Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) steht vor der Aufgabe, die Forderungen von Verlegern, Privatsendern und ORF in einer Novelle zusammenzuführen.

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Wien – Bis in den Dienstagabend verhandelten Spitzenvertreter von ORF, Verlegern und Privatsendern bei Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) über ein neues ORF-Gesetz. Das Ergebnis laut mehreren Quellen: eine Gegenüberstellung der Verhandlungspositionen bis zu einem neuen Termin. Und die eine oder andere Überraschung im bunten Strauß der Forderungen.

Die Ausgangslage

Der ORF will mehr streamen und für Streaming produzieren dürfen und dafür möglichst Gebühren verlangen. Private Medien verlangen dafür vom Marktbeherrscher ORF deutliche Einschränkungen online und in der Werbung sowie ORF-Programme für ihre Kanäle. Sonst würde die Marktdominanz des ORF noch größer – er hat schon jetzt das weitaus größte Gesamtpublikum in TV und Radio und die unter österreichischen Anbietern dominierende Onlineplattform ORF.at.

Beschränkungen für ORF.at

Der ORF in Gestalt seines Generaldirektors Roland Weißmann soll in den seit Monaten laufenden Verhandlungen einiges angeboten haben: Einschränkungen bei der Radiowerbung etwa, Programme für private Sender, neue Beschränkungen für Textbeiträge auf ORF.at – kolportiert wurde ein Limit für frei zugängliche Meldungen, es pendelt zwischen 50 und 80 pro Tag, und ein Limit für Meldungslängen auf der blauen Seite, die ohne Anmeldung – womöglich mit GIS-Identifizierung – zu sehen sind. Hier war zuletzt die Rede von 2.000 oder 3.000 Zeichen – auch nur 140 wurden schon in die Diskussion geworfen.

Die Beschränkungen für die "blaue Seite" ORF.at fordern vor allem die Zeitungsverleger. Sie verweisen auf die mit Gebühren finanzierte Onlinekonkurrenz des ORF zu ihren wesentlich textgeprägten Angeboten.

Grünes Veto

Einschränkungen und GIS-Logins für die "blaue Seite" freilich lehnt die grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger schon lange und rundweg ab. Dienstagabend brachte sie ihre Position sehr bestimmt in die große Verhandlungsrunde bei Medienministerin Raab. Sitzungsteilnehmer wollen von Blimlinger gehört haben: "Euer Feind ist nicht der ORF, der Feind sitzt woanders." Sie habe die Position vertreten, dass österreichische Verleger und Sender von Onlinebeschränkungen des ORF nicht wesentlich profitierten – sondern internationale Digitalriesen wie Google, Facebook und Tiktok.

Verleger und Privatsender wiederum argumentieren, der ORF könne seine Inhalte – wie die "ZiB" für Instagram und Tiktok – nicht an diese internationalen Konzerne verschenken, die (auch damit) digitale Werbeumsätze generierten, auf Kosten der Werbeumsätze österreichischer Medien. Der ORF hält dagegen, er müsse diese Kanäle nutzen, um auch junge Menschen mit seinen Inhalten zu erreichen.

GIS-Volksbegehren

Die Verleger soll die forsche Position der Grünen nach den offenbar recht weit gediehenen Verhandlungen mit dem ORF eher irritiert haben. Sie winken dem ORF schon seit längerem mit einer größeren Keule: Die Printbranche – etwa Eugen Russ (Russmedia) aus Vorarlberg – spekuliert wie berichtet seit Monaten mit einem Volksbegehren gegen die GIS-Gebühren als Druckmittel für die Verhandlungen über ein neues ORF-Gesetz. Auch am Dienstagabend soll die Drohung wieder unter den Verhandlern über die Digitalnovelle aufgetaucht sein.

Und der "Kurier" verwies gerade rechtzeitig zur Verhandlungsrunde in seiner Abendausgabe in einem Schwerpunkt auf Pläne Frankreichs, die Rundfunkgebühren abzuschaffen. In Großbritannien wurden sie gerade für zwei Jahre eingefroren, was den BBC-Boss ein Sparpaket von 1.000 Jobs ankündigen ließ – weniger als fünf Prozent der BBC-Belegschaft von 22.000 Menschen.

Umgekehrt ist, wie Medienministerin Raab vor wenigen Wochen auch öffentlich erklärt hat, ein Schließen der Streaminglücke "Thema" in den ORF-Verhandlungen. Wie der ORF allerdings künftig auch für Streaming GIS verlangen kann, ist schon weniger klar. Blimlinger spricht sich schon seit langem eine Haushaltsabgabe aus, die in Deutschland und der Schweiz niedrigere Rundfunkgebühren ermöglichte – aber für alle Haushalte, die sie sich leisten können. Raab lehnt eine Haushaltsabgabe ab.

Jetzt aber schriftlich

Blimlinger soll aber auch den nächsten Schritt in den Verhandlungen über die Digitalnovelle vorgeschlagen haben: Verleger, Privatsender und ORF sollen in einem Papier die Punkte zusammentragen, über die sie sich schon geeinigt haben, wo eine Einigung noch aussteht und wo sie jeweils ihre roten Linien in den Verhandlungen ziehen.

Die Aufgabe ist nicht ganz neu: Medienministerin Susanne Raab hatte die drei großen Medialpartner Anfang April in bilaterale Gespräche über die zentralen Knackpunkte geschickt, einige Verhandler erwarteten, dass diese Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse in der jüngsten Sitzung vorlegen. Nun geht es in eine neue, schriftliche Runde – deren Ergebnisse offenbar noch im Juni vorliegen sollen. Ein Begutachtungsentwurf des Ministeriums vor dem Sommer wird damit aber schon recht knapp.

Überrascht hat laut mehreren Sitzungsteilnehmern auch Markus Breitenecker. Der Vizepräsident des Privatsenderverbands VÖP nahm neben dessen Präsident Christian Stögmüller an der Verhandlungsrunde teil. Womit? Breitenecker soll nun in einem neuen Konzept gefordert haben, dass der ORF all seine Inhalte privaten Medien zur Verfügung stellen soll. Dieses "totale Content-Sharing-Modell" soll nicht nur ORF-Chef Weißmann skeptisch aufgenommen haben. Dem wird die Verwunderung zugeschrieben, dass nach Breiteneckers Vorstellungen der ORF selbst seine Inhalte hinter ein GIS-Login stellen solle, die aber bei den Privaten praktisch frei zugänglich laufen würden.

Offizielle Stellungnahmen zu der – vertraulichen – Verhandlungsrunde stehen aus. (fid, 1.6.2022)