Es sei ja allgemein bekannt, erläutert der Erzbischof von York der kichernden Festgemeinde in der Londoner Saint Paul’s Cathedral, dass die Queen Pferderennen liebe. Deshalb wolle er der abwesenden Hauptperson via Fernsehen Folgendes mitteilen: "Ihre Majestät, wir sind traurig, dass Sie nicht hier sind. Und glücklich darüber, dass Sie weiterhin im Sattel sitzen."

Premier Boris Johnson mit Grußworten an die Queen – ihren Platz nahm beim Gottesdienst in der Saint Paul’s Cathedral allerdings ihr Sohn, Prinz Charles, ein.
Foto: AP / Aaron Chown

Mit diesen kurzen Worten hat Stephen Cottrell am Freitag wohl den meisten Britinnen und Briten aus dem Herzen gesprochen. Abends zuvor hatte der Buckingham-Palast verlauten lassen, Elizabeth II habe zwar den ersten Tag der Feiern zu ihrem 70-Jahr-Thronjubiläum sehr genossen, spüre aber doch "gewisse Beschwerden" und müsse deshalb auf die Teilnahme am Dankgottesdienst verzichten.

Dass dies schweren Herzens geschah, versteht sich beinahe von selbst – schließlich hat Elizabeth Mary Alexandra Windsor in ihrer Dankbotschaft an die Feiernden ausdrücklich von einem Moment des Innehaltens gesprochen: "Hoffentlich werden wir Gelegenheit haben, das in 70 Jahren Erreichte zu bedenken, während wir zuversichtlich und enthusiastisch der Zukunft entgegensehen."

Elizabeth II ist in vielerlei Hinsicht aus der Zeit gefallen – das bringt ihr gesegnetes Alter von 96 Jahren automatisch mit sich. Auch hat sie ihrer Funktion entsprechend "ein so außerordentlich privilegiertes und so außerordentlich eingeschränktes Leben" gelebt, wie ihr verstorbener Biograf Ben Pimlott einst schrieb, dass sie mit normalen Menschen wenig gemeinsam zu haben scheint. Das ausgeglichene Temperament der Monarchin sei ja kein Wunder, scherzt Pimlotts US-Kollegin Sally Bedell Smith: "In ihrem ganzen Leben musste sie noch nie einen Parkplatz suchen."

Tiefer Glaube, nicht Frömmelei

Wie im Profanen, so unterscheidet sich das Staatsoberhaupt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland sowie weiterer 14 Territorien von Kanada bis zum Südseezwerg Tuvalu (11.650 Einwohner) auch im Spirituellen von den meisten ihrer Untertanen.

Queen Elizabeth II blickt durch ein Fenster in der Westminster Abbey in London (Archivfoto 2018).
Foto: AP Photo/Kirsty Wigglesworth

Im durch und durch säkularen Großbritannien jedenfalls fällt die Queen durch ihre tiefe Religiosität aus dem Rahmen. Es ist eine unspektakuläre, weltoffene Frömmigkeit, die man keinesfalls mit Frömmelei verwechseln sollte.

In einer BBC-Dokumentation, für die das royale Familienarchiv brillante Farbfilme aus den 1930er-Jahren zur Verfügung stellte, spricht die Jubilarin nüchtern über die menschliche Sterblichkeit – auch ihre eigene: "Wir sind alle nur Durchreisende, Besucher unserer Zeit, unserer Welt." Ihr selbst habe der Glaube Halt gegeben, auch in schwierigen Zeiten; er habe ihr dabei geholfen, auf lange Sicht zu denken. Das sei vielleicht generell keine schlechte Idee, "ob wir nun an Gott glauben oder nicht".

Nie ist die Königin in den Verdacht geraten, eine Intellektuelle zu sein; anders als ihr Mann Philip sowie Thronfolger Charles hat sie kein gesteigertes Interesse an theologischen Fragen gezeigt. In ihren Weihnachtsansprachen, die mit zunehmendem Alter religiöser ausgefallen sind, spricht sie ganz schlicht von Jesus und seiner Botschaft der Nächstenliebe. "Das mag vielen klischeehaft erscheinen, aber sie glaubt daran", weiß der Autor Andrew Gimson.

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Als Kind das Abendgebet, am Bett kniend

Dieser tiefverwurzelte Glaube speist sich aus den Kindheitsritualen und biblischen Geschichten, die Elizabeth von ihrer Mutter gelernt hat. Dazu gehörte lange Zeit auch das Abendgebet, am Bett kniend – diese Gewohnheit dürfte für die mittlerweile stark Gehbehinderte ebenso der Vergangenheit angehören, wie sie inzwischen das tägliche Gassi-Gehen mit den Corgis sowie ihre häufigen Ausritte aufgeben musste.

