Zum Vatertag am Sonntag werden die Papas gefeiert. Doch deren Zeugungsfähigkeit wird permanent weniger. Die abnehmende männliche Fruchtbarkeit zeigt einen Public-Health-Hotspot auf.

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Die Zeugungsfähigkeit der Männer ist eines der letzten großen Tabuthemen. Immerhin definieren fast alle ihre Männlichkeit über die eigene Potenz. Ist die nicht mehr so toll, spricht man lieber nicht darüber. Das funktioniert recht gut, da sich die fehlende Potenz vorwiegend in der Unfähigkeit, Kinder zu zeugen, bemerkbar macht – und meist nicht den dazu nötigen Akt an sich beeinträchtigt.

Tatsache ist, dass die kleinen Soldaten nicht mehr so schnell schwimmen. Außerdem gibt es generell deutlich weniger von ihnen, und ihre Form ist auch nicht mehr so perfekt. Diese Kombination hat dazu geführt, dass ihre Qualität und die damit verbundene Fähigkeit, ein Kind zu zeugen, seit den 1970er-Jahren um etwa die Hälfte schlechter geworden ist. In anderen Worten: Unsere Männer sind nur noch halb so potent wie unsere Großväter. Das zeigt eine im Jahr 2017 erschienene Metaanalyse von 185 Studien, die auf PubMed einsehbar ist.

Immer schlechtere Befunde seit den 1970er-Jahren

Wie ist es zu diesem Befund gekommen? Ein Zweig der Ursachenforschung führt in die 1970er-Jahre. Da gab es einige Errungenschaften, die die Gesellschaft veränderten – und die ungeahnte Langzeitfolgen haben dürften, sagt Olivia Pojer, Allgemeinmedizinerin mit Spezialisierung auf die integrative Behandlung männlicher Unfruchtbarkeit in Premstätten bei Graz: "Die hormonelle Verhütung mit der Pille hat sich durchgesetzt, die Wegwerfwindeln kamen auf den Markt, und damals hat der breitflächige Konsum von Soja begonnen." Gemeinsam ist allen drei Ereignissen, dass sie die Hormone beeinflussen.

"Die in der Pille enthaltenen künstlichen Östrogene werden über den Urin ausgeschieden und gehen ins Abwasser. In den Kläranlagen können die Hormone aber oft nicht richtig aus dem Wasser herausgefiltert werden", weiß Pojer. Das führt dazu, dass sie über das Trinkwasser wieder konsumiert werden. Soja wiederum ist ein sogenanntes Phytoöstrogen, die Pflanze hat Inhaltsstoffe, die im Körper hormonähnliche Wirkung entfalten.

Die Wegwerfwindeln schließlich erhöhen die Temperatur der Hoden. Denn sie sind aus Plastik, und das heizt auf. Außerdem werden die Hoden dadurch relativ eng an den Körper gebunden, was sie zusätzlich erwärmt. Pojer erklärt: "Die Hoden sind außerhalb des Körpers, weil sie eine geringere Standardtemperatur brauchen als der Rest des Körpers, etwa 34 Grad. Doch durch diese Kombination erhöht sich die um etwa ein Grad, das ist ein Problem für die spätere Spermienqualität." Auch sehr enge Hosen, viel Radfahren oder das Handy in der Hosentasche können in diesem Zusammenhang ein Problem werden, da auch das die Körpertemperatur erhöht.

Plastik, das wie Hormone wirkt

Die Wegwerfwindeln sind aber auch Symbol für ein viel größeres Problem: In ihnen sind Weichmacher und andere chemische Verbindungen, die man als endokrine Disruptoren bezeichnet. "Die befinden sich im Grunde in allen Plastikprodukten, egal ob dünne Folie oder Plastikflasche. Das sind Moleküle, die so aussehen wie Hormone und dadurch die für die Spermienproduktion nötige Balance aus dem Gleichgewicht bringen, weil sie an den gleichen Rezeptoren andocken", erklärt Shahrokh Shariat, Urologe am AKH Wien.

Diese endokrinen Disruptoren kommen praktisch überall vor, im Mikroplastik, in Sonnencreme und sogar im Duschgel. Auch Pestizide, Herbizide, Schwermetalle und andere synthetische Produkte gehören dazu, man kann ihnen einfach nicht ausweichen. Bekannt ist vor allem das Bisphenol A, da es mittlerweile aus vielen Plastikprodukten verbannt wurde. "Aber es gibt in der Chemiebranche rund 80.000 Produkte und Verbindungen aus Erdöl, jährlich kommen rund 2.000 neue dazu. Und die sind oft sehr unreguliert, man weiß im Grunde nicht, wie sie sich konkret auswirken", weiß Shariat.

