Die Maturantinnen und Maturanten konnten bei der Deutschmatura aus mehreren Aufgaben eine zur Bearbeitung wählen. Im Gastblog von Mati Randow ist seine Deutschmatura zu lesen, die mit einem Sehr gut benotet wurde.

Am 5. Mai fand die Deutschmatura statt.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Randow entschied sich für das Thema Meinungsrede: Sie halten im Jugendparlament vor jungen Erwachsenen sowie anwesenden Politikerinnen und Politikern eine Rede zur Zukunft der Demokratie, für die Sie auch einen passenden Titel formulieren. Lesen Sie den Ausschnitt aus dem Sachbuch "Die freundliche Revolution" (2018) von Philippe Narval.

Ein Anspruch auf Demokratie

Liebe Schülerinnen, Schüler, liebe Studierende, sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte heute mit Ihnen über Demokratie sprechen – genauer gesagt über die Zukunft unserer Demokratie. Das klingt vielleicht erst einmal nach einem abstrakten Thema, schlussendlich geht es aber um nichts anderes als die Frage, welche Ansprüche wir an die Gesellschaft, in der wir leben, stellen wollen.

Lassen Sie mich zunächst erörtern, wie wir eigentlich zu unserer heutigen Demokratie gekommen sind. Der Autor Philippe Narval beschreibt in seiner Schrift "Die freundliche Revolution" wichtige Schritte in der demokratischen Entwicklung des vergangenen Jahrhunderts. Es ist falsch zu glauben, die Demokratie sei vom Himmel gefallen. Als sie ursprünglich Monarchien und Diktaturen in Europa ersetzte, diente sie vor allem als Möglichkeit, mehr Menschen mit dem Wahlrecht zu privilegieren, gleichzeitig aber bestimmte Gruppen weiterhin zu exkludieren. Es darf nicht vergessen werden, dass Länder wie die Schweiz etwa das Frauenwahlrecht erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschlossen, die meisten unserer Großeltern haben das noch miterlebt. Der Ist-Stand der Demokratie ist vor allem den Unterdrückten zu verdanken, die jahrzehntelang gegen ihre Unterdrücker ankämpften und aufbegehrten.

Wir werden uns aber auch dabei einig sein, dass unsere Demokratie noch lange nicht ihr Endstadium erreicht hat, dass sie immer mehr mit Herausforderungen konfrontiert wird, die sie bedrohen. Seitdem in Österreich das allgemeine Wahlrecht ab 16 gilt, hat eine demokratische Resignation eingesetzt, zunächst bei den Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträgern, in der Folge auch bei den Bürgerinnen und Bürgern – Stichwort "Die Politik vertritt mich nicht" und "Ich mache sowieso keinen Unterschied". Die von Politikerinnen und Politikern ausgestrahlte Selbstverständlichkeit der Demokratie hat sich mehr und mehr von der Realität entfernt. Demokratie wird nicht als ständiges Projekt verstanden, sondern schlicht als gesellschaftliche Zustandsbeschreibung. Die Gefahr dessen zeigt sich gerade dort, wo antidemokratische Politikerinnen und Politiker zum Zug kommen und lange erkämpfte Errungenschaften wie Gewaltenteilung, Grund- und Freiheitsrechte binnen weniger Jahre abschaffen, weil sie niemand daran hindern kann. Auch Österreich ist von dieser Entwicklung nicht ausgenommen.

Qualitätsvolle Beteiligungskultur

Wir müssen das demokratische Projekt konsequenter verfolgen, uns ehrlich darum bemühen. Ich erwähne noch einmal Philippe Narval, der eine "qualitätsvolle Beteiligungskultur", die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in Entscheidungsfindung auch abseits von Wahlen, fordert. Er meint, wenn die Bevölkerung an Prozessen teilhaben kann und lernt, Kompromisse zu finden, wird auch ein Ausbrechen aus digitalen Echokammern wieder möglich. Ich möchte ihm dabei nicht widersprechen. Doch auch er verfällt dem Irrglauben, Demokratie nur der Zeit anpassen zu müssen, während ein grundlegendes Problem weiter besteht: Die heutige Demokratie vertritt viele von uns wirklich nicht.

Jeder Versuch, ein Demokratiebewusstsein zu schaffen, scheitert, wenn es keine echte Demokratie gibt. Als Schülerinnen und Schüler haben wir etwa eine gesetzlich verankerte offizielle Vertretung auf Landes- und Bundesebene, die 99 Prozent von uns nicht wählen dürfen. So entscheiden pro Bundesland drei Personen darüber, wer Bundesschulsprecherin oder Bundesschulsprecher wird und ein Jahr lang im Namen aller 1,1 Millionen Schülerinnen und Schüler sprechen darf. Wie sollen wir Demokratie als Voraussetzung für unser Zusammenleben begreifen, wenn wir von vornherein von ihr ausgeschlossen werden? Wo kein Wahlrecht, da auch kein Bewusstsein.

Auch bei den Wahlen zum Nationalrat, zu Landtagen und Co wird einem immer größer werdenden Teil unserer Gesellschaft sein Recht auf Mitbestimmung verwehrt. All jene, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, haben keinerlei Einfluss auf das politische Geschehen in unserem Land. Das ist eine wahre Spaltung. Nun wird aber weder der Zugang zur Staatsbürgerschaft erleichtert noch das Wahlrecht ausgeweitet. Denn dieselben Parteien, deren Macht durch undemokratische Strukturen ermöglicht wurde, verhindern es, diese Strukturen zu verändern. Sie befürchten, ihr Einfluss könnte sonst schwinden – eine demokratiepolitische Bankrotterklärung.

Wenn es möglich ist, ganze Teile der Bevölkerung aus reinem Eigeninteresse von ihrem Wahlrecht auszuschließen, wird die Demokratie auch in den nächsten Jahrzehnten nur wenige begeistern. Aber diese Begeisterung brauchen wir. So möchte ich zum Schluss einen Appell an Sie und euch richten: Lassen wir das nicht länger mit uns machen. Strömen wir in demokratische Prozesse, sorgen wir dafür, dass es sich nicht mehr ausgeht, uns auszuschließen. Definieren und vertreten wir unser Ziel – eine selbstbestimmte, repräsentative und demokratische Zukunft. Zeigen wir, dass wir gemeinsam doch einen Unterschied machen können. Stellen wir endlich einen Anspruch auf Demokratie. (Mati Randow, 9.6.2022)