Auf Norbert Totschnig warten große Baustellen: Klimaschutz, Tierwohl und Umverteilung. Klären muss er, warum Österreich viel Getreide verfüttert und zu Sprit verarbeitet, anstatt wertvolle Agrarfläche für die Lebensmittelproduktion bereitzustellen.

STANDARD: In Ihrem Büro hängt gar kein Jungbauernkalender, für den Sie viele Jahre verantwortlich waren ...

Totschnig: Den letzten habe ich 2006 gemacht. Mein Anspruch war, nicht nur Dynamik, sondern auch viel Kultur hineinzubringen – mit Fotografen wie Elfie Semotan.

STANDARD: Sie fanden die ÖVP damals mindestens so sexy wie die Models dieses erotischen Wandkalenders. Wie passen die vielen Affären Ihrer Partei zum Selbstbild einer bodenständigen, ehrlichen Bauernschaft?

Totschnig: Wenn es Vorwürfe gibt, dann sind sie aufzuklären. Wenn es Verfehlungen gibt, sind sie zu ahnden. Die ÖVP ist innovativ und zugleich fest in ihren Werten. Ich habe ein christlich soziales Wertebild mit ökosozialer Ausrichtung. Es ist zeitlos und modern.

"Die ÖVP ist innovativ und zugleich fest in ihren Werten", sagt der neue Landwirtschaftsminister.
Heribert Corn

STANDARD: Von Chatprotokollen bis Vorarlberger Wirtschaftsbund: Beginnen viele Landwirte nicht an ihrer Mutterpartei zu zweifeln?

Totschnig: Ich zweifle nicht, und die Bauern und Bäuerinnen auch nicht. Themen, mit denen ich konfrontiert werde, sind Versorgungssicherheit und Entlastung. Die Betriebe haben große Kostensteigerungen bei Energie und Futtermittel. Mein erstes großes Projekt ist das Entlastungspaket. Ziel ist die Liquiditätssicherung der Bauern, damit sie anbauen und ernten können.

STANDARD: 3,5 Prozent der Erwerbstätigen sind Bauern, die nur 1,36 Prozent des BIP erwirtschaften. Täuscht der Eindruck, dass sie dennoch dank starker Lobby von jeder Regierung sehr gut bedient werden?

Totschnig: Die ökosoziale Steuerreform und das Teuerungspaket sollen die Inflation abfedern. Beim Entlastungspaket geht es darum, die Lebensmittelversorgung sicherzustellen. Hier haben die Bauern eine große gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

STANDARD: Viele Betriebe erzielen derzeit Rekorderlöse für ihre Rohstoffe. Wie passt das mit hohen pauschalen Förderungen zusammen?

Totschnig: Die Börsenpreise sind derzeit hoch, die Betriebskosten aber ebenso. Entscheidend ist, was im Herbst tatsächlich an Einnahmen übrig bleibt.

STANDARD: Wie bremsen Sie Spekulation? Halten Betriebe Getreide mit Blick auf noch höherer Preise zurück?

Totschnig: Das habe ich so noch nicht gehört.

Das Wort Subventionen hört Norbert Totschnig nicht gern: "Ich nenne es Ausgleichszahlungen. Das ist Geld für Umweltleistungen, von denen wir alle etwas haben."
Heribert Corn

STANDARD: Trotz aller Subventionen geben jährlich drei bis vier Prozent der Landwirte auf. Was läuft hier falsch?

Totschnig: Der Strukturwandel findet in allen Branchen statt, wir haben ihn seit dem EU-Beitritt in der Landwirtschaft deutlich gebremst. Sie nennen es Subventionen, ich nenne es Ausgleichszahlungen. Das ist Geld für Umweltleistungen, von den wir alle etwas haben. Ohne diese Ausgleichszahlungen wären viele Betriebe in benachteiligten Gebieten gar nicht lebensfähig. In Berggebieten wird traditionell stark im Nebenerwerb gearbeitet. Auch das bedeutet Stabilität.

STANDARD: Fließt das Geld nicht auch in falsche Kanäle? Die AMA etwa wird gut gefördert, viele Bauern klagen jedoch, das Gütesiegel sei wenig wert.

Totschnig: Das Geld über das Agrar-Umweltprogramm ist richtig investiert. Der österreichische Weg war beispielgebend für die Agrarreform der nächsten Jahre. Die Bekanntheit des AMA-Gütesiegels zeigt, wie erfolgreich diese Art der Bewerbung ist. Die Beiträge der Bauern werden hier sehr sparsam und zielgerichtet eingesetzt. Sehr wichtig ist es mir, regionale Produktion zu unterstützen. Die geplante Herkunftskennzeichnung wird hier als erster Schritt Wirkung zeigen.

