Die 96-jährige Monarchin mit ihren Markenzeichen Hut, Tasche und Pumps. Die Queen hat nicht nur ein beachtliches Vermögen, sondern ein enormes Durchhaltevermögen in der Ausübung ihrer Pflichten.

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Eher geeignet, über Royals zu schreiben, wäre ich mit zehn gewesen, im Jahr 1981, als Lady Diana Spencer in einer bis heute unvergleichlichen Märchenhochzeit-Inszenierung zur Prinzessin von Wales wurde. Die unglückseligen Begleitumstände dieser Hochzeit wurden damals unter den ausgerollten roten Festteppich gekehrt, damit meine kindliche Bewunderung schön intakt bleiben konnte.

Über Wochen und Monate schnitt ich aus den Illustrierten meiner Großmutter (die übrigens mit einer ähnlichen Statur wie die Queen 98 Jahre alt wurde) die unendlich vielen Outfits der Prinzessin (Abendroben, Kostüme, Seidenkleider, Hutkreationen, Diademe etc.) aus und klebte sie in mein selbst gebasteltes Diana-Mode-Diary, das allerdings nicht viel später unbeachtet in einer Schublade liegen blieb und irgendwann entsorgt wurde, sowie meine Faszination für Prinzessinnen generell. Die Geschehnisse rund um die Windsors waren eine manchmal amüsante Zerstreuung, auch wenn die Queen immer öfter "not amused" war.

Natürlich weiß ich wie jeder Mensch meiner Generation, wo ich am 31. August 1997 war, als der plötzliche Unfalltod der Prinzessin von Wales, mittlerweile zweifache Mutter und geschieden, die Welt in einen unvergleichbaren Schockzustand versetzte.

Diana war durch kräftiges Zutun der Boulevardmedien in den 1980er-Jahren zur berühmtesten Frau der Welt geworden und wurde nun in einem augenscheinlich schwierigen Protokollprozess als "Königin der Herzen" zu Grabe getragen.

"Nie wieder" lautet deswegen auch das erste Kapitel der Palace Papers der britisch-amerikanischen Zeitschriftenherausgeberin, Journalistin und Diana-Biografin Tina Brown. Über 700 Seiten umfasst ihre sorgfältig komponierte und amüsant zu lesende Biografie über "Die Windsors, die Macht und die Wahrheit", die pünktlich zum 70-Jahr-Thronjubiläum der Queen (auch auf Deutsch) erschienen ist.

Die versengte Tiara der Queen

Nach Dianas Tod hatte die Queen unmissverständlich all ihren Beratern klargemacht: Nie wieder darf es vorkommen – eine strahlende Berühmtheit, welche die Queen oder den Thronfolger in den Schatten stellt. "Prinzessin Dianas internationaler Ruhm war gänzlich ungeplant, als sie von der Königinmutter zur perfekten englischen Rose für Prinz Charles auserkoren wurde und wie ein Meteor in den Buckingham-Palast einschlug", analysiert Tina Brown treffsicher: "Die Glut versengte die Tiara der Queen." In einer streng hierarchischen britischen Monarchie darf auch die Hierarchie der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht durcheinandergebracht werden.

Die öffentliche Aufmerksamkeit ist der Queen mittlerweile wieder ungeteilt sicher – jener Frau, die seit sieben Jahrzehnten den Laden (auch genannt "the firm") zusammenhält. Ein paar wenige Zahlen gefällig? Sie hat 150 Besuche allein in den 50 Staaten des Commonwealth absolviert, dessen Oberhaupt sie ist, insgesamt über die Jahrzehnte 14 verschiedene britische Premierminister (zwei davon waren Premierministerinnen) zum Tee empfangen, 387.000 Untertanen zu ritterlichen "Sirs" und "Dames" geschlagen.

Unerschütterliches Pflichtbewusstsein

Dass sie alles immer mit unerschütterlichem Pflichtbewusstsein macht, daran lässt auch Brown keinen Zweifel. Mit ihrem auch sehr kritischen Porträt der Königsfamilie deckt die Journalistin nichts zu, im Gegenteil, aber ihre Sympathien für die mittlerweile 96-jährige Monarchin sind dennoch offensichtlich.

Die Palace Papers zeichnen nicht zuletzt auch den Weg oder den Wandel der Queen nach, die sich nach Dianas Tod eher als "herzlose Königin" in einem Popularitätstief befand und in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Art Pop-Star mit Coolness-Faktor geworden ist. Wer weiß, ob auch durch die Erfolgsserie The Crown, mit Sicherheit aber auch durch ihre legendären Auftritte, wie etwa 2012 mit James Bond zu den Olympischen Spielen in London.

