Ein bisschen mehr an Weiblichkeit geht immer.

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Was ist eine Frau? Was ein Mann? Mit der Bezeichnung "Mann" und "Frau" geht bekanntlich nicht nur eine nüchterne Feststellung eines bei der Geburt eines Kindes festgestellten biologischen Umstands einher. Stattdessen werden "weiblich" und "männlich" von zahllosen sozialen Erwartungen begleitet. In der Geschlechtertheorie wurde dies mit der Unterscheidung von sozialen und biologischem Geschlecht beschrieben. Beides muss bei Menschen nicht notwendigerweise übereinstimmen. Ist das aber der Fall – wie bei den meisten Menschen –, dann wird das als Cisgender beschrieben. Ein Baby wurde also etwa aufgrund der biologischen Geschlechtsmerkmale als "weiblich" ins Personenstandsregister eingetragen – und lebt auch als Mädchen und später als Frau.

Cis-Frau oder Cis-Mann beschreibt somit Menschen, bei denen die Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Sie sind zwar in der Mehrheit – aber bei weitem nicht die Einzigen. Darauf wollte Anfang der 1990er-Jahre der deutsche Sexualwissenschafter Volkmar Sigusch mit dem Begriff "zissexuell" hinweisen. Die lateinische Vorsilbe "cis" bedeutet auf Deutsch "diesseits", was er "trans" (transgender) gegenübersetzte und was "darüber hinaus" oder "jenseits von" bedeutet. Wer somit kein Cis-Mann oder keine Cis-Frau ist, ist beispielsweise transgender, nichtbinär, genderfluid, agender oder hat eine andere Geschlechtsidentität.

Unterschiede "natürlicher Art"?

Für die Geschlechtertheorie war die Unterscheidung zwischen sozialem und biologischem Geschlecht ein wichtiger Schritt, um zu zeigen, dass Hierarchien zwischen den Geschlechtern und somit diverse Unterschiede nicht "natürlich" sind. Dass ein Penis Menschen nicht per se dazu berechtigt, in der öffentlichen Sphäre zu agieren, und ein Uterus jemanden nicht notwendigerweise für jegliche Arbeiten innerhalb des Hauses qualifiziert – so wie das jahrtausendelang der Fall war.

Schon Simone de Beauvoir hat Ende der 1970er-Jahre mit ihrem vielzitierten Satz "Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es" darauf hingewiesen, dass jemand nicht einfach ein weibliches Geschlecht hat, sondern es durch bestimmte Verhaltensweisen erwerben muss. Judith Butler hat in den 1990er-Jahren ebenfalls auf die starke Interaktion zwischen Sprache und Geschlecht hingewiesen und darauf, dass Geschlecht immer wieder in sozialen Prozessen hergestellt werden muss – ein Prozess, der für Cisgender leichter ist, weil er den allgemeinen sozialen Erwartungen entspricht.

Cisgender und schwul

Mit Ausnahme allerdings der sexuellen Orientierung. Denn Cisgender bedeutet nicht, automatisch heterosexuell zu sein. Das führte immer wieder zu Kritik an dem Begriff, denn Cisgender wird auch im Sinne einer bewussten Wahrnehmung von Privilegien verwendet: Diese Geschlechteridentität muss nicht weiter erklärt werden, und wegen ihr muss man auch keine Diskriminierung fürchten. Doch auch lesbische, schwule und bisexuelle Menschen sind bis heute vielen Diskriminierungen ausgesetzt – obwohl sie Cis-Frauen oder Cis-Männer sind. (beaha, 1.6.2022)