Das Seegras Posidonia australis kann immense Flächen einnehmen.
Foto: Rachel Austin

Unter der Meeresoberfläche verborgen lebt eine Pflanze, bei der es sich einem australischen Forschungsteam zufolge um das größte Gewächs und sogar den größten Organismus der Erde handelt, der bisher bekannt ist. An der Westküste Australiens, rund 800 Kilometer nördlich der Stadt Perth, befindet sich der riesige Seegrasteppich, der etwa 180 Kilometer Länge misst. Genauer gesagt ist das botanische Ungetüm in der Meeresbucht Shark Bay anzutreffen, die seit 1991 zum Unesco-Weltnaturerbe gehört.

Mindestens 4.500 Jahre dürfte das Seegras-Exemplar Zeit gehabt haben, auf sein jetziges Ausmaß anzuwachsen, das etwa eine Fläche von rund 200 Quadratkilometern einnimmt – das sind mehr als 20.000 Fußballfelder, oder ungefähr die Hälfte der Stadt Wien. So lautet die Einschätzung des Forschungsteams der University of Western Australia und der Flinders University in Adelaide, das im Fachjournal "Proceedings of the Royal Society B" von seinem Fund berichtet.

Kolonisierender Keimling

Die Forschenden waren nicht aktiv auf der Suche nach der größten Pflanze der Welt, sondern stießen – wie so oft – zufällig auf diese Erkenntnis. Ursprünglich wollten sie herausfinden, wie genetisch divers eine Seegraswiese ist, und nahmen dafür Proben. "Wir werden oft gefragt, wie viele verschiedene Pflanzen in Seegraswiesen wachsen, und dieses Mal haben wir genetische Werkzeuge benutzt, um dies zu beantworten", sagte die Evolutionsbiologin Elizabeth Sinclair. Wie ihre Kollegin und Erstautorin Jane Edgeloe berichtet, sammelte das Team hierfür Seegrastriebe der Spezies Posidonia australis an zahlreichen Stellen der Bucht und erstellte einen "Fingerabdruck" aus 18.000 genetischen Markern.

Dann die Überraschung: Alle Proben waren genetisch identisch – bei dem Gewächs handelt es sich um einen einzigen zusammenhängenden Organismus. "Das Ergebnis hat uns schlicht umgehauen – es gab nur eine einzige Pflanze, die sich über 180 Kilometer erstreckt", sagte Edgeloe. Die Seegraswiese sei wahrscheinlich aus einem "einzigen, kolonisierenden Keimling" entstanden, der sich immer weiter ausgebreitet habe.

Widerstandsfähiger als "Pando"

Die flache Umgebung der Shark Bay mit ihren sandigen Sedimenten sei ideal für das klonale Wachstum von Seegraswiesen. Wie die Pflanze es geschafft habe, so lange zu überleben und dabei noch so gut zu gedeihen, sei aber ein Rätsel. Weitere Studien sollen nun klären, warum der Klon mit wechselnden Umweltbedingungen so gut zurechtkommt. Sicher sei, "dass er eine Widerstandsfähigkeit gegenüber variablen und oft extremen Bedingungen entwickelt hat, die es ihm ermöglicht, jetzt und in Zukunft zu bestehen", heißt es in der Studie.

Die Shark Bay an der Westküste Australiens lieferte für den Keimling jahrtausendelang gute Bedingungen.
Foto: Angela Rossen

Erst vor wenigen Jahren hatte ein Forschungsteam in Nordamerika einen riesigen Verbund von 47.000 Zitterpappeln mit identischem Erbgut entdeckt – die Bäume sind unterirdisch durch Wurzeln verbunden. Auch dieser sogenannte Pando existiert wahrscheinlich schon seit tausenden Jahren. Dieser "Wald aus einem Baum", der quasi die außerhalb des Meerwassers gelegene Konkurrenz der Seewiese ist, wiege 5,9 Millionen Kilogramm und wachse auf 43 Hektar, schrieb das Team um Paul Rogers von der Utah State University 2018 im Fachblatt "PLOS One". "Pando" ist lateinisch und heißt "ich verbreite mich". Allerdings ist der schwergewichtige Organismus in Gefahr und in seinem Ausmaß bereits stark zurückgegangen. Daneben gibt auch Pilze, die immense Flächen einnehmen – etwa den Dunklen Hallimasch, der mehr als 1.000 Fußballfelder einnehmen kann. (red, APA, 2.6.2022)