Mit Juni ist die Maskenpflicht in Österreich beinahe komplett abgeschafft. Doch der saisonale Effekt ist schon jetzt vorbei, mit der Dominanz der BA.5-Variante werden die Infektionszahlen wieder steigen.

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Kaum sind die Masken gefallen, machen sich viele schon wieder Sorgen um Corona. Denn die BA.5-Variante, die aus Südafrika stammt, ist jetzt auch hierzulande etabliert. Rund zehn Prozent der Neuinfektionen – je nach Bundesland liegen die Zahlen etwas darüber oder darunter – sind von dieser Variante ausgelöst. Und sie nehmen täglich zu. Wöchentlich gibt es eine knappe Verdoppelung der Fälle. "Damit kann man sich ausrechnen, dass die Variante Ende Juni dominant ist, und dann werden auch die Fallzahlen wieder steigen", sagt Molekularbiologe Ulrich Elling von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Was bedeutet das nun konkret? Wer ist gefährdet, sich zu infizieren? Und wie schlimm wird eine Infektion mit dieser Variante ausfallen? Um das zu verstehen, erklärt Elling die Genese der BA.5-Variante: "Wenn Corona ein Baum ist, dann ist der Wildtyp der Stamm. Seither haben sich die Alpha-, Beta-, Gamma- und Delta-Variante entwickelt, die jeweils ein eigener Ast sind. Und auch die Omikron-Variante ist ein eigener Ast, doch da gab es erstmals eine neue Entwicklung. Anstatt völlig neuer Varianten-Äste haben sich Untervarianten entwickelt, man kann sich die als größere und kleinere Zweige vorstellen. Auch die BA.5-Variante ist so ein Zweig. Sie hat also die typischen Omikron-Merkmale, es gibt nur Detailunterschiede."

Nur geringe Änderungen am Spikeprotein

Die BA.5-Variante unterscheidet sich am Spikeprotein nur in ganz wenigen Mutationen von der BA.2-Variante, die derzeit bei uns dominant ist. Das ist ein deutlich geringerer Unterschied als zwischen den Varianten BA.1 und BA.2, bei denen es 17 unterschiedliche Positionen gab. Das heißt, BA.5 ist für BA.2-Genesene relativ ungefährlich, die haben einen ziemlich sicheren Infektionsschutz. Und das sind immerhin knapp 20 Prozent der Menschen in Österreich.

Nicht so gut geschützt, weil es eben mehr Unterschiede am Spikeprotein gibt, sind die rund 15 Prozent, die BA.1-genesen sind. Und alle, die eine der früheren Varianten hatten oder sich noch gar nie infizierten, haben ebenfalls keinen nennenswerten Schutz vor Infektion – auch weil die Drittstiche ja bei fast allen schon relativ lang zurückliegen. Wichtig: Es geht hier nur um Schutz vor Infektion, vor schwerem Verlauf schützen Impfung oder Genesung – und am allerbesten die Kombination – weiterhin.

Bleibt noch die BA.4-Variante, quasi die Schwester von BA.5. Diese unterscheidet sich am Spikeprotein überhaupt nicht von BA.5, nur im restlichen Genom gibt es ein paar Unterschiede. Die beiden sind in unterschiedlichen Regionen Südafrikas entstanden und haben sich von dort ausgebreitet. BA.5 hat jedoch scheinbar einen Verbreitungsvorteil und setzt sich deshalb jetzt besser durch. Eher unwahrscheinlich ist dagegen, dass BA 2.12.1, die sogenannte New-York-Variante, sich bei uns durchsetzt, sie hat einen geringeren Wachstumsvorteil als BA.5.

Für Verwirrung bei vielen hat gesorgt, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) BA.5 und BA.4 als "variants of concern" eingestuft hat. "Das waren sie aber immer schon, sie gehören ja zu dem Omikron-Ast. Es gab kurzfristig die Überlegung, ob sie einen neuen Buchstaben bekommen müssten, aber die Veränderungen sind so minimal, dass das nicht nötig war. Und dadurch ist einiges an Verwirrung entstanden", erklärt Elling.

Kein Vergleich mit Portugal

Die Welle wird also kommen, aber sie dürfte nicht mehr so steil werden – anders als in Portugal und Südafrika, wo die Zahlen relativ stark gestiegen sind. In beiden Ländern gab es aber keine nennenswerte BA.2-Welle, damit ist der Schutz vor einer Infektion in der Bevölkerung schlechter. Portugal befindet sich außerdem erst am Anfang seiner Welle, das erklärt auch die steigenden Hospitalisierungen. In Südafrika gehen diese schon wieder zurück und waren insgesamt deutlich geringer als jene durch BA.1.

Derzeit ist Elling entsprechend nicht besorgt, was die Überlastung der Spitäler anbelangt, auch die BA.5-Variante führt wie alle Omikron-Subformen nicht zu schwereren Erkrankungen. Elling hat mit Kolleginnen und Kollegen für den Herbst fünf mögliche Szenarien entwickelt, diese reichen von "Die Pandemie ist beendet" über "Langsamer Übergang in die Endemie" bis zu "Die Pandemie eskaliert", etwa wenn große Teile des viralen Genoms ausgetauscht werden und das Virus den bisher aufgebauten Immunschutz komplett umgehen kann.

"Im Moment bewegen wir uns zwischen Szenario eins und zwei, es ist also kein Drama zu befürchten. Aber wir wissen natürlich nicht, welche Variante als Nächstes kommt und welche Entwicklung die mit sich bringt." Doch solange wir uns am Omikron-Ast befinden, könne man doch etwas aufatmen, das Risiko ist gering, und auch Lungenschäden sind nicht wirklich zu befürchten.

Nahtloser Übergang in die Herbstwelle?

Es kann aber passieren, dass wir von der prognostizierten Juli-Welle nahtlos in die Herbstwelle übergehen, das war auch im vergangenen Jahr bei Delta der Fall – und dann startet man von einem relativ hohen Niveau in die Herbstsaison. Elling: "Der saisonale Effekt, dass die Zahlen nach unten gehen, ist jetzt ausgeschöpft und wird mit der Dominanz von BA.5 völlig verloren gehen."

Und was Elling Sorge bereitet, ist die Gruppe der Vulnerablen und die Frage nach Long Covid: "Wir wissen einfach nicht, ob die Gefahr für Long Covid nur nach der ersten Infektion besteht, oder ob solche Langzeitfolgen auch nach einer zweiten, dritten, vierten Infektion auftreten können."

Das Fallen der Masken sieht er vor allem wegen der vulnerablen Gruppen kritisch: "Gewisse Maßnahmen werden wir in den Alltag übernehmen müssen, und da gehört wohl auch das Tragen von Masken etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln dazu. Ich finde es nicht zu viel verlangt, wenn man in engen Räumen auf gefährdete Personen Rücksicht nimmt." (Pia Kruckenhauser, 2.6.2022)