Dass sie sich auswirken, ist aber klar sichtbar: "Die Anzahl der Hodenkarzinome hat sich in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt. Bei den Buben hat sich die Zahl jener, bei denen die Hoden nicht von selbst in den Hodensack hinunterwandern, massiv erhöht. Auch das ist ein hormonelles Thema", betont Shariat.

Wie hoch der Einfluss der unterschiedlichen Faktoren ist, ist dabei nicht ganz klar, noch fehlen konkrete Forschungsergebnisse dazu. Aber dass es Zusammenhänge gibt, da sind sich Expertinnen und Experten weltweit einig. Shariat weist darauf hin, dass das ein großes Public-Health-Thema ist, das sich nicht nur auf die Fruchtbarkeit der Männer auswirkt – und natürlich auch der Frauen, nur kann man es bei den Männern besser messen –, sondern das auch generell die Gesundheit der Menschen beeinflusst.

Run auf die Kinderwunschzentren

Eine der Folgen dieser Entwicklung ist der Run auf die Kinderwunschzentren. Denn immer mehr Paare können sich ihren Kinderwunsch nicht mehr so einfach erfüllen. Die Ursache dafür wird immer noch in erster Linie bei der Frau gesucht – dabei sind in rund der Hälfte der Fälle die Männer der Grund, weiß Fruchtbarkeitsexpertin Pojer: "Hier braucht es unbedingt mehr Bewusstsein. Denn obwohl die Ursache gleich oft bei den Männern wie bei den Frauen zu suchen ist, behandelt man in neun von zehn Fällen die Frau. Oft wird nicht einmal ein Spermiogramm gemacht, die Männer wissen gar nicht, dass es an ihnen liegt."

Die endokrinen Disruptoren sind aber bei weitem nicht der einzige Grund, dass es den Spermien so schlecht geht. Ebenso relevant für ihren Zustand ist der Lifestyle in der industrialisierten Welt. Ernährung, Alkoholkonsum, Übergewicht, Sportintensität, Schlafmenge, Entzündungen wie Parodontitis oder Medikamenteneinnahme sind nur einige der Faktoren, die die männliche Spermiogenese, also die Entwicklung der Spermien, beeinflussen.

Und auch das höhere Alter der potenziellen Väter spielt da hinein. Viele glauben immer noch, das nur bei den Frauen die Fruchtbarkeit ab etwa 33 Jahren abnimmt. Dabei betrifft das die Männer genauso. Ab etwa 45 Jahren macht sich das Alter bemerkbar – definitiv ein Problem für späte Vaterschaft.

Das Bewusstsein für diese Einflussfaktoren ist dabei extrem niedrig. Shariat bemängelt, dass es keine Awarenesskampagnen gibt, kein Aufklärungsprogramm von der Regierung und auch kein Geld für Forschung in diesem Bereich. Denn man hat zwar einige Anhaltspunkte, warum die Fruchtbarkeit abnimmt, aber die genauen Hintergründe versteht man aufgrund der fehlenden Forschung noch lange nicht.

Wohlstands-Lifestyle als Problem

Der Vorteil ist, dass man die Lifestyle-Ursachen zu einem guten Teil selbst in der Hand hat: "Der Entwicklungszyklus eines Spermiums dauert 72 bis 90 Tage, dann sind alle neu gebildet. In diesen drei Monaten kann man schon viel für die Qualität der Spermien tun", weiß Pojer. Man sieht dann oft schon eine Tendenz in die richtige Richtung, auch wenn es oft einen zweiten Zyklus braucht, bis die Geschwindigkeit und generell die Qualität der kleinen Schwimmer wieder gut ist.

Wie sehen die Risikofaktoren nun im Detail aus? Pojer weiß, die Ernährung ist ein wichtiger Bereich: "Alles, was frittiert ist, wirkt sich sehr negativ aus, ebenso wie Wurstwaren. Das sind aber Lebensmittel, zu denen vor allem Männer gerne greifen." Dazu komme, dass sich Männer prinzipiell zu wenig um sich kümmern, zu wenig schlafen, eine schlechte Work-Life-Balance haben und im Verhältnis öfter auch zu viel trinken oder rauchen. Auch Medikamente wie Antihistaminika oder Schmerzmittel vermindern die Spermienqualität oder beeinflussen den Testosteronspiegel. Das wurde etwa für Ibuprofen in einer Studie gezeigt.

Ein weiterer Faktor ist Sport. Zu wenig ist nicht gut, aber zu viel auch nicht, betont Pojer: "Wenn Männer fünf- bis siebenmal pro Woche intensiv trainieren oder sich auf einen Marathon vorbereiten, verschlechtert das die Samenqualität für die nächsten Monate signifikant." Und auch die Kleidung spielt eine Rolle, nämlich was die Hodentemperatur anbelangt. Deshalb sind Boxershorts besser als enge Slips, sie halten die Hoden kühler. Man sollte auch das Handy nicht in der Hosentasche tragen, es kann die Temperatur erhöhen. Und in der Zeit, in der man ein Kind zeugen möchte, sollte man Sauna und Whirlpool meiden.

