Die Informatikerin Ivona Brandić schreibt im Gastblog, welchen Beitrag künstliche Intelligenz im Straßenverkehr und bei der Klimakrise leisten kann.

Es gibt kaum einen Bereich in unserem Leben, der nicht komplett durch die Digitalisierung beeinflusst wird. Gesundheit, smart factories, smart power grid, intelligente Transportmittel sind nur einige der Sektoren, die immens davon betroffen sind. Eine der wichtigsten Auswirkungen ist der zunehmende, eigentlich exponentiell steigende Energieverbrauch für die gesamten Informations- und Telekommunikationsinfrastrukturen (IKT). Rechenzentren verbrauchen derzeit ein Prozent des weltweit erzeugten Stroms. Ein Modell sagt sogar voraus, dass, wenn die Kinder, die heute geboren werden, Teenager sind, IKT circa 20 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs ausmachen werden1.

In Hinblick auf den Energieverbrauch hat künstliche Intelligenz (KI) eine besondere Bedeutung. Einerseits kann sie dafür benutzt werden, unser Leben komplett zu revolutionieren, Stichwort: selbstfahrende Autos oder Virtual Reality. Andererseits benötigt KI selbst sehr viel Strom, um trainiert und ausgeführt zu werden. Forscher haben herausgefunden, dass wir für das Trainieren eines einzigen KI-Modells die gleichen CO2-Emissionen erzeugen wie fünf Autos in ihrem gesamten Nutzungszeitraum, von der Produktion bis zur Verschrottung.

Keine Frage, vieles ist kontrovers im Bereich der KI, alleine der Begriff ist sehr weit und ohne klare Abgrenzung. Vieles ist (noch) Zukunftsmusik. Vieles bedarf rechtlicher und ethischer Abklärung. Wen soll ein selbstfahrendes Auto überfahren, wenn es nur zwei Optionen gibt: einen Rollstuhlfahrer oder ein Kind? Viele ähnliche unentscheidbare Probleme limitieren den Einsatz von KI. Es gibt aber erstaunlich viele Bereiche, wo KI schon sehr gut funktioniert und unser Leben verbessern oder sogar Leben retten kann. Und umso wichtiger ist es, darüber zu reden und diese Bereiche aufzuzeigen.

Intelligente Ampeln

Derzeit sterben leider immer noch sehr viele Menschen auf der Straße durch diverse Verkehrsunfälle. Der Verkehr wird immer heterogener, mit vielen vulnerablen Gruppen wie Kindern und Fußgängern, die sich die gemeinsamen Flächen teilen. Alleine in Wien sterben jedes Jahr leider immer noch Kinder, weil sie an der Ampel – und insbesondere beim Rechtsabbiegen – übersehen werden. Ethische Fragen erübrigen sich hier. Jede Abhilfe, hier Leben zu retten, sollte ernsthaft in Betracht gezogen werden. Konventionelle Methoden wie Abbiegeassistenten funktionieren leider nicht einwandfrei, sonst würden diese viel breiter eingesetzt werden.

An der TU Wien haben wir in Kollaboration mit Magenta und Swarco und mit finanzieller Unterstützung der Stadt Wien eine experimentelle Ampel in Kombination mit 5G installiert2. Dabei wird eine Kreuzung aus der Vogelperspektive betrachtet. Dadurch können Objekte erkannt werden, die sonst aus der Fahrerperspektive oder aus der Perspektive eines Abbiegeassistenten (der auch am Fahrzeug befestigt wird) nicht erkannt werden. Die Ampel wird mit einer Kamera ergänzt, die eine unübersichtliche Gegend, zum Beispiel einen toten Winkel beim Abbiegen, überwacht. Direkt neben der Kamera ist ein Raspberry Pi – ein sehr kleiner, billiger Computer – installiert, auf dem eine Objekterkennungssoftware läuft. Die Software ist so trainiert, dass Menschen, Kinder und Tiere in Bruchteilen von Sekunden erkannt werden können. Erkannte Objekte werden über 5G und weitere Protokolle an die 5G-fähigen Geräte in der Umgebung übermittelt und auf dem Smartphone visualisiert. Die entwickelte App kann in Kombination mit Google Maps genutzt werden, um an unübersichtlichen Kreuzungen Menschen in Bruchteilen von Sekunden zu visualisieren und noch rechtzeitig den Fahrer oder die Fahrerin zu warnen, zum Beispiel durch ein akustisches Signal.

Aber was passiert mit den Daten? Weiß dann jede und jeder, dass ich am Tag X an der Kreuzung Y war? Nein. Die personenbezogenen Daten verlassen die Ampel nicht. Die Objekte werden nur auf der Strecke Kamera–Raspberry Pi übertragen und danach symbolisch ersetzt und anonymisiert.

Wird der Fahrer durch die zusätzliche App oder akustische Signale weiter verunsichert? Das wissen wir noch nicht – das müsste großflächig in Kollaboration mit Sozialwissenschaftern evaluiert werden.

Schematische Darstellung der intelligenten Ampel.
Foto: InTraSafEd 5G Projekt
Erkennung von Verkehrsteilnehmern, Google-Maps-Screenshot.
Foto: InTraSafEd 5G Projekt
Ampel und Innenleben der Ampel.
Foto: InTraSafEd 5G Projekt

Echtzeitüberwachung von natürlichen Ressourcen

Wasser aus Flüssen wird für sehr viele Zwecke im industriellen Bereich genutzt: Kühlung, Reinigung und diverse andere chemische Prozesse. Danach wird das gebrauchte Wasser in den Fluss zurückgeführt. Oft bleiben bestimmte Mikropartikel im Wasser zurück, die sehr schwer nachweisbar sind. Man kann sie nur dann finden, wenn man weiß, wonach man suchen muss. Viele Partikel sind krebserregend und können langfristig diverse Schäden anrichten, insbesondere in der Landwirtschaft durch die Bewässerung mit kontaminiertem Wasser.

In unserem EU-Projekt Swain entwickeln wir eine integrative Methode für die Früherkennung von schädlichen Mikropartikeln im Wasser. Damit das in Echtzeit funktioniert, wird basierend auf Eigenschaften wie Viskoelastizität ein digitales In-silico-Modell des Flusses erzeugt.

Integrative Früherkennung von schädlichen Mikropartikeln.
Foto: Projekt SWAIN

Sensoren können mit den neuartigen Internet-of-Things-(IoT-)Technologien in Verbindung mit KI eine schnellere und effizientere Früherkennung von schädlichen Mikropartikeln ermöglichen.

Projekt "Swain": Eine strategische Platzierung von Sensoren auf dem Ergene-Fluss in der Türkei ist notwendig für die Früherkennung von schädlichen Mikropartikeln.
Foto: TUBITAK project 115Y064

Können wir Leben retten mit KI? Ja, die ersten Ansätze zeigen sehr vielversprechende Methoden auf. Können wir die Klimakrise mit KI mildern? Nein, zumindest noch nicht, aber wir können damit sehr viel beitragen, um die Prozesse, die gerade stattfinden, aufzuzeigen und zu verstehen. Die Methoden, die derzeit im Swain-Projekt entwickelt werden, können auch in verschiedenen anderen Bereichen eingesetzt werden, zum Beispiel bei der Überwachung von auftauendem Permafrost. Letztendlich braucht es Willen, Mut und natürlich Geld, um solche Lösungen breitflächig einzusetzen und weiterzuentwickeln. (Ivona Brandić, 1.6.2022)