Russland produziert seit Beginn der Sanktionen weniger Rohöl, exportiert aber weiterhin große Mengen per Schiff.

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Es kam so, wie es gut informierte Kreise im Vorfeld der Opec-Tagung am Donnerstag geflüstert hatten: Die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) wird die Förderhähne in den kommenden Monaten weiter aufdrehen, als dies ursprünglich vorgesehen war, und damit der Situation Rechnung tragen, dass russisches Öl nur noch eingeschränkt auf den Weltmarkt gelangt. Grund sind die westlichen Sanktionen.

Die Opec wird ihre Produktion statt um 400.000 Fass am Tag (je 159 Liter) ab Juli um 648.000 Fass am Tag steigern, ab August dann um weitere 648.000. Nachdem der Ölpreis im Vorfeld des Meetings gesunken ist, legte er nach Bekanntwerden der Einigung wieder leicht zu. Die für Europa preisbestimmende Nordseesorte Brent stieg um 40 Cent auf 116,69 Dollar je Fass, US-Leichtöl verteuerte sich um 49 Cent auf 115,75 Dollar je Fass.

Russische Produktion gesunken

Dem Vernehmen nach ist die Ölproduktion in Russland infolge der Sanktionen um rund eine Million Fass am Tag gefallen. Noch im vergangenen Jahr stand Russland für etwa zehn Prozent der weltweiten Ölexporte.

Für die Opec ist die geopolitische Situation, wie sie sich derzeit darstellt, jedenfalls eine besonders heikle. Das aus 13 Mitgliedsstaaten bestehende Ölkartell, das sich im Oktober 2018 mit weiteren zehn staatlichen Ölexporteuren unter Führung Russlands zum Opec+-Verbund zusammengeschlossen hat, spürt viel Sprengkraft in den eigenen Reihen. Das ist nicht das erste Mal.

Es ist aber das erste Mal, dass viele Ölproduzenten schneller als bisher befürchtet ihre Felle davonschwimmen sehen – sprich sie sehen die Gefahr, dass ihnen die Kontrolle über längerfristig sichere Einnahmen schneller als gedacht verlorengehen könnte. Das hat nicht zuletzt mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu tun. Zumindest in Europa ist ein beschleunigter Ausstieg aus fossilen Energien, zu denen neben Öl auch Gas zählt, Programm.

Horrorszenario Erneuerbare

Der forcierte Ausbau erneuerbarer Energien, wie er von Brüssel propagiert und von den 27 EU-Mitgliedsstaaten mehr oder weniger prononciert vorangetrieben wird, ist ein Horrorszenario für viele großteils autoritäre Regime im Mittleren und Nahen Osten, in Afrika, aber auch für die Machthaber in Russland. Ihr Wohl und Wehe hängt von den Einnahmen ab, die sie aus Öl- und Gasverkäufen lukrieren.

Die Zentrale der Opec in Wien: Die Konferenz der Ölminister fand am Donnerstag über Internet statt.
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Noch klingeln die Kassen, aufgrund der stark gestiegenen Preise sogar üppiger denn je. Die Befürchtung in der Opec ist aber, dass sich infolge der hohen Preise auch Länder außerhalb Europas schneller als gedacht von fossilen Energien verabschieden könnten.

Es ist eine Gratwanderung, auf die sich die Opec von Mal zu Mal begibt, wenn es um die Abstimmung der kurz- bis mittelfristige Förderstrategie geht. Am Donnerstag war die Spannung unter den Teilnehmern der Konferenz, der ersten seit der Sanktionierung russischer Ölexporte durch westliche Staaten aufgrund des Angriffskriegs in der Ukraine, zwar räumlich nicht spürbar; die Konferenz fand virtuell statt. Greifbar war die Nervosität aber allemal.

Zünglein an der Waage

Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gehören zu den wenigen Ländern, die Reservekapazitäten haben, um den Ölhahn kurzfristig aufzudrehen. Viele andere müssten erst Milliarden investieren, um ihre Produktionsanlagen auf Vordermann und mehr Öl auf die Märkte zu bringen – Milliarden, die sie nicht haben.

Russland, das aufgrund der Sanktionen seit März offiziell kein Rohöl und keine Rohölprodukte in die USA verkaufen kann, bringt den einen oder anderen Tanker doch auf Umwegen und verschleiert dorthin, wie ein Bericht des "Wall Street Journal" zeigt. Durch ein diskutiertes Verbot, Schiffe mit russischem Öl zu versichern, könnte dies aber zunehmend schwieriger werden. (Günther Strobl, 3.6.2022)