In der Kläranlage Simmering wird das Abwasser in einem 20 Stunden dauernden Prozess gereinigt.

Eine gefüllte Badewanne Trinkwasser verbraucht jeder Wiener und jede Wienerin täglich. 130 Liter pro Kopf und Tag, die für das Duschen, den Toilettengang, für das Kochen und Trinken draufgehen. Aus allen Ecken und Enden der Stadt fließt dieses Abwasser gemeinsam mit jenem aus Gewerbe und Industrie sowie dem Regenwasser aus dem Kanalnetz in einem dichten Leitungssystem im Untergrund am Ende an einem Ort zusammen: in der Kläranlage Simmering, am tiefsten Punkt der Stadt.

Hier, in einer der größten Kläranlagen Europas am südöstlichen Rand von Wien, wird das Abwasser in einem 20 Stunden dauernden Prozess gereinigt, ehe es gesäubert in die Donau fließt. Im eigenen Labor wird es auf Schadstoffe untersucht: Bestimmt werden etwa die Stickstoff-, Phosphor- und PH-Werte. Seit zwei Jahren wird das Abwasser zudem auf Krankheitserreger untersucht, allen voran auf das Coronavirus.

Wien war eine der ersten Großstädte Europas, die schon zu Beginn der Pandemie mit dem Screening des Abwassers begonnen haben. Heute gilt ganz Österreich als Vorreiter. Am 27. Februar verzeichneten die Behörden in Tirol den ersten bestätigten positiven Fall von Sars-CoV-2 in Österreich. Am 8. April wurde in Wien die erste Probe im Abwasser entnommen. Zwei Tage später war der Befund da.

In der Folge richtete die Stadt die sogenannte "CSI Abwasser" ein, die seither unter der Leitung der von der Ebswien betriebenen Wiener Kläranlage und der Technischen Universität (TU) Wien die Verbreitung des Coronavirus verfolgt. Wer an Covid erkrankt, scheidet mit dem Stuhl Virusteilchen aus. So lassen sich nicht nur Erbgutrückstände untersuchen, sondern auch die Variantenausbreitung.

Wöchentlicher Jour fixe

Mit der Abwassermethode lassen sich Veränderungen in der Pandemieentwicklung früher erkennen als anhand der Meldezahlen zu Infizierten, die auf der Analyse von Atemwegsabstrichen basieren. Sie ergibt so ein relativ vollständiges Bild des Infektionsgeschehens, selbst wenn die Zahl der Testungen abnimmt. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) feierte das Projekt anlässlich des zweijährigen Bestehens kürzlich als Erfolg – und kündigte eine Ausweitung an.

Aktuell tagt das zehnköpfige CSI-Abwasser-Team – bestehend aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kläranlage, der Gesundheitsbehörde (MA 15), des Amts für Wirtschaft, Arbeit und Statistik (MA 23), von Wien Kanal und der TU – jeden Donnerstag. Zusätzlich kooperiert es unter anderem mit der Medizinischen Universität. Dreimal pro Woche erhält die TU aus den Abwasserproben, die an der Kläranlage in Simmering entnommen werden, einen Ein-Liter-Behälter mit der sogenannten Tagesmischung: Diese wurde zuvor über 24 Stunden maschinell dem Abwasser entzogen.

Kontrolle an neuralgischen Punkten

Jeden Sonntag kommt die Analyse der Kanalisation dazu, zudem gibt es punktuelle Schwerpunktkontrollen an Altersheimen oder Krankenhäusern oder an jenen Orten, an denen sich Infektionscluster abzeichnen. Das Labor der Kläranlage ist nicht auf die Bestimmung von Krankheitserregern ausgerichtet, für die etwa bestimmte Zentrifugen notwendig wären.

Hier kommt Norbert Kreuzinger ins Spiel, der wissenschaftliche Leiter der CSI Abwasser. Er sagt über seine Arbeit am Institut für Wassergüte und Ressourcenmanagement der Technischen Universität: "Abwasseranalysen sind seit 30 Jahren mein tägliches Brot."

Der wissenschaftliche Leiter des Teams "CSI Abwasser", Norbert Kreuzinger.
Foto: Christian Fischer

Kreuzinger beschäftigt sich mit der Biologie und Chemie von Wasser, mit Verfahren der Reinigung und der Frage, wie Abwasser als Ressource genützt werden kann, statt nur als Schmutz gesehen zu werden.

Suche nach Influenzaviren

Er betont die Wichtigkeit der Abwasserüberwachung als Instrument im Kampf gegen die Corona-Pandemie, "aber auch gegen künftige Herausforderungen durch bedenkliche Krankheitserreger". Die Abwasserprobe in seinem Labor wird nicht nur auf das Vorkommen von Coronaviren untersucht, sondern seit vergangenem Herbst auch auf Influenzaviren. Kreuzinger denkt außerdem bereits weiter: an die Vogelgrippe, an Noro- oder Enteroviren. "Die EU-Kommission empfiehlt den Mitgliedsstaaten so ein Frühwarnsystem", sagt er.

Aktuell baut das CSI-Team für den Sommer aus, wenn die Infektionskurve weiter abflachen und die Anzahl der Tests noch einmal abnehmen dürfte. Für die Zeit danach, wenn die Zahlen im Herbst wieder steigen dürften, soll ein vorausschauendes Monitoring zeitnah eine Dunkelzifferschätzung ermöglichen. (Anna Giulia Fink, 1.6.2022)