Wenn man sich gesünder einschätzt, als man tatsächlich ist, werden Vorsorgeuntersuchungen eher vermieden. Das stellt ein Gesundheitsrisiko dar.
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Neigt eine Person zur Hypochondrie, ist das oft eine Belastung: Schon leichte Symptome können große Sorgen verursachen, und zur Sicherheit werden mehr Arzttermine gemacht als nötig. Doch gerade in höherem Alter können Menschen, die in dieser Hinsicht zumindest etwas vorsichtiger sind, einen Vorteil haben gegenüber jenen, die ihre Gesundheit eher überschätzen, wie es in einer aktuellen Studie heißt.

Dafür wertete Sonja Spitzer vom Institut für Demographie der Universität Wien gemeinsam mit Mujaheed Shaikh von der Berliner Hertie School die Daten von 80.000 Europäerinnen und Europäern aus, die über 50 Jahre alt sind. Dafür mussten diese ihre eigene Gesundheit einschätzen, etwa in Sachen Erinnerungsfähigkeit und Mobilität, was kurz darauf auf die Probe gestellt wurde. Beispielsweise mussten sie angeben, ob sie nach langem Sitzen Probleme mit dem Aufstehen hätten. Wenn ein Proband im Verlauf des Tests tatsächlich Schwierigkeiten hatte, sich von seinem Sessel zu erheben, wurde dies ebenfalls vermerkt und mit der Einschätzung verglichen.

Keine Vorsorge auslassen

Dabei stellte das Forschungsteam fest: Mit 79 Prozent hatten die meisten eine realistische Vorstellung von ihren Fähigkeiten. Zehn Prozent unterschätzten sich, elf Prozent neigten zur Überschätzung. Weiters wurden diese Angaben etwa damit verglichen, wie häufig jemand zur Hausärztin oder zum Hausarzt geht. Wer seine Gesundheit im Versuch eher überschätzte, hatte um 17 Prozent weniger allgemeinärztliche Termine als Testpersonen, die ihre Fähigkeiten richtig bewerteten. Ähnlich sieht es bei Zahnarztbesuchen aus.

Dies kann eine gesundheitliche Gefahr mit sich bringen – etwa wenn bei den Betroffenen in der Folge schwere Erkrankungen zu spät erkannt werden, um sie gut behandeln zu können, weil sie zum Beispiel Vorsorgeuntersuchungen vermeiden, legt das Forschungsteam im Fachblatt "Journal of the Economics of Ageing" dar.

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die ihre körperlichen Fähigkeiten und ihren Gesundheitszustand unterschätzen. Sie lassen sich um 21 Prozent häufiger ärztlich kontrollieren als die Gruppe der Realistinnen und Realisten. Die regelmäßigen Checks können dafür sorgen, dass sie länger fit und gesund sind als andere. Sie bergen lediglich den Nachteil, dass vermeidbare Arzttermine zusätzliche Kosten verursachen – und in einer alternden Gesellschaft kommt es hier generell zu höheren Ausgaben.

Bildung, Region und Onlinesuche

Wer seine Fähigkeiten und Voraussetzungen überschätzt, ist aber nicht nur gefährdet, weil Untersuchungen eher vermieden werden. Generell haben diese Personen ein höheres gesundheitliches Risiko – weil sie wagemutiger sind, öfter Unfälle verursachen, weniger schlafen und sich ungesünder ernähren. Neben dem persönlichen Charakter gibt es auch weitere Faktoren, die statistisch mit der Wahrnehmung der Gesundheit zusammenhängen, wie Spitzer in einer früheren Studie feststellte.

Generell neigen ältere Menschen eher zur Überschätzung – eine Tendenz, die sich auch für die Bevölkerung von Südeuropa abgezeichnet hat. In Zentral- und Osteuropa hingegen unterschätzen viele ihre Verfassung. Zudem ist die Einschätzung realistischer, je höher der Bildungsgrad einer Person ist. Daher plädierten die beteiligten Forscherinnen schon damals dafür, die Gesundheitskompetenzen zu verbessern. Dabei wäre es wohl vorteilhaft, auch an der Medienkompetenz zu arbeiten, zumal viele Menschen "Doktor Google" befragen. Eine deutsche Studie zeigte: Wer online die eigenen Symptome abcheckt, fühlt sich oft gesünder, als er oder sie eigentlich ist. (sic, 31.5.2022)