"Hodl" bleibt wohl auch weiter eine gute Devise für Bitcoin-Anleger.

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Der Einbruch des Terra USD (mittlerweile TerraClassic USD, kurz UST), der algorithmisch Parität zum US-Dollar wahren sollte, nebst dem zugehörigen Luna Coin, hat auch dem Kurs der Krypto-Leitwährung Bitcoin einen deutlichen Dämpfer beschert. Denn besichert war der Terra USD mit einer Bitcoin-Reserve im Gegenwert von etwa ein bis zwei Milliarden Dollar, die zwecks Wertstabilisierung in Windeseile für den Ankauf des Terra-Dollar genutzt wurde. Die Verkäufe sorgten für ein Minus beim Bitcoin, die Rettung von Terra gelang trotzdem nicht.

Die Causa machte Schlagzeilen, auch außerhalb der Krypto-Sphäre. Und so manche Kritiker sahen sich einmal mehr in ihrem Urteil bestätigt, dass die Krypto-Ökonomie ein Holzweg ist und auch der Bitcoin in der Praxis nicht als Geldmittel zu gebrauchen sei. Wie sieht er nun aus, der Status quo? Was kann man aus dem Terra-Absturz lernen? Hat das Projekt überhaupt noch eine Zukunft? Und was bedeutet das alles für den Bitcoin? DER STANDARD hat mit Philipp Sandner, Gründer und Leiter des Blockchain Center an der Frankfurt School of Business, sowie Maximilian Bruckner, Head of Sales & Marketing der 21e6 Capital AG, gesprochen.

DeFi, NFT und Metaverse

In den letzten Jahren, so Sandner, hat sich vieles getan in der Kryptowelt. NFTs haben die Bühne betreten, der Sektor der "Decentralized Finance" eröffnet innovative neue Finanzmärkte, und der Begriff "Metaverse" ist in aller Munde. Zwar denken dabei viele an "Ready Player One", doch bis dahin ist es noch ein längerer Weg. Als sehr bedeutende kommende Änderung beschreibt Sandner den Wechsel der Ethereum-Blockchain vom Proof-of-Work auf ein Proof-of-Stake-System. Dieses soll nicht nur ihren Energieverbrauch deutlich reduzieren, sondern sie auch besser skalierbar machen.

Als weiteres wichtiges Thema sieht er die Regulierung von Krypto-Assets. Eine solche wird in den USA intensiv diskutiert. In der EU wird es mit MiCA (Markets in Crypto Assets) bald ein vereinheitlichtes Regelwerk geben. Unter Banken und Regierungen hat sich nach Sandners Ansicht außerdem die Auffassung durchgesetzt, dass Bitcoin und Co gekommen sind, um zu bleiben. Dementsprechend wird vielerorts an Krypto-Strategien gearbeitet.

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Blinde Renditenjagd

Doch zurück zu Terra. Das Ökosystem war zwar noch sehr jung, aber mit einer Marktkapitalisierung von 70 Milliarden Dollar bereits unter den top fünf hinter Bitcoin und Ethereum, erläutert Maximilian Bruckner. Aber nicht nur dadurch hatte es einiges an Bedeutung erlangt. "Stablecoins wie der UST werden auf dezentralisierten Börsen häufig als Liquidität und für Trading-Paare verwendet, so gewann Terra einen gewissen Grad an Systemrelevanz."

Eine wichtige Rolle für das Wachstum war das Versprechen von bis zu 20 Prozent Zinsen für UST-Anleger dank des auf der Terra-Blockchain laufenden Kredit-Protokolls "Anchor". "Das Geld dafür wurde nicht durch Zinsen aus Krediten generiert, sondern eine speziell dafür angelegte ‘Yield Reserve’ wurde von der Luna Foundation Guard mehrmals mit hunderten Millionen US-Dollar aufgefüllt, damit Anchor weiterhin die hohen Zinsen auszahlen konnte", so Bruckner weiter. "Da UST als Stablecoin normalerweise kein Preisrisiko darstellen sollte, konnte man so also mit sehr geringem Risiko 20 Prozent jährliche Rendite erwirtschaften. Dass das Modell nicht nachhaltig war, wollte man in der Breite einfach nicht einsehen."

Terra ist (noch) kein hoffnungsloser Fall

Der UST wurde damit zu einem weiteren Beispiel eines gescheiterten algorithmischen Stablecoin. Das Konzept, erklärt Philipp Sandner, wäre an sich vielversprechend und wird auch deswegen immer wieder neu erprobt. Denn sie sind einerseits dezentral und andererseits kapitaleffizient, da für ihre Deckung kein Geld "einfach auf dem Konto herumliegen" müsse. Gleichzeitig erhöht dies aber auch das Risiko. Ein weiterer Vorteil liegt in ihrer besseren Skalierbarkeit, weil dank der Automatisierung durch den Algorithmus erhöhte Nachfrage schnell bedient werden kann. Der praktische Durchbruch ist algorithmischen Stablecoin bislang allerdings nicht geglückt.

