Wien – Einen Konsens gibt es im Land: Es muss etwas gegen die zunehmend ausufernde Inflation passieren. Vor allem für die besonders betroffenen jene Menschen mit niedrigen Einkommen. Beim "Was" scheiden sich die Geister. Vorschläge von wissenschaftlicher Seite wie dem Wifo und dem IHS gehen in eine klare Richtung, nämliche jene der Indexierung von Sozialleistungen.

Jüngst forderte Wifo-Ökonom Josef Baumgartner im STANDARD, Leistungen wie die Familienbeihilfe oder die Mindestsicherung automatisch und vierteljährlich an die Teuerung anzupassen. Dadurch würden Unterstützungsmaßnahmen deutlich schneller wirken, und man sei als Staat flexibler. In eine ähnliche Richtung geht das IHS, mit der Forderung von besser administrierten Teuerungsausgleichen. Jahrelang war die Inflation niedrig, jahrelang wurde kaum etwas angepasst, jahrelang war all das kein Thema. Seit Herbst des vergangenen Jahres hat sich das mit dem sprunghaften Anstieg der Teuerung geändert. Betroffen sind vor allem Bezieher von Transferleistungen.

Immer weniger können sich Menschen für ihr Geld kaufen. Die Inflation ist aktuell so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Foto: APA/BARBARA GINDL

"Familienbeihilfe und Pflegegeld machen im unteren Einkommensdrittel viel aus", sagt etwa der stellvertretende Direktor der Diakonie Martin Schenk. Passiert sei in jüngerer Vergangenheit nicht viel. "Für Arbeitslose gab es während der Pandemie Einmalzahlungen, aber auch Arbeitslosengeld wird nicht regelmäßig an die Inflation angepasst."

Wertverlust von Beihilfe

Auch Familien haben vermehrt zu kämpfen, die Familienbeihilfe wurde zuletzt 2018 erhöht. Berechnungen des Wifo zufolge bedeutete das bis Ende 2021 einen realen Kaufkraftverlust von rund sechs Prozent. Im laufenden Jahr sollen noch einmal fünf Prozent an Wertverlust dazukommen.

Geht es nach Schenk, müsste man die Familienbeihilfe seit dem Jahr 2000 um 30 Prozent erhöhen, um die aktuelle Entwicklung abzufangen. Selbiges gelte auch für andere Bereiche wie Ausgleichszahlungen. Schenk unterstreicht seine Forderung mit Zahlen. Die Ausgleichszulagen müssten – gerechnet mit einer Inflationsrate von sieben Prozent – um 70 Euro pro Monat steigen. 960 oder 1030 Euro zur Verfügung zu haben mache viel aus.

Wifo-Forscherin Christine Mayrhuber nennt die Sozialhilfe als "zentrale Leistung für die Absicherung nach unten". Sie orientiert sich am sogenannten Ausgleichszulagenrichtsatz, der eine zentrale Rolle für die Höhe diverser Leistungen spielt. Der Richtsatz wird im Gleichklang mit den Pensionen an die Inflation angepasst. Überdies ist er die Maßschnur für die bedarfsorientierte Mindestsicherung. "Der Richtsatz wurde zuletzt immer höher angepasst als die Pensionen, die sich wiederum an der Inflation orientieren." Um drei Prozent wurde er heuer angehoben, 3,5 Prozent waren es vergangenes Jahr.

DER STANDARD

Berechnungsproblem

Das Problem: Erfolgte die Anpassung Anfang 2022, so berechne diese sich an der Preisentwicklung aus dem Vorjahr – und bildet eine Inflation von 1,8 Prozent ab. Mit der derzeitigen Inflationsrate von acht Prozent passe das naturgemäß schlecht zusammen. Mayrhuber spricht sich deswegen für weitere Einmalzahlungen aus.

Vor allem Niedrigverdienerinnen macht die aktuelle Teuerungsrate, die laut Schnellschätzung der Statistik Austria im Mai bei acht Prozent liegt, schwer zu schaffen. Sie geben bekannterweise einen großen Anteil des Einkommens für Lebensmittel und Energie aus – zwei besonders stark betroffene Bereiche.

Sorge um soziale Sicherheit

Der Chef der Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen, Clemens Mitterlehner, will nicht schwarzmalen, sorgt sich langfristig jedoch um die soziale Sicherheit: "Sozialleistungen anzupassen ist längst überfällig. Jetzt fällt auf, wovon viele Menschen leben müssen." Alleinerziehende mit Kindern etwa. Ein Kind koste rund 800 Euro im Monat. Wenn die Familienbeihilfe bei 160 bis 180 Euro liege, gehe sich das alles kaum aus. Der Ausgleichszulagenrichtsatz für alleinstehende Personen (laut ASVG) für das Jahr 2022 mit 1030 Euro sei kräftig entwertet.

Ideen wie der Indexierung von Sozialleistungen kann die ÖVP wenig abgewinnen. Man wolle die Menschen zwar weiter entlasten, derartige Maßnahmen seien aber nicht geplant. Ziel sei es eher, die kalte Progression abzuschaffen. (Regina Bruckner, Andreas Danzer, 2.6.2022)