Als Königin Victoria 1897 ihr 60. Thronjubiläum beging, standen drei Generationen zu ihrer Nachfolge bereit: ihr Sohn Bertie, der spätere Edward VII (1901–1910); ihr Enkel George, der als George V das Königreich durch den Ersten Weltkrieg führte; schließlich auch schon ihre Urenkel, die Prinzen Edward, der spätere Kurzzeitkönig Edward VIII (1936) und Albert, der die Monarchie nach der Abdankung seines älteren Bruders stabilisierte.

Elizabeth II feiert.
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In dieser Woche bejubeln die Briten ihre Königin Elizabeth II und ihre beinahe sagenhaften 70 Jahre auf dem Thron. Wie vor 125 Jahren feiern auch diesmal drei Nachfolgegenerationen mit, und wie damals steht der britischen Monarchie, wenn sie es denn intakt durchs 21. Jahrhundert schafft, eine lange Reihe männlicher Monarchen ins Haus. Nie hat Elizabeths Sohn Charles (73) einen Zweifel an seinem Thronanspruch zugelassen, nie hat dessen älterer Sohn William entsprechende Gedanken geäußert. Und ob der knapp 40-Jährige dereinst seinen Ruhestand als König emeritus plant oder doch, wie seine Großmutter, in den Sielen sterben will – für die Nachfolge stehen drei gesunde Kinder bereit, allen voran der heute achtjährige Erbprinz George.

Entscheidendes Geschlecht

Eine männlich geprägte Monarchie also, womöglich bis ins 22. Jahrhundert, wie die Historikerin Suzannah Lipscomb mit etwas nachdenklichem Unterton feststellt. Dabei habe zum Erfolg der Queen und dem weltweiten Ansehen der Monarchie "natürlich ihr persönlicher Charakter, aber doch auch ihr Geschlecht" beigetragen. Umso wichtiger erscheint es dieser Logik zufolge, bei den Feiern selbst und bei der bevorstehenden Nachfolge die royalen Frauen öffentlich stärker ins Spiel zu bringen.

Anne nahm den Bedeutungsverlust pragmatisch hin.
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Das Prinzip der männlichen Nachfolge (Primogenitur) wurde immerhin schon 2013 abgeschafft – freilich zu spät für Charles' Schwester Anne, die als Thronprätendentin von ihren jüngeren Brüdern Andrew und Edward sowie deren Nachfahren überholt wurde. Die heute 71-Jährige reagierte pragmatisch, richtete sich im Schatten der Brüder ein, verzichtete für ihre Kinder auf den Titel der "Königlichen Hoheit". Seit vielen Jahren führt sie die Rangliste jener Termine an, die die Royals für Wohlfahrtsorganisationen wahrnehmen und diesen dadurch Glamour verleihen.

Die Prinzessin sei wie ihr Vater Philip, als dessen Lieblingskind sie galt, "forsch, aufmerksam und praktisch veranlagt", hat die "Times"-Kolumnistin Libby Purves beobachtet und bedauert, dass die mittlerweile nur noch 17. der Thronfolge keine prominentere Rolle spielt. Die derart Gelobte würde sich das Plädoyer gewiss verbitten, steht sie der vierten Gewalt doch zutiefst misstrauisch gegenüber.

Meghan muss warten

Dieses Ressentiment immerhin teilt Anne mit jener Frau, die kurzzeitig als neues Gesicht der Monarchie galt, längst aber in ihre kalifornische Heimat verschwunden ist. Ob es im Namen größerer Modernität doch noch eine Rückkehr gibt für Meghan, die Herzogin von Sussex? Als Sonderbotschafterin für das Commonwealth vielleicht, wie die Autorin Tina Brown vorschlägt. Deren soeben erschienenes Buch "The Palace Papers" fußt auf Gesprächen mit angeblich mehr als 120 Augenzeuginnen der elisabethanischen Regentschaft und schiebt, nicht zuletzt fürs US-Publikum, die 40-jährige Amerikanerin nach vorn, nicht zuletzt im Interesse von deren eigener Karriere. Schließlich sei doch, ätzt die aus England stammende, aber seit Jahrzehnten in Amerika ansässige Brown, "deren Heiligenschein verblasst".

Meghan vor Comeback?
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Hingegen lobt die royale Biografin Charles' Frau Camilla über den grünen Klee: Die Herzogin von Cornwall sei "charmant, diskret, geduldig" und wisse, dass Popularität "durch harte Arbeit verdient" werden müsse. Aber der Diana-Schatten? Dem Thronfolger werde "von manchen niemals sein Verhalten gegenüber Diana verziehen werden", analysiert die Königsexpertin des konservativen "Daily Telegraph", Camilla Tominay. Umfragen zufolge aber sehen viele Briten ein Vierteljahrhundert nach dem Unfalltod der damaligen "Königin der Herzen" Charles' zweite Frau als Plus für die Monarchie: unprätentiös, den Menschen zugetan, vor allem aber eine unersetzliche Stütze für den Thronfolger. Der sei durch die späte Ehe mit seiner alten Flamme von einem alten Grantler zu einem "unmissverständlich glücklichen Mann" mutiert, lautet Browns Beobachtung.

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Abnehmende Ehrerbietung

Wie Camilla für die Nummer eins der Thronfolge und damit automatisch auch für die Monarchie ist zuletzt auch der Einfluss von Herzogin Catherine von Cambridge stetig gewachsen. Dem königlichen Protokoll zufolge hat die einstige Kate Middleton Bedeutung eigentlich nur indirekt: als Gattin von Prinz William, dem Zweiten der Thronfolge, und als Mutter der Nummern drei, vier und fünf, George, Charlotte und Louis. Meist lächelt sie freundlich und schweigt beredt. Die ihr am Herz liegenden Anliegen aber, beispielsweise die frühkindliche Förderung und Unterstützung psychisch Kranker, schiebt sie ebenso entschlossen wie beredt ins Licht der Öffentlichkeit. Intern erscheint die Frau aus stabilem, gutbürgerlichem Elternhaus als eine Art von Gleichgewicht zu den psychisch stets ein wenig labil erscheinenden Windsors.

Die perfekte Royal.
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Auf dem Boden der Tatsachen, ausgeglichen, weniger statusbewusst – mit diesen Attributen wirken die royalen Frauen wie geschaffen, der Monarchie auch im Zeitalter abnehmender Ehrerbietung die Bedeutung zu erhalten, welche die Jubilarin über 70 Jahre erarbeitet hat. (Sebastian Borger aus London, 1.6.2022)