Der Terrorprozess gegen Mirsad O. ist neuerlich umfangreich: Die Anklage ist 393 Seiten stark und betrifft 19 Beschuldigte.

Foto: Robert Newald

Auftritte von Mirsad O. bleiben ein Sicherheitsrisiko. Wer am Dienstag den Großen Schwurgerichtssaal des Straflandesgerichts in Wien betreten wollte, musste diesmal eine zusätzliche Sicherheitsschranke passieren. Im Inneren waren gleich mehrere schwerbewaffnete Sicherheitsbeamte samt Sturmhauben postiert.

Denn O. ist nicht irgendjemand. Der gebürtige Serbe ist bis heute so etwas wie ein Star der Jihadistenszene aus Österreich. Seine radikalen Videopredigten machten den 40-Jährigen über die Landesgrenzen hinaus bekannt und kursieren weiterhin im Netz. 2016 wurde der gelernte Stahlbauschlosser und ehemalige Religionslehrer in Graz zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er junge Männer für den bewaffneten Jihad in Syrien rekrutiert haben soll.

Seine Vergangenheit beschäftigt aber nach wie vor die Gerichte – diese Woche startete der dritte Prozess in der Sache. Zu Beginn stand zunächst eine "Syrien Benefiz Veranstaltung" im Fokus, die Mirsad O. und zwei weitere Beschuldigte in einer Moschee organisiert haben dürften. Den Erlös von etwa 20.000 Euro sollen sie direkt an den Islamischen Staat (IS) weitergeleitet haben.

Dabei sei unter anderem eine von Mohammed Mahmoud gespendete IS-Fahne versteigert worden. Mahmoud war ebenfalls eine jihadistische Größe aus Wien. Er verbrannte in einem Video nicht nur seinen Reisepass, er bedrohte Österreich überdies mit Terroranschlägen. 2018 dürfte er in Syrien bei einem Luftangriff ums Leben gekommen sein.

"Habe viel Ärger gemacht"

Ein 35-jähriger Bosnier soll bei der Benefizveranstaltung als Auktionator aufgetreten sein, wie sein Anwalt Nikolas Rast erklärte. Nach dessen gescheiterter Karriere als Fußballer in Deutschland sei er in die jihadistische Szene abgeglitten. "Dann hat er genau das getan, warum er heute hier sitzt", führte Rast aus. "Er war einfach jung und dumm." Mittlerweile sei sein Mandant geläutert, habe sich auch optisch verändert und sei auch deshalb von der Gefährderliste des deutschen Verfassungsschutzes gestrichen worden. Der Bosnier war voll umfassend geständig. Darüber hinaus wollte er aber nichts mehr sagen.

Auch Mirsad O. bekannte sich schuldig, auch was die Rekrutierung Jugendlicher betrifft. Es tue ihm leid, sagte der einst so laute Prediger ganz leise. Er bereue seine Taten und habe mit seinen Predigten "viel Ärger gemacht", räumte er ein.

Der dritte Beschuldigte im Bunde, ein 38-jähriger Bosnier, tauchte gar nicht erst auf. Gegen ihn liegt nämlich ein Aufenthaltsverbot für den gesamten Schengenraum vor. Daher würde er bei einer Einreise sofort verhaftet werden. Der Richter schied deshalb das Verfahren gegen ihn aus.

Für Koran und Bibel

Ab dann wurde es für den Richter kniffliger. Die Staatsanwaltschaft wirft einem Afghanen vor, als Prediger einer mutmaßlich radikalen Moschee ebenfalls Jugendliche für den Islamischen Staat in Syrien rekrutiert zu haben – womöglich sogar in Absprache mit Mirsad O. Der Mann war sich aber keiner Schuld bewusst, seinem Anwalt fehlten die Beweise. Die Konversation mit dem Beschuldigten verlief dann stellenweise ziemlich eigenartig.

Es begann damit, dass der Afghane zwar seit 20 Jahren in Österreich lebt, aber wegen "Gedächtnisproblemen" kein Wort Deutsch sprechen könne, wie er sagte. Ein Dolmetscher übersetzte daher aus dem Persischen. Der Beschuldigte beantwortete die Fragen des Richters teils ausufernd, aber ohne auf die Frage einzugehen. Was Details zur besagten Moschee anging, war der Mann ebenfalls nicht hilfreich.

Zwar erklärte der Afghane, dass er neben seinem Job in der besagten Moschee als Prediger ausgeholfen habe, radikale Umtriebe will er aber nicht bemerkt haben. Als eine IS-Fahne in dem Gebetshaus aufgehängt wurde, sei er gerade in Afghanistan gewesen. Wann genau das war, sei ihm allerdings nicht mehr erinnerlich. Zu Menschen aus der Moschee, die nach Syrien abwanderten, habe er "keine Detailinformationen". Er habe das nur gehört.

Ein Bekenntnis zur Demokratie war dem Beschuldigten auch nicht zu entlocken. "Sie wissen, dass Sie in einer Demokratie leben?", fragte der verwunderte Richter. Österreich sei ein demokratisches Land, aber auch eines mit Fehlern, entgegnete der Afghane. Besonders schräg fand der Richter eine Aussage, die der Beschuldigte in einer polizeilichen Einvernahme zu Protokoll gab, wonach er menschengemachte Gesetze für schlecht halt. Er stehe für den Koran und die Bibel. Für den Prozess um Mirsad O. sind mehrere Verhandlungstage geplant. Ein Urteil könnte es frühestens Ende Juni geben. (Jan Michael Marchart, 1.6.2022)