Aus der Zeit als frischgebackene Kronprinzessin der späten 1930er-Jahre stammt eine wunderbare Anekdote, die Gimson in seinem vergnüglichen Buch über die englischen Königinnen und Könige wiedergibt: Da habe der damalige Erzbischof von Canterbury, höchster Geistlicher der anglikanischen Staatskirche – deren weltliches Oberhaupt die Prinzessin einmal werden würde –, das Mädchen gefragt, ob sie einen Spaziergang mit ihm machen wolle. "Sehr gern", erwiderte Elizabeth artig und fügte hinzu: "Aber ich will nicht über Gott reden – über den weiß ich schon alles."

Ein Nachfolger des derart Zurechtgewiesenen hat bezeugt, dass die Monarchin das anglikanische Gebetsbuch von 1662 "in- und auswendig" kenne. So dürfte der Queen vieles bekannt vorkommen, was an diesem Freitagmittag in der St Paul's Cathedral gesungen und gebetet wird – wenn auch nicht unter Leitung des derzeitigen Erzbischofs von Canterbury. Justin Welby fesselt nämlich eine Covid-Erkrankung samt Lungenentzündung ans Bett, weshalb der Erzbischof von York, Zweiter in der anglikanischen Hierarchie, die Dankmesse zelebriert.

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Erinnerung an den Juni 1953

Die Gedanken der Hauptfigur gehen vielleicht zurück an jenen scheußlich kalten Junitag 1953 – am Donnerstag jährte er sich zum 69. Mal –, als zum ersten Mal in der Geschichte die Welt einem vergleichbaren Ereignis live im Fernsehen zuschauen konnte: Zu ihrer Krönung fuhr die junge Königin in einer ungefederten goldenen Kutsche aus dem 18. Jahrhundert vom Buckingham-Palast zur Kirche und nahm auf jenem Holzstuhl Platz, den Edward I gegen Ende des 13. Jahrhunderts als Krönungsthron hatte anfertigen lassen.

An ihren Ohren funkelten Diamanten ihrer Namensvorgängerin Elizabeth I (1558–1603), die Hände waren beschwert von geschichtsträchtigen Ringen: dem Saphir, den bereits der 1066 verstorbene König Edward der Bekenner getragen hatte, sowie dem Rubin Heinrichs V. zur Erinnerung an die Schlacht von Azincourt 1415.

Zur Musik Georg Friedrich Händels – "Zadok the Priest" aus den "Coronation Anthems", heute vor allem bekannt als Hymne der Fußball-Champions-League – griff der Erzbischof von Canterbury bei der feierlichen Salbung der Königin auf eine Passage aus dem Buch der Könige im Alten Testament zurück: "So wie Salomon gesalbt ward durch Zadok, den Priester, und Nathan, den Propheten ..." Diese zentrale religiöse Handlung blieb damals den Fernsehzuschauern verborgen. Bei der Hauptfigur aber hinterließ der Moment tiefen Eindruck – "mehr eine Priesterweihe als eine weltliche Amtseinführung, zugleich eine Salbung und eine Unterwerfung unter die Gesetze", wie Elizabeths bester deutschsprachiger Biograf Thomas Kielinger geschrieben hat.

Nicht von Gott gesandt

Diesmal also ist nicht die royale Abbey von Westminster Schauplatz, sondern die bischöfliche Kathedrale von London, nach dem Apostel Paulus benannt. Ihre Majestät reist auch nicht in der Kutsche, sondern deutlich bequemer im Auto; die 22 Stufen zum majestätischen Westeingang bleiben der Monarchin erspart, ganz profan erscheint sie durch einen ebenerdigen Seiteneingang. Erinnerung, wenn es dieser denn bedarf, an die Sterblichkeit auch dieses Menschen – zu Beginn ihrer Amtszeit hatte noch die Hälfte der Briten ihre neue Königin für gottgesandt gehalten.

Elizabeth II bei ihrer Krönung 1953: "Mehr eine Priesterweihe als eine weltliche Amtseinführung, zugleich eine Salbung und eine Unterwerfung unter die Gesetze."
Foto: AFP/INTERCONTINENTALE

Damals bekannte sich noch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung zur anglikanischen Staatskirche, bis heute verkündet jede britische Münze, die Monarchin sei "Verteidigerin des Glaubens" – den Ehrentitel Fidei Defensor hatte einst der Papst dem englischen König Heinrich VIII. verliehen, ehe der sich von Rom lossagte und die Staatskirche gründete. Bis heute sitzen 26 anglikanische Bischöfinnen und Bischöfe im Oberhaus und nehmen qua Amt an der Gesetzgebung des Landes teil. Hingegen herrscht in der Bevölkerung überwiegend Gleichgültigkeit, teils sogar scharfe Ablehnung gegenüber allem Religiösen.