Olympic

Den britischen Royals entkommt man nicht. Elizabeth, Margret, Philip, Charles, Ann, Andrew, Edward, Diana, William, Harry, Kate, Meghan, Fergie oder Camilla: Ihre Namen klingen so vertraut wie die von Promis oder Mitschülerinnen. Browns Buch ist kein Abgesang auf die Monarchie, die viele als höchst anachronistisch befinden. Das Buch ist eher ein Rundumschlag, weil alle ihr Fett abbekommen, manche natürlich mehr als andere.

Investigativer Überblick

Tina Brown schafft einen investigativen Überblick über vergangene Jahrzehnte, und sie und ihr Team haben ihre Recherche-Hausaufgaben wirklich gemacht. Davon zeugen nicht nur die unzähligen Quellenangaben und nicht zuletzt die seitenlangen Danksagungen an all jene, die zum Gelingen dieser nicht einfachen Unternehmung beigetragen haben.

Davon zeugen auch das sehr schaurige Kapitel über Prinz Andrew und die "Die Lockungen des Jeffrey Epstein" (Die Queen hat lange an ihrem Lieblingssohn festgehalten, bevor er aller Ämter enthoben wurde) oder die von den Royals selbst niedergehaltene Diebstahlsaffäre rund um Dianas Butler Paul Burrell (Im Dienste meiner Königin).

Brown bleibt dabei immer den Kriterien des Qualitätsjournalismus verpflichtet, und das in einer Materie, die lange ausschließlich den Boulevardmedien vorbehalten war. Die Journalistin Tina Brown, Jahrgang 1953, war nicht nur erfolgreiche The New Yorker-Herausgeberin, sondern mit dem erst 2020 verstorbenen Sir Harold Evans, Ex-Herausgeber der Sunday Times, verheiratet und ist somit Mitglied einer Gesellschaft, die auch Zugang zu den Akteuren und Akteurinnen hat.

Sie ist Insiderin und fähig, ein ganzes System samt aller Protagonisten und Protagonistinnen zu beleuchten. Und wirft dabei Licht und Schatten auf die manchmal bröckelnden Fassaden britischer Herrschaftshäuser. Mit aller Härte kritisiert sie immer wieder die Boulevardmedien und ihre kriminellen Methoden – Methoden eines digitalen Zeitalters, die das langsam zu Ende gehende Zeitalter von Queen Elizabeth II enorm mitgeprägt und auch erschüttert haben.

Dysfunktionale Familie

Brown kommt immer wieder zu sehr persönlichen Ein- und Ansichten – oder anders gesagt: auf den Punkt. Dass sie dabei vom Instrument der Psychologisierung Gebrauch macht, ist bei einer so dysfunktionalen Familie wie den Windsors nicht verkehrt. So zeichnet Brown einen selbstmitleidigen, dennoch nachhaltig nachdenkenden Charles, der das große Glück hat, mit Camilla, der Frau, die er liebt, alt zu werden.

Brown beschreibt die Zeiten der Adoleszenz der ungleichen Brüder William und Harry und erzählt die Familien- und Lebensgeschichten ihrer ebenso ungleichen Frauen Kate und Meghan. Die Tatsache, dass mit Meghan Markle zum ersten Mal in der Geschichte nicht nur eine geschiedene US-Schauspielerin, sondern eine Person of Color in die königliche Familie eingeheiratet hat, hat in weiterer Folge zum Ausstieg oder (vielleicht doch) zum Rausschmiss des Herzogs und der Herzogin von Sussex aus der königlichen Familie geführt.

"Es lief dann ziemlich blöd", formuliert Tina Brown das Auseinanderdriften der Familie. Und nicht zuletzt bescherte Meghans Unglück den Windsors eine längst überfällige Debatte über koloniale Herablassung, Rassismus, Political Correctness und Diversität im britischen Königshaus.

Die typischen Brown-Sätze

Tina Brown, "Palace Papers. Die Windsors, die Macht und die Wahrheit". 25,70 Euro / 752 S. Droemer, 2022
Cover: Droemer

Browns Buchcover schmücken ausschließlich weibliche Royals. Von links nach rechts: Camilla, die Queen, Kate und Meghan. Auch wenn die traditionsbewusste Regentin sich selbst niemals als Feministin bezeichnen würde – auf ihre alten Tage gebührt dieser zierlichen Jahrhunderterscheinung jedenfalls ein enormer Respekt für ihre Art von Durchhaltevermögen. Auch als stets berufstätige Frau. Sie ist vierfache Mutter, achtfache Großmutter und zwölffache Urgroßmutter.

Die größeren und kleineren Kollateralschäden, die nicht zuletzt genau durch dieses ihr Vermögen in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind, sind natürlich der Stoff, aus dem die Palace Papers geschrieben sind. Browns ausführliche Expertise zu Camilla Parker Bowles ist so etwa mitverantwortlich, wenn in die Jahre gekommene Diana-Fans jetzt ins Camilla-Lager überlaufen.

