Foto: Kevin Recher
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Ich hasse Curry, aber ich liebe die Queen. Also nicht auf eine monarchistische Weise, sondern in einer leicht obsessiven Verehrung einer Ikone der Weltgeschichte. Ich meine, 70 Jahre auf dem Thron sitzend hat sie gewaltige gesellschaftspolitische Umbrüche miterlebt, ganz zu schweigen von den ganzen Skandalen im eigenen Haus, wie kann man das nicht bewundern? Außerdem ist sie eine süße, kleine Oma.

Es gibt Phasen, wo ich und eine Freundin uns regelmäßig über die aktuellen Royals-Artikel der britischen Yellow Press "Daily Mail" austauschen: Wie viel Dreck hat Prince Andrew am Stecken, warum hassen die Briten Meghan Markle dieses Mal, und das Wichtigste – wie geht es der Queen? Jegliche ausgesprochenen Unkenrufe, die Queen könnte bald sterben, werden mit Auf-Holz-Klopfen neutralisiert. Wenn ich jemandem wünschen könnte, ewig zu leben, dann wären es Queen Elizabeth – und Richard Lugner.

Königliches Huhn

Als Queen Elizabeth II am 2. Juni 1953 gekrönt wurde, gab es natürlich ein riesiges Bankett mit feinsten Speisen. Für die neu gekrönte Königin wurde Consommé Royale, Filet de Boeuf Mascotte und Glace à la Mangue aufgetischt, was so viel heißt wie Suppe mit Eieinlage, Rinderfilet mit in Butter geschwenkten Artischocken und Mango-Eis. Für die Gäste, die der stundenlangen Zeremonie beiwohnen durften, gab es als Snack zwischendurch Poulet Reine Elizabeth oder Coronation Chicken oder, auf Deutsch, Krönungshuhn.

Dabei handelt es sich um gekochtes Huhn in einer Sauce aus Mayonnaise, Schlag und Curry. Gereicht hat man es zu einem Salat aus Reis, Erbsen und Kräutern. Das Rezept wurde im Zuge der Bankett-Vorbereitungen von der Floristin und Autorin Constance Spry und der Köchin Rosemary Hume, die in der Kochschule Le Cordon Bleu in London unterrichtet hat, kreiert. Als eher simples Gericht für die Krönungsfeierlichkeiten sollte das Krönungshuhn die verschiedenen internationalen Gäste mit ihren internationalen Geschmäckern gleichermaßen befriedigen und über den Tag bringen.

Bis heute hat sich das Coronation Chicken in der britischen Küche gehalten: Man findet es in Sandwiches mit Salat oder in Abwandlungen mit Mango, griechischem Joghurt oder Limetten. In manchen Rezepten werden sogar Rosinen in das royale Hendl gemischt. Davon ist im Originalrezept von 1953 natürlich keine Rede.

Zuerst ein ganzes Hendl kochen

Genau an das habe ich mich beim Nachkochen auch versucht zu halten. Aus zwei Komponenten besteht das Coronation Chicken: einem gekochten Huhn und der Currysauce. Für die Hendl-Grundlage soll dieses in Wasser mit einem Schuss Wein, Salz, ein paar Pfefferkörnern, einer Karotte und einem Bund Kräuter für 40 Minuten gekocht werden, oder "bis es zart ist". Wie genau das Huhn zu kochen ist, ob auf großer oder kleiner Flamme, steht nicht wirklich geschrieben, aus der Logik heraus lasse ich zuerst die Flüssigkeit mit dem klein geschnippelten Gemüse in einem weiten Topf aufkochen und gebe dann erst das Huhn hinein.

Das Hendl rund 40 Minuten auf niedriger bis mittlerer Flamme kochen, bis es ganz zart ist.
Foto: Kevin Recher

Gleich am Anfang wagte ich es, vom adeligen Rezept abzuweichen, indem ich wie der Pöbel Suppengrün dazugab, weil ich es gerade bei der Hand hatte. Das ist aber egal, geht es nur darum, das Hendl zart zu bekommen, die Suppe wird im weiteren Rezept eh nicht verwendet. 40 Minuten lasse ich das Hendl auf mittlerer Flamme köcheln, bis es in der ganzen Wohnung nach Huhn riecht und sich gefühlt auf alles ein Film von Hendlfett gelegt hat. Vor allem auf mich selbst. Mit einer Gabel teste ich, ob das Fleisch zart genug ist, dann lasse ich es in der Suppe abkühlen und wage mich an die irgendwie grausig klingende Sauce.

Seltsame Maßeinheiten

Wie gesagt, ich liebe die Queen, aber ich hasse Curry. Es ist einfach ein Geschmack, den ich nicht mag. Dass ich mich an dieses Rezept wage, hat vielleicht etwas mit Selbstgeißelung zu tun und einem inhärenten Drang, mich doch positiv überraschen zu lassen. Wenn man erzählt, dass die Sauce aus Mayonnaise, Curry und Schlag besteht, rümpfen Freunde die Nase. Wie soll denn das schmecken? Es klingt ja auch wie eine sämige, seltsam gewürzte "Tunke".