STANDARD: Der EU-Rechnungshof geht mit Landwirten hart ins Gericht: Trotz Milliardenförderungen für Klimaschutz haben diese ihre CO2-Emissionen seit 2010 nicht reduziert. Ist das nicht eine Schande für ein Land, das sich als Vorzeigeschüler verkauft?

Totschnig: Für Österreich stimmt das nicht. Unsere Landwirtschaft hat den CO2-Ausstoß seit 1990 reduziert und ist nur für zehn Prozent der Emissionen verantwortlich.

STANDARD: Der Statistik des Rechnungshofes vertrauen Sie nicht?

Totschnig: Seit den 1990er- Jahren konnten wir ein Minus herauswirtschaften, weil wir immer sehr ökologisch gearbeitet haben.

STANDARD: Reden Sie sich hier nicht vieles schön? Die EU lobte beim nationalen GAP-Strategieplan die Aufstockung des Agrar-Umweltprogramms. Dennoch muss Österreich stark nachbessern – auch bei der Umverteilung.

Totschnig: Die Agrarreform wird ab 2023 umgesetzt. 40 Prozent der Maßnahmen müssen klimarelevant sein. Es wird mehr Leistung eingefordert, bei Klimaschutz, Umweltschutz, Tierwohl. Es ist gelungen, Mittel dafür aufzustocken. Die Bauern dürfen nicht auf den Kosten sitzenbleiben. Wir sind in intensiven Gesprächen mit der EU-Kommission und rechnen mit einem Abschluss im Sommer. Groß umverteilen müssen wir nicht. Wir haben keine Großbetriebe mit 1000 Hektar.

Der Bioanteil in der Landwirtschaft soll weiter steigen. Es brauche aber "mehr nachhaltige Beschaffung der öffentlichen Hand und Konsumenten, die Bio kaufen", sagt der Minister.
Heribert Corn

STANDARD: Was nicht reicht, sind die Erntehelfer. Manche Betriebe holen ihre Leute schon aus Vietnam. Hat das Zukunft?

Totschnig: Es ist eine große Herausforderung, auch angesichts der Krise in der Ukraine. Die Arbeit in der Landwirtschaft ist nicht leicht, wir wollen sie künftig so attraktiv wie möglich gestalten.

STANDARD: Der Landwirtschaft eilt der Ruf der Dumpinglöhne voraus.

Totschnig: Nein. 1500 Euro Mindestlohn wurden auch in der Landwirtschaft umgesetzt. Wir haben gleichgezogen mit anderen Branchen.

STANDARD: Österreichs Landwirtschaft soll bis 2030 zu einem Drittel biologisch geführt sein. Was werden Sie beitragen, damit das gelingt?

Totschnig: Wir sind mit derzeit 26 Prozent Bioanteil europaweit Spitze. Es braucht aber mehr nachhaltige Beschaffung der öffentlichen Hand und Konsumenten, die Bio kaufen.

STANDARD: Stichwort Lebensmittelsicherheit: Warum landet mehr als die Hälfte unseres Weizens in Futtertrögen und als Sprit im Tank? Agrarökonomen sehen darin massive Ressourcenverschwendung, vor allem in Zeiten, in denen um jede Tonne Getreide gerungen wird.

Totschnig: Ich sehe den wirklichen Hebel in der Frage der Lebensmittelverschwendung. Österreich produziert wertvolles Futter wie Eiweißprodukte. Wir sind aber Teil des Binnenmarkts. Bei Schweinefleisch haben wir 100 Prozent Eigenversorgung – es gibt eine starke Nachfrage nach diesen Lebensmitteln.

STANDARD: Das beantwortet nicht, warum wir so viel Getreide verfüttern. Was halten Sie von Prämien für Betriebe, die ihre Tiermast reduzieren?

Totschnig: Wir haben bei Schweinefleisch 100 Prozent Eigenversorgung – es gibt eine starke Nachfrage nach diesen Lebensmitteln.

STANDARD: Österreich erzeugt konventionelle Milch im Überschuss. Wir essen drei Mal mehr Fleisch als es Ernährungswissenschaftler empfehlen.

Totschnig: Wir wollen, dass Konsumenten regional kaufen. Österreich hat zudem große Grünlandflächen, die sich zu Milch und Fleisch veredeln lassen. Molkereien sind innovativ, haben Absatz im In- und Ausland. Die Entscheidung, was Konsumenten essen, sollte man ihnen selbst überlassen

STANDARD: Vice versa beklagen viele Wirte, sie würden gern inländisches Kalbfleisch kaufen. Es gäbe davon jedoch zu wenig. Offenbar produzieren viele Bauern am Markt vorbei?