Aber in welcher Situation steckt das Terra-Projekt nun? Droht ihm der Absturz in die Obskuranz? Nicht unbedingt, meint Sandner. Seit kurzem versucht man es mit einer neuen Blockchain, genannt Luna 2.0. Auf algorithmische Stablecoin wird nun verzichtet. Besitzer des mittlerweile weitestgehend wertlosen alten Luna-Token sollen per Airdrop – sprich mit geschenkten neuen Tokens – im Ökosystem gehalten werden. Auch wenn der Neustart zumindest zunächst mit einem weiteren Kurssturz verbunden war, bekommt er Unterstützung wichtiger, großer Kryptobörsen wie Binance, Kraken, FTX und Huobi.

Die Zukunft wird weisen, ob Terra ein Comeback gelingt, doch als ein wichtiges Learning sieht Bruckner, dass hohe Zinsen eben auch immer hohes Risiko bedeuten. " Terra hatte ein interessantes zugrunde liegendes Konzept, doch die Zinsen von bis zu 20 Prozent waren keineswegs langfristig nachhaltig. Dank des verlockenden Zinsangebots wuchs Luna unnatürlich schnell, ohne dass Entwicklungen oder wirklicher Nutzen dahinterstanden." Für die Entwickler des Luna Coin habe sich zudem deren Hochmut gerächt. Sie seien öffentlich auf Probleme aufmerksam gemacht worden, die einen Crash nach sich ziehen könnten, ignorierten diese Hinweise aber.

Fels in der Brandung

"Es bleibt dabei: Bitcoin und Ethereum sind mit Abstand die solidesten – fast schon ‘konservativsten’ Projekte", so Bruckner weiter. Gerade der Bitcoin habe den Crash trotz der Flutung des Marktes mit Bitcoin-Verkäufen sehr gut überstanden. Die kurzfristige Kursentwicklung habe dem normalen Rahmen von Marktkräften entsprochen, zudem seien Kryptowährungen über kurze Zeiträume per se sehr volatil. Langfristiger in Mitleidenschaft gezogen wurden vor allem kleinere Token-Projekte. "Wir werden nun sehen, dass Anleger sich von sehr spekulativen Projekten zurück zum Bitcoin orientieren", erwartet der Experte. "Auch deswegen, weil Bitcoin das Projekt mit der höchsten ‘Dezentralität‘ ist."

Als Folge der Ereignisse sei es aber dennoch "gut möglich", dass einige private wie institutionelle Anleger zunächst von Bitcoin, Ethereum und Co abgeschreckt würden, ergänzt Sandner. "Eine ausgereifte institutionelle Bitcoin-Strategie muss eine solche kurzfristige Volatilität verkraften können. Terra ist ironischerweise ein perfektes Beispiel. Langsames, durchdachtes Wachstum ist langfristig besser für alle Stakeholder als eine überstürzte Jagd auf Rendite."

Kein Bitcoin beim Bäcker

Bitcoin und Ethereum verbreiten sich weiter stabil. Rund 200 Millionen Menschen weltweit halten bereits mindestens eine der beiden Kryptowährungen. In den USA alleine sind es mit 40 Millionen 16 Prozent der Bevölkerung. Laut Europäischer Zentralbank sind es in Europa zehn Prozent. "Es ist keine Nischenerscheinung mehr", stellt Sandner klar.

An seiner Prognose, dass der Bitcoin sich nicht als breit genutztes Zahlungsmittel alternativ zu Fiat-Geld durchsetzen wird, hält er aber fest. Allein aufgrund der hohen Transaktionsgebühren eigne er sich dafür schlecht, auch gebe es nach wie vor wenige Akzeptanzstellen. "Wir sehen nun, dass Luxusmarken wie Gucci oder Tag Heuer vereinzelt Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptieren. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass Bitcoin sich auch als Bezahlmittel bei Ihrem Bäcker oder Discounter durchsetzen wird." Es sei falsch, Bitcoin als "Währung" zu betrachten. Auch den Begriff "Kryptowährung" findet Sandner in diesem Kontext "vollkommen falsch".

Mehr Optionen für Investment-Profis

Zu Vorsicht rät Sandner, wenn es um Krypto-Influencer geht, die immer wieder unterschiedliche Coins und Tokens als Weg zum schnellen Geld anpreisen. Ein Phänomen, das auch im Vorfeld des Terra-Crashs zu beobachten war. Krypto-Assets sind noch eine junge Erscheinung und entsprechend volatil, generell stehe die Entwicklung noch in einem frühen Stadium, sagt Sandner. "Allerdings zeigt der Bitcoin einen langfristigen Aufwärtstrend, man muss nur einen langen Atem haben. Für einen Privatanleger oder Laien ist das mit anderen Krypto-Assets schwer zu schlagen."

Wenn es um professionelle und institutionelle Anleger geht, "sieht das Umfeld mittlerweile auch interessant aus", hakt Bruckner ein. Allein im Bereich der Krypto-Fonds sind viele Strategien möglich: "Es gibt marktneutrale Strategien wie Arbitrage, die nicht mit dem Markt korrelieren, oder Strategien mit deutlich höherem Risiko, die aber dafür oft den Bitcoin in der Gesamt-Performance schlagen. Es gibt sogar Krypto-Dachfonds, die beides kombinieren und dadurch gewisse Diversifikationseffekte erzielen." Welche davon für einen Anleger geeignet sind, hängt letztlich vor allem von der individuellen Risikobereitschaft ab. (gpi, 5.6.22)