Schanghai will seinen Wirtschaftsmotor wieder zum Brummen bringen. Ein großes Konjunkturpaket dürfte vorerst aber ausbleiben.

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Shanghai erwacht langsam aus einem zwei Monate langen Albtraum. Zwar dürfen noch immer Millionen Menschen ihre Wohnungen nicht verlassen und sind hunderttausende in Quarantäneeinrichtungen eingesperrt. Doch mehr und mehr Schanghaier dürfen wieder spazieren gehen oder sich die Haare schneiden lassen. Der wirtschaftliche Flurschaden aber wird jetzt offensichtlich.

Im Jangtse-Delta, einem der größten Wirtschaftszentren der Welt, standen die Fabriken wochenlang still. In einem Telefongespräch wies Premierminister Li Keqiang vergangene Woche rund 100.000 Kader darauf hin, dass das angepeilte Wachstumsziel von 5,5 Prozent dieses Jahr auf keinen Fall erreicht werden könne. Die Steuereinnahmen im Jangtse-Delta seien im April im Vergleich zum Vorjahresmonat um 30 Prozent eingebrochen. Es seien vielleicht "außerordentliche Maßnahmen nötig", um die chinesische Wirtschaft zu stabilisieren. Das weckt bei vielen Hoffnungen auf ein Konjunkturpaket wie im Jahr 2019.

Neues Konjunkturpaket

Damals rettete China die Weltwirtschaft. Die globale Konjunktur war am Boden, das Vertrauen in das Bankensystem durch die Lehman-Pleite erschüttert. Ein rund 570 Milliarden US-Dollar schwereres Infrastrukturpaket kam damals genau zur rechten Zeit. Noch immer fehlten in China Brücken, Zugstrecken, Autobahnen und Flughäfen, und diese wurde in den kommenden Jahren in einer Geschwindigkeit und einem Ausmaß gebaut, die zuvor unbekannt gewesen waren. Durch die gewaltige Nachfrage aus Fernost sprang auch im Westen die Konjunktur an. Rund 13 Jahre später könnte die Welt genau ein solches Programm gut brauchen, um sich aus der Negativspirale von hoher Inflation und lahmender Konjunktur zu befreien.

Die Maßnahmen, die nun bekanntgegeben wurden, um das von Lockdowns tief erschütterte Land wieder auf die Beine zu bringen, haben nichts mit dem Konjunkturpaket von damals zu tun. Vor allem spielen sie sich auf lokaler Ebene ab.

40.000 neue Nummernschilder

So hat Schanghai zum Beispiel 40.000 neue Nummernschilder freigegeben, um die Autoverkäufe zu stimulieren. Nummernschildern beziehungsweise Zulassungen sind in der 26-Millionen-Metropole seit Jahren heiß begehrt. Um die verstopften Straßen zu entlassen, hatte die Stadtregierung die Anzahl von Neuzulassungen strikt limitiert. Zudem erhalten Bürger, die ihr altes Auto durch ein Elektroauto ersetzen wollen, einen Rabatt in Höhe von 10.000 RMB, rund 1500 Euro. Damit sollen die Neuverkäufe um 150.000 Wagen in diesem Jahr gesteigert werden. Ähnliche Programme haben auch die Städte Shenzhen, Zhengzhou und Shenyang bekanntgegeben.

Zuletzt war der Absatz von Neuwagen in China im April im Vergleich zum Vorjahresmonat um die Hälfte auf 1,18 Millionen Fahrzeuge eingebrochen.

Schnellere Kredite

Die chinesische Zentralbank hatte am vergangenen Donnerstag auch bekanntgegeben, vor allem kleinere und mittlere Unternehmen, die besonders unter den Lockdowns leiden, schneller mit Krediten zu versorgen. Nachlässe bei Mieten und Strom sind ebenfalls geplant. Auch die darbenden chinesischen Fluggesellschaften sollen mit Finanzspritzen unterstützt werden.

Maßnahmen dieser Art aber dürften eher der berüchtigte "Tropfen auf den heißen Stein" sein als eine globale Konjunkturlokomotive.

Spannungen im Führungszirkel

Gerüchten zufolge führt die rigorose Lockdown-Politik auch zu Spannungen im innersten Führungszirkel der kommunistischen Partei. Sogar von einem Machtkampf zwischen Präsident Xi und der Nummer zwei im Machtapparat, Li Keqiang, ist die Rede. Während Xi Jinping als Vertreter der extremen Variante gilt, wünscht der wirtschaftsnahe Li Keqiang einen Kurs, der die Unternehmen weniger stark schädigt. Darauf hatten in letzter Zeit auch ausländische Handelskammern vehement gedrängt. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 1.6.2022)