: Bei "Infini 1–18", einem zauberischen Parcours des Belgiers Jozef Wouters, tanzen Bilder und werden Dinge der Volkstheater-Maschinerie lebendig.

Foto: Phile Deprez

Wien ist eine Metropole mit bemerkenswerter Geistesgeschichte und war stets ein urbaner Schauraum erbitterter Kämpfe um, für und gegen Intelligenz. Zugleich gilt Wien als Mekka des Genusses und der Theatralität: Hier wird aufgetreten, indem man so tut, als trete man bloß ein, und intrigiert niemand wirklich gegen irgendwen, das aber bis aufs Messer. Offensichtliches wird virtuos mit größter Offenheit verschleiert, woraus wiederum die alte Passion der Wienerinnen und Wiener für das Drama resultiert.

Es ist, als hätte Jozef Wouters sein ebenso sinnliches wie essayistisch durchdachtes Antidrama Infini 1–18 extra für diese Stadt geschaffen. Aber nein, die Uraufführung der aufwendigen Arbeit fand 2016, als Infini 1–15, in Brüssel statt. Dort ist man ähnlich theaterbegeistert wie in Wien, wendet sich aber weniger rigide gegen Experimente.

Neue Maschinenspiele

Deswegen konnte Wouters mit seinem Dramaturgen Jeroen Peeters dieses dreieinhalbstündige Wagnis eines Theaters ohne Darsteller dort realisieren. Jozef Wouters war im Vorjahr bereits bei dem Festwochen-Laborformat Mitten zu Gast, und Peeters hat sogar schon in Wien gewohnt, als er zu Beginn der Nullerjahre kurzzeitig unter Intendantin Sigrid Gareis als Dramaturg im Tanzquartier arbeitete.

Dass Infini 1–18 aus 18 Teilen besteht, erschließt sich, ebenso wie das Konzept des Stücks, vom Titel her. Denn "Infini" ist im Französischen gleichbedeutend mit dem Bühnenprospekt als bildhafter hinterer Begrenzung der Theaterkulisse.

Stücke ohne Schauspieler haben eine beachtliche Geschichte: Erst 2021 hat der Schweizer François Grémaud sein Pièce sans acteurs vorgestellt. Und bereits vor 20 Jahren probierte der französische Choreograf Jérôme Bel an einem Spectacle sans acteurs herum, musste das Projekt aber fallen lassen.

Gelungen ist dann zum Beispiel 2009 im Tanzquartier Wien die Performance Evaporated Landscapes der dänischen Choreografin Mette Ingvartsen, in der Theaternebel, Schaum, Licht und Sound einen faszinierenden Tanz aufführten.

Choreografien für Kulissen

Die Geschichte reicht aber wesentlich weiter zurück: Der Futurist Giacomo Balla ließ 1917 im römischen Teatro Costanzi unter dem Titel Feu d’artifice ausschließlich geometrische Formen tanzen.

Jozef Wouters aber richtet seinen Blick noch um Etliches tiefer in die Vergangenheit und bezieht sich auf den italienischen Bühnenbildner, Feuerwerksgestalter und Trompe-l’œil-Spezialisten Giovanni Niccolò Servandoni aus dem 18. Jahrhundert, der für seine sogenannten Maschinenspiele bekannt war.

Er hatte versucht, das Bühnenbild und die Malerei vom "Joch der Poesie und des Tanzes" zu befreien, und Arbeiten geschaffen, die ausschließlich aus gemalten Landschaften und Kulissen bestanden.

Kurz gesagt: Wouters kann sich mit seinem Projekt auf historische Zusammenhänge berufen, wenn er zusammen mit den von ihm eingeladenen Künstlerinnen und Künstlern nun auch das Wiener Publikum zur magischen Szenografie-Séance ins Volkstheater einlädt.

Gezeigt werden Choreografien für Kulissen, sich wandelnde Bilder, Landschaften, Licht- und Videokompositionen oder Texte, und das alles getragen von einer ausgeklügelten Soundarchitektur.

Eine der Beteiligten ist übrigens Amanda Piña, die der Wiener Tanzszene angehört. Mit dabei sind auch Michiel Vandevelde, der jetzt am 11. und 12. Juni bei den Festwochen – ebenfalls im Volkstheater – sein Stück Joy 2022 vorstellt, und Begüm Erciyas, die im Vorjahr ihre Letters from Attica präsentiert hat. (Helmut Ploebst, 30.5.2022)