Am 16. November 2021 bestritt die Ukraine zuletzt ein Pflichtspiel. Anfang Mai kam es zu einem Test gegen Borussia Mönchengladbach.

Foto: IMAGO/Jan Huebner

Trainer Oleksandr Petrakow bereitete sein Team 30 Tage lang in Slowenien vor.

Foto: IMAGO/Jan Huebner

Ein Lächeln, zumindest für ein paar Sekunden– ausgerechnet die Hoffnung auf eine Teilnahme an der Fußball-WM in Katar soll der Bevölkerung in der Ukraine in Kriegszeiten einen Moment der Freude bereiten. Zwei Siege braucht ihre Nationalmannschaft noch, um sich für die Endrunde im November zu qualifizieren.

"Wir bekommen ständig Nachrichten vonunseren Soldaten", sagte Mittelfeldspieler Taras Stepanenko: "Sie haben nur einen Auftrag für uns: Bitte macht alles, um zur WM zu kommen. "Die Ukraine tritt heute (20.45, DAZN) im Hampden Park zu Glasgow gegen Schottland an. Linksaußen Oleksandr Sintschenko, der sich vor einer Woche mit Manchester City zum englischen Meister krönte, spricht vom größten Spiel der Karriere.

"Ich zittere innerlich", sagte Sintschenko. "Es ist überhaupt nicht nötig, über Motivation zu reden." Die Voraussetzungen auf einen Sieg sind alles andere als ideal. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine habe er einen Monat lang nicht trainiert, sagte Stepanenko, der bei Schachtar Donezk unter Vertrag steht.

Er und seine Kollegen haben sich zuletzt 30 Tage im Trainingszentrum des slowenischen Verbandes in Brdo nahe Ljubljana vorbereitet. Seit November hatte die Ukraine kein Pflichtspiel mehr bestritten, immerhin gab es zuletzt Freundschaftsspiele gegen Borussia Mönchengladbach (2:1), Empoli (3:1) und Rijeka (1:1). Bei einem Sieg im Hampden Park würde am Sonntag ein Duell in Wales um das letzte europäische Ticket für die WM anstehen. Die Waliser hatten sich im März im Playoff-Halbfinale gegen Österreich mit 2:1 durchgesetzt.

Krim auf der Brust

Ebenfalls in Glasgow feierte die Ukraine vor knapp einem Jahr mit einem 2:1 über Schweden erstmals den Einzug in ein EM-Viertelfinale. Im Vorfeld der Euro 2021 sorgte das ukrainische Trikot in Russland für Empörung. Auf der Brust war eine Silhouette des Landes zu sehen, die auch die von Russland annektierte Krim zeigte. Der russische Verband legte Protest bei der Uefa ein, die Silhouette durfte bleiben. Der Schriftzug "Ehre unseren Helden", der am Kragen angebracht war, musste jedoch entfernt werden.

Nun träumt die ganze Ukraine von der WM-Teilnahme. Es wäre ein Hoffnungsschimmer in düsteren Zeiten. "Die Ukraine lebt noch", sagte Sintschenko, "sie wird kämpfen bis zum Ende. Dies ist unsere Mentalität. Wir geben niemals auf."

Die favorisierten Schotten, in der Weltrangliste zwölf Ränge hinter der Ukraine auf Platz 39, stecken in einer Zwickmühle. Sie haben einer Verlegung des Spiels auf Mittwoch zugestimmt. "Jeder will", sagte Kapitän Andrew Robertson vom FC Liverpool, "dass die Ukraine gewinnt. Wenn es ein anderes Land wäre, würde ich das auch wollen. Aber leider spielen sie jetzt gegen mein Land." Die Sympathien für den Gegner müssten deshalb beiseitegeschoben werden.

Die Schotten wären erstmals seit 1998 bei einer WM, die Ukrainer zum zweiten Mal nach 2006. Sintschenko und seine Mannschaftskollegen wissen, dass sie mehr denn je für ihr Land spielen. "Ich kann allen Ukrainern versprechen", sagte er, "dass jeder von uns alles geben wird, um das Spiel zu gewinnen, damit sie stolz auf uns sein können." Vielleicht, ergänzte er, könnten "wir ihnen so für ein paar Sekunden ein Lächeln schenken". (luza, sid, 1.6.2022)