Julian Radlmaiers Film "Blutsauger" lässt fast surrealistisch Motive kollidieren.

Foto: Filmgarten

Dem Marxismus hätte vermutlich nicht viel Schlimmeres passieren können als seine Umsetzung. Dass ein Monster wie Josef Stalin im Namen einer vorgeblich wissenschaftlichen Weltanschauung Millionen Menschen den Tod bringen konnte, wirft bis heute ein schlechtes Licht auf den Theoretiker des Kapitals, auf Karl Marx, und auf die, die gern mit seinem Instrumentarium weiterdenken würden. Vielleicht gibt es aber noch unentdeckte Formen der Umsetzung.

Diesen Gedanken legt Julian Radlmaiers Film Blutsauger nahe, in dem ein Opfer Stalins eine wichtige Rolle spielt und in dem das marxistische Denken nicht so sehr angewandt oder auf den neuesten Stand gebracht, sondern originell umgesetzt werden soll. So wie man einen Baum umsetzt, damit er besser wachsen kann.

Der falsche Baron

In Blutsauger gerät ein Mann "aus der klassenlosen Gesellschaft" im Jahr 1928 nach Norddeutschland. Er heißt Ljowuschka und wird irrtümlich für einen Baron gehalten. In der Sowjetunion war er als Schauspieler tätig, er hatte für Sergei Eisenstein in dem Revolutionsfilm Oktober den Leo Trotzki gespielt, der bei Stalin in Ungnade fiel und aus dem Film geschnitten wurde.

Ljowuschka ist also ein frühes Opfer der berüchtigten Säuberungen, das macht ihn in den Augen der herrschenden Klasse in Deutschland zu einem idealen Kandidaten, der den Werktätigen in der Fabrik von Octavia Flambow-Jansen (Lilith Stangenberg) etwas vom "Kommunismus aus der Opferperspektive" erzählen könnte.

Neues linkes Kino

Julian Radlmaier hat schon mit seinem ersten Film Ein Gespenst geht um in Europa (2013) das Vokabular des Kommunismus aufgerufen, es folgten Ein proletarisches Wintermärchen und die Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes. Damals wurde klar, dass sich da ein origineller Neuansatz bei klassischen Formeln eines linken, agitatorischen Kinos abzeichnete, das sich im 20. Jahrhundert darum bemüht hatte, selbst revolutionäre Avantgarde zu sein und die Erkenntnisprozesse des Proletariats nicht nur zu stimulieren, sondern vorwegzunehmen.

Die Pilgerreise in Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes setzte deutlich bei einem heimatlosen Linken wie Pasolini an und ließ keinen Zweifel daran, dass das Ziel der Neuerfindung eines linken, nicht dogmatischen Kinos in den Gefilden der Komödie zu finden sein müsste.

Hintersinnig komisch

Komisch ist auch Blutsauger, wenngleich auf eine hintersinnige Weise. Radlmaier arbeitet mit langsam zündendem Slapstick und lässt fast surrealistisch Motive kollidieren – zuvorderst das Vampirmotiv des aussaugenden Kapitalismus aus dem Titel.

Es ist schließlich der Hofnarr Ljowuschka, der zur Kristallisationsfigur wird, ohne dass es dazu alter Opfer- oder Märtyrerlogiken bedürfte. Die Hoffnungen des Jahres 1917 werden auf die Formel "Blumenkohl für alle" gebracht, und wenn er mit einem Blumenstrauß in der Hand auf einen Aufgeknüpften eines Aufruhrs trifft, hat er etwas von einem heiligen Idioten.

Dass Alexandre Koberidze, der Schauspieler des Ljowuschka, selbst als Regisseur einen der besten Filme des aktuellen Kinojahres gemacht hat (Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen), ist ein Zeichen, dass im deutschen Kino die intellektuellen und die poetischen Traditionen zusammenwirken. (Bert Rebhandl, 3.6.2022)