Immer noch eine Erscheinung: der 56-jährige Aramis Naglic, der einst gegen Jordan und Bird gespielt hat.

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Den BC Vienna coachte Naglic zu einer fast perfekten Saison: Cupsieg und Meistertitel bei lediglich fünf Niederlagen.

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Als Trainer führte Aramis Naglic den BC Vienna mit 32 Siegen und lediglich fünf Niederlagen zum Meistertitel in der Basketball-Superliga. Im Finale wurde Gmunden 3:1 besiegt. Der 56-jährige Kroate ist in seiner Heimat eine Basketballlegende, war schon auf größeren Bühnen unterwegs.

STANDARD: Sie haben als Spieler mit Jugoplastika Split dreimal den Europapokal der Landesmeister gewonnen, liefen 1992 bei den Olympischen Spielen in Barcelona für Kroatien gegen das US-Dream-Team auf. Seit einem Jahr sind Sie Trainer des BC Vienna in einem Basketballentwicklungsland. Welchen Eindruck haben Sie vom österreichischen Basketball?

Naglic: Es herrscht zu wenig Wettbewerb. Einige Teams verspüren keinen Druck, egal ob sie gewinnen oder verlieren. Aus der zweiten Liga drängen zu wenig Klubs nach oben. Die Vereine leisten einen tollen Beitrag für ihr soziales Umfeld, aber eine Professionalisierung findet nur sehr langsam statt. Es ist sehr gemütlich hier.

STANDARD: Der BC Vienna hat die Meisterschaft überlegen gewonnen. War es schwieriger, den Fokus zu behalten, als die Gegner auszuspielen? Wird Gewinnen irgendwann fad?

Naglic: Nein. Wir haben die höchsten Erwartungen an uns selbst. Viele Spieler in Österreich bewegen sich in einer Komfortzone. Wenn man aber höher hinaus will, dann tut es auch manchmal weh. Das ist eine Einstellungs-, eine Charaktersache.

STANDARD: War das immer Ihre Philosophie in Ihrer langen Basketballkarriere?

Naglic: Nur das Notwendigste zu tun, um erfolgreich zu sein, das war nie mein Zugang. Als ich anfing, in Jugoslawien Basketball zu spielen, gab es viel mehr Spieler, der Konkurrenzkampf und die Selektion waren härter. Heute musst du als Trainer froh sein, wenn du im Nachwuchs zehn Spieler im Training hast, und du darfst nicht zu streng sein, sonst laufen sie dir davon.

STANDARD: Ihnen lief der größte Verein im damaligen Jugoslawien nach.

Naglic: Meine Anfänge als Profi waren bei einem Zweitligisten in Rijeka, wo mein Vater im Management arbeitete. Damals war auch die zweite Liga in Jugoslawien sehr stark. 1988 bekam ich dann den Anruf von Jugoplastika Split, sie hatten gerade zum ersten Mal den Europapokal der Landesmeister geholt. Eine goldene Generation. Das waren die Beatles von Jugoslawien. Jeder kannte sie.

STANDARD: Basketball erlebte damals einen Boom am Balkan. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Naglic: Die Begeisterung ging los mit dem Gewinn des WM-Titels 1970. Wenn das Nationalteam spielte, war niemand auf der Straße, alle saßen vor ihren Fernsehern. Meine Idole waren Teamspieler wie Drazen Dalipagic oder Dragan Kicanovic. Wir waren jeden Tag im Freien und spielten bis es dunkel wurde, es gab keine Smartphones, nur zwei Fernsehsender. Es war eine gesündere Zeit für Kinder. Heute haben sie viel mehr Verpflichtungen, sind mit einer Informationsflut konfrontiert und bewegen sich viel weniger als früher.

STANDARD: Sie wurden in Rijeka geboren. Wie war das Aufwachsen im damaligen Jugoslawien?

Naglic: Ich hatte eine glückliche Kindheit, wir waren eine Mittelstandsfamilie, fuhren jedes Jahr auf Urlaub. Meine Eltern bezahlten mir neue Basketballschuhe, wenn ich welche brauchte. Wir gingen zu jedem Meisterschaftsspiel in Rijeka, und nachher imitierte ich am Freiplatz Spielszenen. Sauer war meine Mutter nur, wenn ich zu spät zum Abendessen heimkam.

STANDARD: Wovon Kinder im Basketball träumen, das haben Sie erlebt, 1992 bei den Olympischen Spielen in Barcelona in Duellen mit Michael Jordan, Larry Bird und Magic Johnson.