Enormer Stressfaktor

Neben all diesen Lifestyle-Faktoren gibt es noch einen ganz wesentlichen: Stress und psychische Sorgen. Den nehmen viele aber am allerwenigsten ernst. Dabei hat er massiven Einfluss auf die Samenqualität, weiß Pojer: "2014 wurde eine spannende Studie publiziert, die zeigt, dass der tägliche Stress im Job keinen großen Einfluss hat. Der Grund dafür dürfte sein, dass der eher adrenalingetriggert ist. Aber langfristige Stressoren wie Geldsorgen, Eheprobleme, Existenzsorgen, die eher die Cortisolausschüttung erhöhen, schlagen sich ganz massiv im Spermiogramm nieder."

All das zeigt auf, dass die Ursachen für zu wenig Fruchtbarkeit extrem vielfältig sind. Pojer sieht das auch an den Patienten, die in ihre Praxis kommen: "Natürlich sehe ich bei einigen sofort, dass wohl der Lifestyle ein Thema ist. Aber es gibt genauso viele Männer, wo es keinen offensichtlichen Grund gibt, auch nicht bei näherem Nachforschen."

Corona-Gefahr für die Spermien

Und es gibt noch eine Ursache für schlechte Spermienqualität, die man nicht in der Hand hat: Infektionen. "Schwere Infekte mit hohem Fieber und vor allem Genitalinfekte überhitzen die Hoden. Das kann eine Mumps-Infektion im Kindesalter sein, die die Qualität langfristig beeinflusst, aber auch Geschlechtskrankheiten wie Chlamydieninfektion oder HPV, also Humane Papillomaviren", sagt Pojer.

In dem Zusammenhang ist auch Corona relevant, bestätigt Urologe Shariat Schlagzeilen der vergangenen Monate. "Da leidet die Fruchtbarkeit eindeutig. Wir haben eine Studie mit russischen Männern gemacht, die im Jänner 2022 im Journal 'Andrology' erschienen ist. Die in Russland verabreichte Impfung wirkt nicht so effektiv. Da hat sich hat eindeutig gezeigt, dass die kurzfristige Fruchtbarkeit massiv beeinträchtigt ist nach einer Corona-Infektion. Aber auch langfristig ist die Vitalität und Mobilität der Spermien eingeschränkt."

Das liege daran, dass das Gewebe entzündet ist und dadurch im Hoden Mikrothrombosen entstehen. Und Shariat erklärt weiter: "In den Hoden sind, ebenso wie in Lunge und Niere, besonders viele ACE-Rezeptoren, an denen die Coronaviren andocken. Wir sehen, dass etwa 40 Prozent der infizierten Männer durch die Infektion auch eine Hodenentzündung bekommen, und zwar egal ob sie einen milden oder einen schweren Verlauf hatten. Die Entzündung bemerken bei weitem nicht alle, aber sie ist da und wirkt sich aus."

Früherkennungssystem für die Männergesundheit

Wie komplex die männliche Fruchtbarkeit ist und dass sich ein Ungleichgewicht schnell auswirkt, ist klar. Trotzdem weiß man insgesamt noch viel zu wenig darüber, auch weil das Geld für groß angelegte, interdisziplinäre Forschung fehlt. Dabei wäre die Spermienqualität ein idealer Faktor, um die Gesamtgesundheit eines Mannes zu beurteilen, betont Urologe Shariat. Die Wahrscheinlichkeit, Prostata-, Haut- oder Dickdarmkrebs zu bekommen, ist bei jenen mit schlechterer Qualität drei bis fünf Mal so hoch. Das sind natürlich Lifestyle-Erkrankungen, aber würde man die Spermienqualität untersuchen, erhielte man für viele Erkrankungen möglicherweise schon früh einen Anhaltspunkt.

"Die Spermienqualität ist so sensibel auf äußere Einflüsse, dass sie automatisch ein Bild des aktuellen Gesundheitszustands ist. Diesen Faktor könnte man sich zunutze machen und ein allgemeines Männervorsorgeprogramm einführen", sagt Shariat. Stattdessen spricht man lieber nicht darüber und lässt so ein Stigma weiterbestehen, das sowohl Gesundheitskosten als auch enormes psychisches Leid verursacht. Und die Lage wird von Generation zu Generation schlechter. Shariat ist überzeugt: "Das fehlende Männergesundheitsprogramm wird den Gap, den es bei der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen gibt, noch weiter vergrößern." (Pia Kruckenhauser, 6.6.2022)