In-vitro-Fleisch aus dem Labor könnte eine tierfreundliche und zugleich ökologisch nachhaltige Alternative zur Massentierhaltung sein.

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Das erste Fleischlaibchen aus In-vitro-Fleisch kostete 250.000 Euro und war in einem ethisch bedenklichen Medium aufgewachsen. Seitdem wird an kostengünstigeren und moralisch verträglicheren Methoden gearbeitet – unter anderem in Graz.

Rund 360 Millionen Tonnen Fleisch werden weltweit pro Jahr konsumiert, und mit einem Nachlassen der Nachfrage ist angesichts der wachsenden Weltbevölkerung nicht zu rechnen. Zwei Forscherinnen des Grazer Kompetenzzentrums Acib und der Technischen Universität Graz forschen an umwelt- und tierfreundlichem Ersatz.

Auch wenn Würstel, Faschiertes oder Laibchen auf Pflanzenbasis eine steigende Zahl von Anhängern verzeichnen: Echte Fleischtiger lassen sich davon gewöhnlich nicht überzeugen. Dafür weichen Aussehen, Konsistenz, Geruch und vor allem Geschmack der Fleischalternativen allzu merklich vom Original ab.

Eine Menge Nachteile

Dem deftigen Genuss stehen jedoch eine Menge Nachteile gegenüber: So kann hoher Fleischkonsum diverse Krankheiten wie Darmkrebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen verschlimmern oder gar verursachen. Nebenbei werden mehr als 70 Prozent aller hergestellten Antibiotika in der Tierzucht eingesetzt. Dazu kommt der Flächenbedarf für die Fleischproduktion: Rund zwei Drittel aller landwirtschaftlich genutzten Flächen der Erde stehen im Dienste der Tierhaltung, in erster Linie für die Futtermittelerzeugung.

Dazu stößt die Fleischproduktion ungefähr so viel Treibhausgase aus wie der gesamte Verkehrssektor. Und natürlich verursacht die Fleischlust massives Tierleid. Eine vielversprechende Alternative, die auch anspruchsvolle Gaumen überzeugen könnte, stellt In-vitro-Fleisch dar.

Dafür werden lebenden Tieren Stammzellen entnommen, die in einem entsprechenden Nährmedium mithilfe spezieller Proteine vermehrt werden. Auf diesem Wege wurde auch der 2013 in London präsentierte Burger des niederländischen Wissenschafters Mark Post hergestellt. Dass seine Herstellung rund 250.000 Euro gekostet hatte, lag unter anderem am hohen Preis des dafür nötigen Nährmediums, nämlich Kälberserum. Es handelt sich dabei um Serum, das aus dem Blut ungeborener Kälber erzeugt wird.

Moralisch umstritten

Da der Stoff mit einem Literpreis zwischen 400 und 800 Euro nicht nur sehr teuer, sondern aufgrund seiner Herstellung auch moralisch umstritten ist, beschäftigen sich mittlerweile viele Unternehmen und Forschungseinrichtungen – auch Posts Firma Mosa Meat – mit der Entwicklung tierfreier Nährlösungen.

Die Aufgabe dieser Nährmedien ist es, im Bioreaktor das Blut zu ersetzen, sprich: die Zellen mit den Stoffen zu versorgen, die sie für ihr Leben und vor allem auch ihre Vermehrung brauchen. Dabei sollen letztendlich Muskelfasern entstehen, die natürlichem Fleisch in Aussehen, Geschmack und Geruch so ähnlich wie möglich sind. Eine herausragende Rolle dabei spielen die Proteine Myoglobin und Hämoglobin, die außerdem eine wichtige Eisenquelle in Fleisch sind.

Der Molekularbiologin Aleksandra Fuchs und der Biotechnologin Viktorija Vidimce-Risteski vom Austrian Centre of Industrial Biotechnology (Acib) ist es nun gelungen, die beiden Eiweiße mithilfe von Hefen zu erzeugen, die für diese Aufgabe speziell ausgestattet werden: Dafür importieren die Forscherinnen das Gen, das in Tieren für Myo- oder Hämoglobin kodiert, in die Hefen und bringen sie so dazu, die tierischen Eiweiße zu erzeugen. Das ist nicht so abwegig, wie es für Laien klingen mag: "Hefen produzieren für sich selbst ja auch eisenbindende Proteine, nur eben andere", erklärt Vidimce-Risteski. "Wir erziehen sie nur dazu, tierische Proteine zu erzeugen."

Molekulare Kommunikation

Außerdem versuchen die Wissenschafterinnen, die Umgebung für ihre Zellkulturen so zu gestalten, "als hätten sie Sport gemacht", wie Fuchs erklärt. Zu diesem Zweck bringen sie Myokine in das Nährmedium ein. Das sind Botenstoffe, die von Muskeln bei Bewegung ausgeschüttet werden und die Zellteilung anregen. Gemeinsam mit der Hemmung eines Signalwegs, der das Muskelwachstum bremst, bringen die Myokine In-vitro-Muskelzellen dazu, sich zu vermehren. "Wir mischen uns in ihr Gespräch ein und kommunizieren mit ihnen auf molekularer Ebene", erläutert Vidimce-Risteski die Vorgänge bildlich.

Eigentümer des Acib sind die Universitäten Innsbruck und Graz, die TU Graz, die Universität für Bodenkultur Wien sowie Joanneum Research. Gefördert wird es im Rahmen des Comet-Programms der Forschungsförderungsgesellschaft FFG durch das Klimaministerium und das Digitalisierungsministerium sowie die Länder Steiermark, Wien, Niederösterreich und Tirol. Finanziert werden die Arbeiten der Wissenschafterinnen, die gleichzeitig am Institut für Molekulare Biotechnologie der Technischen Universität Graz forschen, zudem von der DFK-Privatstiftung zur Förderung synthetischer Fleisch- und Lederproduktion.

Die US-amerikanische Non-Profit-Organisation Good Food Institute ist ebenso Partner im Projekt. Das Ziel der Forscherinnen ist dabei nicht, Gewinn zu machen, wie sie betonen, sondern der Branche zu helfen, rascher Produkte auf den Markt zu bringen. Dementsprechend teilen sie ihre Ergebnisse auch bereitwillig mit anderen Forschungsinstitutionen und pflegen einen regen Austausch mit diesen.

Tierschonende Erzeugung

Das Fleisch, das letztendlich auf diesem Weg entstehen soll, braucht nur eine winzige Menge an Ausgangsmaterial, das noch dazu möglichst schonend vom lebenden Tier gewonnen wird. Zusätzlich verbraucht seine Herstellung deutlich weniger Fläche und verursacht kaum Treibhausgase.

Bleibt noch die Frage, ob es auch gegessen wird, wenn es einmal so weit ist: Laut einer Umfrage unter 521 Personen, die die Universität für Bodenkultur Wien 2021 durchführte, würden 67 Prozent der regelmäßigen Fleischesser und 19 Prozent der Vegetarier die In-vitro-Variante probieren. Bis zum ersten Steak aus dem Labor dürfte es noch eine Weile dauern, aber in Singapur gibt es bereits die ersten Chicken-Nuggets aus In-vitro-Fleisch und in Israel die ersten Chicken-Burger. (Susanne Strnadl, 4.6.2022)