Das Originalrezept von 1953 im Kochbuch "The Constance Spry Cookery Book".
Foto: APA/AFP/CHRIS RADBURN

Ein Problem des Rezepts sind zum einen die wilden Mengenangaben. Gemessen wird in Weingläsern und komischen Löffeln, das Kochen wird wegen der Umrechnungen von Unze und Pint zur Mathe-Matura. Würde ich die Welt regieren, würde ich diktatorisch das metrische System durchsetzen, mit eiserner Faust, ohne Ausnahmen. Zum anderen ist die Auflösung des Rezeptfotos, sagen wir mal so, verbesserungswürdig: Selbst reinzoomen hilft mir nicht wirklich dabei herauszufinden, wie viel Pint Mayonnaise ich wirklich brauche.

Für die Sauce brauche ich zwei Unzen gehackte Zwiebeln. Das sind umgerechnet lächerliche 13 Gramm. Ich nehme eine halbe Zwiebel, viel zu viel, die Queen wird's mir verzeihen. Diese schwitze ich in Öl so lange an, bis sie glasig ist, und gebe dann einen "Dessertlöffel" Currypulver dazu. Gut, dass ich noch mal nachgeschaut habe, was ein Dessertlöffel wirklich ist. In meiner Naivität dachte ich, es entspricht einem Teelöffel, mit dem bei uns halt eben Nachspeisen gegessen werden. Aber ein britischer Dessertlöffel ist ein österreichischer Esslöffel. Ich gebe also noch mehr Curry dazu, auch was gelernt.

Nachdem das Currypulver angeröstet wurde, Tomatenmark, Lorbeerblatt, ein Weinglas Wein und ein dreiviertel Weinglas Wasser hinzugeben. Wenn Sie sich auch gefragt haben, ob mit der Mengenangabe Weinglas ein bis oben hin gefülltes gemeint ist, dann willkommen im Club. Es sind aber nur 60 Milliliter, ansonsten wär das eine sehr flüssige und eine sehr alkoholische Sauce geworden. Manche Gäste bei der Krönungsfeier hätten da sicher nichts dagegen gehabt. Ich auch nicht.

Ein Weinglas Rotwein hinzugeben – aber kein volles, wie ich kurz gedacht habe.
Foto: Kevin Recher

Nur mehr ein Hauch von Curry

Die Sauce zum Köcheln bringen, Zitronensaft, Salz, Zucker und Pfeffer nach Geschmack hinzufügen und reduzieren lassen. Die rotbraune Sauce durch ein Sieb streichen und abkühlen lassen. Die Reduktion schmeckt leicht säuerlich – zu viel Zitrone erwischt. Nachsalzen und mehr Pfeffer helfen, vom Curry ist nur eine Note zu schmecken, Gott sei Dank.

Jetzt heißt es, das Schlagobers aufzuschlagen, drei Esslöffel sollen rauskommen. Aus der Mengenangabe der Mayo bin ich nicht schlau geworden, optisch schaut sie ähnlich aus wie beim dreiviertel Weinglas Wasser, also nehme ich das her. Ich gebe also rund 250 Gramm Mayonnaise zum Schlag dazu – hat auch keiner behauptet, das Hendl sei leicht. Mit der Curry-Tomaten-Reduktion vermischen. Nicht vergessen, Marillen dazuzugeben – entweder getrocknete, ganz klein geschnitten, so wie ich das gemacht habe, oder in Form eines Pürees, wie es im Rezept steht. Wer experimentierfreudig ist, kann sicher auch Marillenmarmelade probieren.

Beim ausgekühlten Hendl das Fleisch von den Knochen lösen. Das Geflügel ist vom Kochen so zart, dass Haxen und Flügel sich problemlos trennen lassen sollten, und auch das Fleisch lässt sich ganz leicht ablösen. Mit den Händen dann zerfleddern und zerkleinern. Nun nur mehr die Sauce darüber geben und vermischen. Fertig ist das Krönungshendl.

Die Sauce zum zerkleinerten Hendl geben und schön vermischen.
Foto: Kevin Recher
Das fertige Coronation Chicken.
Foto: Kevin Recher

Wie schmeckt's?

Dass das Coronation Chicken in seiner Einfachheit es zu solch hohen Ehren vor 70 Jahren geschafft hat, ist schon irgendwie verwunderlich. Dass es sich gehalten hat und heute noch immer zubereitet wird, dagegen weniger: Das Hendl ist zart, würzig, aber nicht zu überwältigend, hat eine feine, aber nicht präpotente Currynote, die Mayonnaise-Schlag-Sauce begleitet das Fleisch in sämiger Komplexität. Pur, ganz ohne Beilagen, würde ich es nicht essen, dafür ist es dann doch zu mächtig. Der eigentlich dazu gereichte Reis ist bestimmt eine gute Ergänzung. Ich hab es zwischen Toastbrot mit Salat gegeben, wie man es in den Supermärkten Großbritanniens kaufen kann. Geschmacklich verträgt es für mich etwas Schärfe, ein paar Spritzer Chilisauce passen da ideal dazu. Das Coronation Chicken ist auch schnell gemacht, müsste man das Hendl nicht kochen und auskühlen lassen.

Eine Arbeitskollegin durfte testessen und wollte danach gleich das Rezept haben. Also ganz falsch lagen Constance Spry und Rosemary Hume mit ihrer Kreation nicht. Die Leute wollen doch Hendl essen! (Kevin Recher, 5.6.2022)