Die tiefgläubige Monarchin hat längst in guter anglikanischer Toleranz den vielen Millionen Einwanderern anderen Glaubens die Hand gereicht: "Vielfalt ist wirklich eine Stärke, keine Bedrohung." Und so eröffnen an diesem Freitag die Muslime beim Freitagsgebet den Reigen von Gebeten für die Jubilarin, gefolgt von vergleichbaren Anrufen in Synagogen, Hindu-Tempeln und Kirchen. Gemeinsam dürfte vielen Gebeten die ehrlich gemeinte Bitte sein, die 96-Jährige möge noch einige Zeit auf ihrem Posten verharren.

Mehrheit wünscht sich die Fortsetzung der Monarchie

Da sind sich die Gläubigen mit den Agnostikern und Atheisten einig. Im 97. Lebensjahr und 71. Jahr ihrer Regentschaft sonnt sich Elizabeth Alexandra Mary Windsor im Glanze der Zustimmung ihrer Untertanen. Eine gesicherte Mehrheit wünscht sich die Fortsetzung der Monarchie – auch über jenen Moment hinaus, von dem ein erfahrener Beobachter sagt, er werde "einen kollektiven Nervenzusammenbruch" hervorrufen: den Tod einer Frau, die auf den Thron kam, als 85 Prozent ihrer heutigen Untertanen noch nicht einmal geboren waren.

Die Angesprochene selbst dürfte dieser Angelegenheit gegenüber ähnlichen Stoizismus zeigen wie im vergangenen Jahr gegenüber dem Tod ihres Mannes nach 73 Ehejahren. Sie hat, getreu der Mahnung des Propheten Jesaja an König Hiskia im zweiten Buch der Könige, ihr "Haus bestellt", soweit das möglich ist.

"Ich will nicht über Gott reden – über den weiß ich schon alles." – Anekdote aus Elizabeths Jugend in den 1930er-Jahren.
Foto: BEN STANSALL / AFP

Jedenfalls wirkt Elizabeth II zunehmend versöhnt mit dem Gedanken an den zukünftigen König Charles III – lang schien die Königin ihrem ältesten Sohn, heute 73, skeptisch gegenüberzustehen, beklagte dessen Larmoyanz und Selbstbezogenheit. Mittlerweile hat sie nicht nur Charles' Stellung als Leiter des Commonwealth sichergestellt – jenes Clubs britischer Ex-Kolonien, dem 54 souveräne Staaten rund um den Globus angehören. Erst kürzlich stellte die Queen auch klar, sie wünsche sich für ihre Schwiegertochter Camilla (74) dereinst den Titel "Queen" – dieser sollte Charles zweiter Frau mit Rücksicht auf die unvergessene Prinzessin Diana eigentlich vorenthalten werden. Die öffentliche Geste der Anerkennung machte nicht nur Charles glücklich, wie dieser umgehend mitteilen ließ; erkennbar hat Elizabeth selbst mittlerweile Gefallen gefunden an der fröhlichen, schnörkellosen Art, mit der die Herzogin von Cornwall ihren Pflichten nachkommt.

Nur noch ausgewählte Termine

Auch bei ihrem Enkel William, den sie schon zu dessen Schulzeit am Internat Eton zum Tee à deux empfing, weiß sie die Monarchie in guten Händen. Und so lässt die Hochbetagte am Ende ihres langen Lebens auch einmal alle fünfe grade sein. Die langweilige Thronrede musste kürzlich Thronfolger Charles verlesen, auch diverse Gottesdienste schwänzte Ihre Majestät. Hingegen erschien sie vergnügt zum Pferderennen, eröffnete die nach ihr benannte neue U-Bahn-Linie und ließ sich im Golf-Caddy durch eine Gartenshow kutschieren. Auch während der viertägigen Jubiläumsfeiern nimmt die Bejubelte nur ganz ausgewählte Termine wahr.

Dem alttestamentarischen, todkranken König Hiskia beschert der Allmächtige als Anerkennung für Gläubigkeit und bittere Tränen im Angesicht des Todes fünfzehn weitere Lebensjahre. Diese zusätzliche Spanne wird man der 96-Jährigen realistischerweise vielleicht nicht wünschen – aber vielleicht doch ein wenig Entspannung von der lebenslangen Pflichterfüllung. (Sebastian Borger, 3.6.2022)