Ein Schluck, um aus dem Leben zu scheiden: Das Gesetz ermöglicht Schwerkranken den Bezug eines tödlichen Medikaments. Doch davor warten Hindernisse.
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Karl G. will sich den letzten Ausweg offenhalten. Schwer angegriffen ist die eigene Leber, seit drei Jahren treten immer neue Tumoren auf. Noch ist der Krebs nicht so weit fortgeschritten, um ihm das Leben völlig zu vergällen. Doch sollte er einmal von unerträglichen Schmerzen geplagt sein und nicht mehr aus dem Bett kommen, sagt der 69-Jährige, wolle er den Zeitpunkt des Sterbens selbst bestimmen können.

Seit Jahresbeginn bietet das Gesetz eine Möglichkeit, dies ohne brachiale Methoden wie den Sprung vor den Zug zu tun. Wer wegen einer schweren, unheilbaren Krankheit Suizid begehen will, dem darf infolge einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes dabei straffrei geholfen werden. Lebensmüde können eine Sterbeverfügung errichten, die zum Bezug eines tödlichen Medikaments berechtigt – für G. eine willkommene Gelegenheit, um vorzubauen: "Ob ich das dann jemals nütze, steht auf einem anderen Blatt."

Sechsmal bei Ärzten abgeblitzt

Doch bislang rennt der Steirer gegen Mauern. Als unerfüllbar entpuppte sich eine Bedingung, die das Gesetz stellt: Voraussetzung für eine Sterbeverfügung ist eine Begutachtung durch zwei Ärztinnen oder Ärzte, von denen zumindest eine oder einer über eine palliativmedizinische Ausbildung verfügen muss. Die steirische Ärztekammer habe ihm eine Liste mit zehn Palliativmedizinern geschickt, erzählt G., die ersten sechs hätten ihn bereits abblitzten lassen – unter anderem mit dem Verweis darauf, dass man die Ausbildung nicht dafür gemacht habe, um Leben zu verkürzen.

Dass G. kein Einzelfall ist, zeigen nicht nur weitere Erfahrungsberichte, die den STANDARD ebenfalls erreicht haben. Auch eine Auskunft von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) legt nahe, dass das von der türkis-grünen Koalition beschlossene Reglement Hindernisse birgt. In einer parlamentarischen Anfrage wollten die Neos wissen, wie viele Bürger den Weg in Richtung assistierten Suizid bisher beschritten haben. In den vom Minister präsentierten Zahlen sieht Neos-Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler einen Beleg, "dass das Sterbeverfügungsgesetz todkranken Menschen einen unzumutbaren Hürdenlauf aufbürdet".

Viele Interessenten, wenige Fälle

Tatsächlich haben laut Rauchs Antwort in den ersten drei Monaten 2022 sieben Personen ein erstes ärztliches Aufklärungsgespräch geführt: fünf in Kärnten, eine in Wien, eine in Salzburg. Lediglich zwei Menschen haben bereits eine Sterbeverfügung errichtet, in Wien und in Kärnten.

Neos-Gesundheitssprecherin Fiedler sieht die geringe Inanspruchnahme der Sterbeverfügung als Beleg, dass der Wille des Verfassungsgerichtshofs de facto missachtet werde.
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Aber könnte es nicht sein, dass es einfach nur wenig Interesse gibt? Dem widerspreche die dritte Antwort Rauchs, argumentiert Fiedler. Demnach sind im gleichen Zeitraum bei den Patientenanwaltschaften 174 Anfragen im Kontext des Sterbeverfügungsgesetzes eingelangt.

"Ein Großteil davon sei auch als Beschwerde zu sehen", heißt es in der Anfragebeantwortung unter Berufung auf Patientenanwalt Gerald Bachinger, zumal die Interessenten dabei gleich auf eine weitere Hürde hingewiesen wurden: Anders als vom Gesetz festgeschrieben, sehen sich die Patientenanwaltschaften mangels Personals außer Stande, als Alternative zu den teuren Notaren ebenfalls Sterbeverfügungen aufzusetzen. Man habe von Beginn an klargestellt, dass dies ohne zusätzliche Ressourcen nicht gehe, sagt Bachinger auf Nachfrage des STANDARD: Nun gebe es aber Verhandlungen, die auf einem guten Weg seien.

Kluft zwischen Theorie und Praxis

Jener Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, die Beihilfe zum Suizid straffrei stellte, sei mit dem Gesetz "nur theoretisch Genüge getan", schließt die Neos-Abgeordnete Fiedler aus alledem: "In der Praxis finden Betroffene kaum Ärzte und Notare, bei denen sie eine Sterbeverfügung errichten könnten. Damit geht das Gesetz inhaltlich am Urteil des Verfassungsgerichtshofs vorbei. "

Ärztekammer und Gesundheitsministerium sollten dringend eine Liste von bereitwilligen Ärzten veröffentlichen oder zumindest den Patientenanwälten zur Verfügung stellen, so die Forderung: "Menschen, die dem Tod ins Auge sehen, ist es schlicht nicht zumutbar, dass sie sämtliche Ärzte in Österreich durchtelefonieren müssen."

Das Ministerium sah sich bisher allerdings für eine Liste unzuständig, da dies im Gesetz nicht vorgesehen sei. Von den Ärztekammern der neun Bundesländern erklärte sich auf STANDARD-Anfrage im Februar zumindest Wien zu solch einem Service bereit. Die Liste bereitwilliger Ärzte der Bundeshauptstadt gebe es bereits, heißt es nun – aber nur auf Anfrage von Patienten.

Dietmar Weixler, Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG), spricht hingegen von Anfangsschwierigkeiten. Mittlerweile bekämen Patienten bei den Kammern bessere Informationen. Aus den Meldungen auf einer von der OPG eigens eingerichteten Internet-Plattform ergebe sich, dass bis dato – also nicht bloß im ersten Quartal – mindestens vier Personen durch assistierten Suizid den Tod gefunden hätten. (Gerald John, 1.6.2022)