Bei seinem Wirt fragt er nach eigenem Bekunden jedes Mal nach, woher das Fleisch für Schnitzel, Hendl oder Steak kommt. Die Gastronomie zur Herkunftskennzeichnung verpflichten will er nicht.
Heribert Corn

Totschnig: Es gibt das Projekt Kalbfleisch rosé. Wer es will, bekommt es auch. Er muss aber entsprechend dafür bezahlen. Hier wird manchmal die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

STANDARD: Fragen Sie bei Ihrem Wirten nach, woher das Fleisch für Ihr Schnitzel, Hendl oder Steak kommt?

Totschnig: Ich frage jedes Mal nach.

STANDARD: Werden Sie auch die Gastronomie zur Herkunftskennzeichnung verpflichten?

Totschnig: Die Herkunftskennzeichnung in der Gemeinschaftsverpflegung und bei verarbeiteten Produkten wird gerade umgesetzt – das ist ein erstes wichtiges Signal. Mit der Gastronomie gibt es freiwillige Programme, etwa AMA-Gütesiegel.

STANDARD: Wie glaubwürdig ist Qualität aus Österreich, wenn Schweine weiterhin auf Vollspaltenböden auf engstem Raum leben, ohne Betäubung kastriert werden und ihnen routinemäßig der Schwanz kupiert wird?

Totschnig: Das Tierwohlpaket der Koalition beinhaltet die größte Weiterentwicklung seit Bestehen des Bundestierschutzgesetzes. Ab 2023 gibt es für Schweine mehr Platz und Beschäftigungsmöglichkeiten. Dieser höhere Standard wird rasch die Regel sein. Nur Schweden und Finnland sind weiter. Wir müssen die gesamte Wertschöpfungskette bedenken. Wer höhere Standards bestellt, der muss sie auch kaufen.

STANDARD: Machen Sie es sich nicht zu leicht, sich auf Konsumenten auszureden? Soll an der Supermarktkasse über Tierleid abgestimmt werden?

Totschnig: Schrauben wir Tierwohl-Standards zu hoch, verlieren wir die heimischen Bauern. Sind ihre Produkte zu teuer, werden sie durch billigere aus dem Ausland ersetzt.

STANDARD: Ihre Vorgängerin hat dem Lebensmittelhandel Erpressung von Lieferanten und Täuschung der Konsumenten durch Lockartikel vorgeworfen. Zurecht?

Seinen letzten Bock geschossen hat Norbert Totschnig, wie er sagt, vergangenes Jahr.
Foto: Heribert Corn

Totschnig: Wir haben mit dem Fairnessbüro eine neue Einrichtung geschaffen. Wer gegen unfaire Praktiken kämpft, kann dort um Unterstützung bitten. Wir haben dafür acht Jahre lang gekämpft. Verwerfungen werde ich ansprechen. Mein Zugang ist ein partnerschaftlicher.

STANDARD: Wird Österreich aufgrund des Ukraine-Krieges größere Getreidelager anlegen?

Totschnig: Ich bin gegen Einzelgänge, sondern für Maßnahmen im europäischen Gleichschritt.

STANDARD: Sie selbst beschreiben sich als Bauernsohn, der an Arbeit gewöhnt ist. Wann haben Sie das letzte Mal einen Stall ausgemistet oder eine Kuh gemolken?

Totschnig: Ich habe, bis ich 18 war, auf dem Hof mitgearbeitet. Komme ich heim, packe ich natürlich an. Aber Stallwirtschaft schaut heute anders aus als vor zwanzig Jahren. Was ich daheim gelernt habe, ist Arbeit zu sehen und sie zu machen.

STANDARD: Einer Ihrer Vorgänger, auch ein Tiroler, ist bei seiner Angelobung mit einer ungewöhnlichen Gelöbnisformel aufgefallen. "Herr Bundespräsident, ich gelobe, so wahr mir Gott helfe und vor dem heiligen Herzen Jesu Christi. Tirol ist das Herz-Jesu-Land." Was verbinden Sie damit?

Totschnig: Ich habe die Formel mit: "Ich gelobe" ausgesprochen. Das ist mein Weg.

STANDARD: Haben Sie daheim einen Herrgottswinkel?

Totschnig: Bei mir zu Hause hängt ein Kreuz.

STANDARD: Es heißt, Sie jagen gern im Wienerwald. Wann haben Sie zuletzt einen Bock geschossen?

Totschnig: Letztes Jahr. (Regina Bruckner, Verena Kainrath, 2.6.2022)