Naglic: Das sind Legenden. Und plötzlich bist du ihnen ganz nahe. Wir hatten in unseren Zimmern Poster von den NBA-Stars hängen, schauten ihre Highlights auf VHS-Kassetten. Einmal kam Larry Bird in die Halle, als wir trainierten. Er begrüßte unseren Center Stojko Vrankovic, der damals mit ihm bei den Boston Celtics spielte, und fragte, wer um ein Bier werfen will. Danko Cvjeticanin, einer unserer besten Werfer gewann gegen Bird, also spendierte ihm dieser ein Bier. Wir waren Europacupsieger und freuten uns trotzdem wie kleine Kinder, wenn wir mit Michael Jordan oder Magic Johnson in Berührung kamen.

Olympics

STANDARD: Kroatien verlor in der Vorrunde klarer als im Finale gegen das Dream-Team. Welche Erinnerungen haben Sie an die Partien?

Naglic: Im ersten Spiel wurde ich eingewechselt und von Larry Bird verteidigt. Ich dachte mir, super, weil Larry war alt, sein Rücken tat ihm schon länger weh. In meiner ersten Aktion konnte ich an ihm vorbeiziehen. Als ich zum Korb aufstieg, sah ich plötzlich einen Schatten von der Seite kommen. Es war Karl Malone, und er blockierte meinen Wurf in die zweite Reihe. Es war nicht mein erstes Spiel gegen NBA-Stars, bei den McDonald’s Open (ein internationales Turnier, bei dem der NBA-Champion bis ins Jahr 1999 gegen Meisterteams aus Europa und Südamerika spielte, Anm.) habe ich einmal gegen die Denver Nuggets 23 Punkte gemacht. Aber Barcelona und das Dream-Team, das war eine andere Bühne. Die Amerikaner waren Maschinen. Rebound, Gegenangriff, Rebound, Gegenangriff, so ging das die ganze Zeit in hohem Tempo. Es war fast unmöglich, Offensiv-Rebounds zu holen. Dabei waren wir keine kleine Mannschaft mit Vrankovic, Dino Radja oder Zan Tabak.

STANDARD: Toni Kukoc wurde 1990 von den Chicago Bulls gedrafted. Weil Manager Jerry Krause den Vertrag von Scottie Pippen nicht aufbessern wollte um Geld für die spätere Verpflichtung von Kukoc zu sparen (1993), nahmen Pippen und Jordan den Kroaten bei den olympischen Spielen besonders hart ran. War das spürbar?

Naglic: Absolut. Sie haben Toni richtig fertig gemacht im Vorrundenspiel. Aber er war mental ein so starker Spieler, hat das weggesteckt. Ich war sein Zimmerkollege, wir sind immer noch in Kontakt. Im Finale erzielte Kukoc 16 Punkte, neun Assists, fünf Rebounds und am wichtigsten: er gewann den Respekt von Michael Jordan.

STANDARD: Die Litauer machten nach ihrer Halbfinal-Niederlage gegen die USA noch auf dem Spielfeld Fotos mit den Amerikanern. Haben Sie Erinnerungsstücke?

Naglic: Leider besitze ich kaum Fotos von damals. Aber ich habe alle Erinnerungen in meinem Kopf gespeichert.

STANDARD: Das Dream-Team hat damals Trends vorweggenommen, das Spiel wurde schneller, hat sich den vergangenen Jahrzehnten rasant verändert.

Naglic: Der Dreipunktewurf wurde wichtiger, die Zeit für einen Angriff wurde von 30 auf 24 Sekunden verkürzt, es wird mit weniger Sperren, aber dafür mehr Bewegung ohne Ball gespielt. Blocken und Abrollen ist ein zentrales taktisches Element, das Spiel mit dem Rücken zum Korb in Ringnähe findet kaum mehr statt.

STANDARD: Wie hat sich der Trainerjob verändert?

Naglic: Taktisch ist das Spiel auf einem ganz anderen Level. Heute wird auch mehr mit den Spielern kommuniziert, du musst die Egos deiner Spieler streicheln, für gute Stimmung sorgen, damit sie härter arbeiten, als sie es vielleicht selbst wahrnehmen. Ich hatte härtere Trainer, das waren Autoritäten. Als Spieler sprach man damals kaum mit seinem Coach. Wenn dieser etwas sagte, war das Gesetz. Ich bin stolz auf meine Mannschaft, weil sie es geschafft hat, ihre Egos hintanzustellen. Du kannst nicht alle zufriedenstellen, aber im modernen Basketball gewinnst du nur mehr als Team. (Florian Vetter, 2.6.2022)