In Zukunft wird es Arbeitnehmern freistehen, ob sie Missstände im Betrieb über interne oder externe Kanäle melden. In beiden Fällen sollen Hinweisgeber geschützt sein.

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Schön langsam wächst sich die Peinlichkeit zum Trauerspiel aus: Anders als in Deutschland gibt es in Österreich fast sechs Monate nach Ablauf der Umsetzungsfrist betreffend die "Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden", noch keinen herzeigbaren Gesetzesentwurf.

Vielleicht schaden daher ein paar Anregungen für den Gesetzgeber nicht.

Das unbedingte Wahlrecht des Whistleblowers zwischen internen und externen Meldekanälen ist ein Grundpfeiler der Richtlinie und durchaus ein Eingriff in das sowohl in Österreich wie in Deutschland geltende, wenn auch nicht gesetzlich explizit verankerte Recht.

Denn derzeit gebietet die Treuepflicht dem Arbeitnehmer im Regelfall, sofern nicht Schwere des Verstoßes und hierarchische Position des vermuteten Urhebers solches sinnlos erscheinen lassen, zuerst den Weg der innerbetrieblichen Abhilfe zu gehen. Anderenfalls riskiert er sogar die Entlassung. Damit ist es künftig vorbei. Unternehmen werden daher gut daran tun, interne Meldungen möglichst attraktiv zu machen.

Vollständige Anonymität?

Dass der Entwurf des deutschen – und wie man vermuten darf, wohl auch des künftigen österreichischen – Umsetzungsgesetzes nicht die Einrichtung vollständig anonymer Meldekanäle vorsieht, kann man als Manko sehen. Die Richtlinie stellt die Einrichtung von Meldekanälen zur Entgegennahme und Verfolgung anonymer Meldungen in das Ermessen der Mitgliedstaaten.

Vor allem börsenotierte Unternehmen haben solche Kanäle zum großen Teil längst eingerichtet, und Unternehmen, die mit den USA zu tun haben, kommen darum schon deshalb letztlich nicht herum, weil die US-Justizbehörden das Fehlen anonymer Hinweisgeberkanäle als Mangel des Compliance-Managementsystems beurteilen. In den USA sieht der als Folge der Bilanzfälschungsskandale um Enron und WorldCom erlassene Sarbanes Oxley Act seit 2002 für jeden Wertpapieremittenten verpflichtend anonyme Hinweisgeberkanäle an das Audit Committee betreffend Fragen der Rechnungslegung und Bilanzierung vor.

Anwendungsbereich ausweiten!

Unbedingt anzuraten ist die Ausweitung des sich laut Richtlinie nur auf Verstöße gegen Unionsrecht beziehenden sachlichen Anwendungsbereichs. Sonst drohen skurrile Abgrenzungsprobleme bei einheitlichen Sachverhalten. Der deutsche Entwurf nimmt insbesondere das gesamte gerichtliche Strafrecht und das Verwaltungsstrafrecht insoweit mit auf, als die verletzte Norm dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient. Das ist sinnvoll, denn anderenfalls wäre auch das gesamte Arbeitnehmerschutzrecht nicht erfasst.

Den Schutz von Whistleblowern, insbesondere vor Repressalien, wenn die gemeldeten Informationen nicht korrekt sind und/ oder nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Umsetzungsgesetzes fallen, macht der deutsche Entwurf – im Einklang mit der Terminologie der Richtlinie – davon abhängig, dass der Whistleblower "hinreichenden Grund zu der Annahme" hatte, die Informationen für wahr und den vermuteten Verstoß für vom sachlichen Anwendungsbereich gedeckt zu erachten.

Das könnte man unbefangen auch so lesen, dass jede Form von Fahrlässigkeit dem Whistleblower schadet. In Paragraf 9 des deutschen Entwurfs heißt es aber, dass die Identität von Hinweisgebern nicht geschützt wird, die vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Informationen über Verstöße melden. Der österreichische Gesetzgeber sollte hier terminologisch klar sein. Leicht fahrlässig handelnde Whistleblower zu schützen ist sinnvoll und entspricht der Intention der Richtlinie.

Verbot von Repressalien

Beim Verbot von Repressalien wie Kündigung, Versetzung, Nichtberücksichtigung bei Beförderungen oder Ähnliches wird der Gesetzgeber nicht umhinkommen, eine echte Beweislastumkehr zu normieren, die über den Standard des Gleichbehandlungsgesetzes hinausgeht. Und das Umsetzungsgesetz sollte explizit die Unwirksamkeit von Kündigungen anordnen, die wegen der Tätigkeit als Whistleblower ausgesprochen wurden.

Diesbezüglich entspricht Paragraf 36 Abs 2 des deutschen Entwurfs nicht ganz der Richtlinie, weil diese verlangt, dass die Repressalie, z. B. eine Kündigung, überhaupt nicht wegen der Whistleblower-Tätigkeit erfolgte, also auch nicht durch überwiegende andere Gründe gerechtfertigt werden kann. Auch das erfordert ein Umdenken gegenüber der von der Kündigung aus verpöntem Motiv her bekannten Rechtslage.

Sinnvoll wäre es, wenn das Gesetz einen eigenen, fakultativen Betriebsvereinbarungstatbestand vorsähe, um die Einrichtung und Betreibung von Meldestellen samt den damit einhergehenden, auch datenschutzrechtlichen Fragen zu regeln. Es ist nämlich unklar, ob und inwieweit bestehende Mitbestimmungstatbestände greifen.

Für Unternehmensgruppen (Konzerne) liegt es nahe, Whistleblower-Meldestellen zentral zu bündeln, auch um Kosten zu sparen. Ein "Konzernprivileg" wie im deutschen Entwurf erlaubt die Richtlinie aber nicht. Sie gestattet bloß, dass mehrere Unternehmen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern für die Entgegennahme von Meldungen und die Durchführung von Untersuchungen ihre Ressourcen teilen, dabei aber die Vertraulichkeit unternehmensbezogen zu wahren haben.

Wenn kein Recht verletzt wird

Eine vor allem gesellschaftspolitisch wichtige Frage ist, ob der nationale Gesetzgeber über den Standard der Richtlinie hinaus auch Hinweisgeber schützen soll, die auf besonders bedeutsame und gravierende "Missstände" hinweisen, die nicht in der Verletzung geltender Rechtsvorschriften bestehen.

Der deutsche Entwurf sieht dies entgegen der Ankündigung im Koalitionspakt nicht vor. Die Vergangenheit zeigt aber, dass mehrere relevante Whistleblower-Fälle gerade Fallkonstellationen betrafen, wo sich höchst relevante Missstände im Rahmen geltender Rechtsvorschriften abspielten.

Erinnert sei an den Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch, deren von den nationalen Gerichten als gerechtfertigt beurteilte Kündigung Deutschland eine Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eintrug. Eine Regelung im österreichischen Gesetz wäre sinnvoll, ist aber legistisch herausfordernd. (Georg Schima, 2.6.2022)