Der Öko-Stopp bei den zwei großen Streitfällen kommt zu spät, sagt Staats- und Verwaltungsrechtler Gerhard Strejcek im Gastkommentar.

Besetzt und wieder geräumt: Protest gegen Stadtstraße und Lobautunnel vergangene Woche in Wien-Donaustadt.
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Zwei große Infrastrukturprojekte der Asfinag liegen derzeit auf Eis. Der Streit um die fehlende Nordostverbindung der Wiener Außenringumfahrung (S1) und um die Traisentalschnellstraße in St. Pölten-Süd (S34) ist wieder hochgekocht. Bald sollen auch die Gerichte neue Arbeit für die Rechtskontrolle des Straßenbaumoratoriums bekommen.

Mit Gutachten und juristischer Unterstützung bewehrt traten in Wien Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) und Rechtsanwalt Christian Onz eloquent pro S1 auf, auch wenn diese einer heiklen Donau- und Lobauquerung bedarf. Und beim Parteitag der Wiener SPÖ vor wenigen Tagen fand ein roter Bezirksvorsteher gar unfreundliche Worte für Klimaschützerinnen und Klimaschützer. In St. Pölten forderte Bürgermeister Matthias Stadler, der sich auf Verfassungsrechtler Heinz Mayers Expertise beruft, den S34-Bau, der ohne Zweifel auch landwirtschaftlich genutzte Flächen durchschneidet und den im Mostviertel wichtigen Obstbau beeinträchtigt.

Emotionsbeladene Lobauquerung

Dennoch haben beide seit Jahrzehnten gereifte und rechtlich abgesegnete Projekte eine zentrale Entlastungs- und Infrastrukturfunktion, sie sind objektiv im Lichte neu entstandener Stadtviertel und einer EU-bedingten Europatransversale hochrangiger Straßenverbindungen unverzichtbar. Was die kommunalen Planungen betrifft (Stichwort Stadtstraße) wurden diese noch in Zeiten der rot-grünen Koalition in Wien beschlossen, also auch von den Grünen mitgetragen. Zudem hat die Stadt, der man wirklich nicht den Vorwurf des "Betonierens" machen kann, gelobt, die noch grauen Asperner Flächen nachhaltig zu begrünen. Aber auch die emotionsbeladene Lobauquerung ist sinnvoll und aus mehreren Gründen unverzichtbar.

Grundsätzlich ist gegen einen sachlich geführten, juristischen Auslegungs- und Meinungsstreit nichts einzuwenden, das Abwägen von Pro und Kontra hat auch für vergleichbare und künftige Planungsfragen Gewicht. Daher sind auch die Argumente der Gegnerinnen und Gegner zu respektieren. Für den Ausgleich solcher Fragen sind im Rechtsstaat die Gerichte da. Aber dennoch stellt sich die Frage, ob das Geld, das jetzt für die Aufarbeitung der Rechtmäßigkeit des – willkürlichen und viel zu spät gesetzten – Stopps ausgegeben wird, nicht besser dem Schutz der Umwelt, des Klimas und Erleichterungen des Verkehrs direkt zugutekommen sollte. Gute Gründe sprechen dafür, dass es in der nun angebrochenen Phase der Planung und rechtlichen Festlegung (!) der genannten Projekte schlicht zu spät ist, um die Stopptaste zu drücken. Der Schaden, der dadurch entsteht, dass jahrelang gestritten und vermutlich doch ab 2030 gebaut wird, ist bei weitem größer als der potenzielle Nutzen, der Natur und Klima hier zugutekommen könnte.

"Es ist an die Vernunft zu plädieren, diese Projekte nun auch umsetzen zu lassen."

Es darf nicht vergessen werden, dass der an beiden Schwachpunkten bestehende Dauerstau nicht durch die Verhinderung des jeweiligen Ausbauprojekts vermindert, sondern eher noch vergrößert wird. Im Fall der ökologisch vertretbaren Unterführung der Lobau – der Ausdruck Lobauautobahn ist eine polemische Verzerrung! – und der Anbindung der S1 an die von der Slowakischen Republik kommenden transeuropäischen, hochrangigen Straßenverbindungen kann sogar eine nennenswerte Verminderung von Emissionen und eine spürbare Entlastung der niederösterreichischen Außenrandgemeinden (Raasdorf etwa) erreicht werden. Es ist daher an die Vernunft zu plädieren, diese Projekte nun auch, wie es durch mehrere rechtlich bindende Schritte vorgegeben ist, ohne weitere Verzögerungen umsetzen zu lassen. Die angedachten Sanktionen gegen die Klimaschutzministerin wären weder sinnvoll noch notwendig.

Würde Leonore Gewessler gesichtswahrend, unter ausdrücklicher Anerkennung anderer ökologischer Maßnahmen (zu denen auch das Klimaticket zählt) nachgeben, könnte die Asfinag die Projekte abschließen und in die Verwirklichungsphase übertreten. Es könnten auch Schadensersatzklagen oder eine beim Verfassungsgerichtshof auszutragende zivilrechtliche Streitigkeit zwischen zwei Ländern und dem Bund unterbleiben; das Einsparungspotenzial könnte direkt in Lärm- und Emissionsschutz und Einhausungen fließen.

Ausbaufähiges Prozedere

Und es könnte die Planung künftiger Großprojekte auf eine neue, den Entwicklungen in der EU Rechnung tragende Ebene unter stärkerer Einbeziehung der NGOs samt Parteistellung zum Tragen kommen. Tatsächlich ist das Bundesstraßengesetz, das wesentliche Planungsnormen des Bundes enthält, hinsichtlich des Prozederes ausbaufähig. Es stammt in seiner Grundstruktur aus einer Ära (1971), in der Umweltaspekte dem Verkehr ohne viel Federlesens untergeordnet wurden.

Gleichwohl haben die beiden umstrittenen Projekte bereits alle, auch durch die Umweltverträglichkeitsprüfung zu schützenden Hürden gemeistert; und daher wäre es ein Anschlag auf den Rechtsstaat, diese durch plakative Maßnahmen des "anhaltenden Moratoriums" von der Tagesordnung abzusetzen und langfristig zu verzögern. (Gerhard Strejcek, 3.6.2022)