Die heutige Herzogin von Cornwall und zukünftige Queen Consort (Königsgemahlin) Camilla kommt auf lange Sicht betrachtet der Bodenständigkeit und diesem Durchhaltevermögen der Queen (neben Prinzessin Ann) wohl am nächsten. "Beschwere dich nie, erkläre dich nie", lautet so ein Camilla-Motto, das auch eine Parole der Queen sein könnte.

Die typischen Brown-Sätze über Camilla wie etwa "56-jährig, kaum geschminkt und nicht gerade schlank, war sie jemand, der Diana nie gewesen ist: die Frau, die der Prinz von Wales unbedingt wollte" machen unaufhaltsam klar, dass die größte Liebesgeschichte unseres Jahrhunderts die von Camilla und Charles sein wird. Die Queen hat Camilla lange den Zutritt zur königlichen Familie verwehrt, und es war nicht immer klar, dass die "Operation Parker Bowles" zu einem glücklichen Ende kommt.

Extravagant, tragisch, glamourös

Plötzlich Expertin! So fühlt es sich an nach der Lektüre von 25 royalen Kapiteln. Denn ausgesprochen detailversessen erinnern die Palace Paper an Geschichten, die man entweder nie gewusst oder schon längst vergessen hat. Oh, möchte man ständig ausrufen, dass hab ich gar nicht gewusst!

Zuerst mit den Eltern, zuletzt mit den Enkeln: das Leben von Queen Elizabeth II im Schnelldurchlauf. Wer da auf dem Balkon des Londoner Buckingham-Palasts fürs Familien- oder Hochzeitsfoto stehen und winken darf oder nicht, das – Sie ahnen es schon – entscheidet auch Ihre Majestät, die Königin. Auch das ist nachzulesen in den "Palace Papers" von Tina Brown.
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Etwa, dass die langjährige Kammerdienerin und enge Vertraute der Queen, Angela Kelly, nicht nur deren Pumps einläuft, sondern ob ihrer Machtstellung auch den gefährlichen Spitznamen "AK-47" trägt. Oder dass Camillas Bruder Mark dank eines Treuhandfonds die Welt auf extravagante Weise bereisen konnte. Travels on my Elephant heißt sein autobiografisches Buch, das so klingt, als würde man es unbedingt lesen wollen. Mark starb mit nur 62 Jahren durch einen Sturz aus der Rose Bar des Gramercy Park Hotel in New York. Furchtbar tragisch, aber glamourös. Davon haben die Palace Papers einiges zu bieten.

Und wussten Sie, dass die Queen Mum ihre jährliche Pension von 643 Pfund pro Jahr immer um das Achtfache überzogen hat? Dass Harry und Meghan einen weiteren, angeblich mit 20 Millionen Dollar dotierten Vertrag über vier Bücher mit Random House unterzeichnet haben?

Aus The Crown weiß ich, dass der 2001 verstorbene Earl of Carnarvon – oder auch "Porchey", wie er wegen seines früheren Titels Lord Porchester genannt wurde – nicht nur der Rennstallleiter der Königin war, sondern auch ihr bester Freund. Sein Familiensitz war übrigens Highclere Castle, wo die Erfolgsserie Downton Abbey gedreht wurde.

Pflicht und Tradition

Ganz vergessen hatte ich, dass der berühmt-berüchtigte Lucian Freud eines der vielen offiziellen Porträts der Queen gemalt hat – bitte googeln Sie es! Fünfzehnmal haben sie sich getroffen und einen "Riesenspaß" gehabt und ausschließlich über Pferde gesprochen. Die Queen hat übrigens über 30 Hunde besessen (wie viele Corgis es waren, ist nicht überliefert), und ihren letzten Hirsch schoss Ihre Majestät 1983.

DER STANDARD

Erinnern Sie sich an die Szene von Stephen Frears The Queen, wo Helen Mirren vor dem edlen Tier steht? "Die Königin hätte geschossen", meinte dazu trocken wie die Queen selbst ein Hofbeamter zu Brown. Die Corona-Pandemie hat der Königin 2020 ein letztes Jahr in Abgeschiedenheit mit der Liebe ihres Lebens beschert, bevor der Herzog von Edinburgh im April vergangenen Jahres verstorben ist. Mit dieser schönen Vorstellung entlässt uns Brown aus ihren Palace Papers.

Queen Elizabeth II, die an diesem Wochenende für ihre 70 Jahre auf dem Thron gebührend gefeiert wird, wird als höchst pflicht- und traditionsbewusste, starke Monarchin in die Geschichte eingehen, die an der Institution des britischen Königshauses unerschütterlich fest- und dieses damit aufrechtgehalten hat.

Bleibt bloß die Frage, für wen die Frau, die selbst niemals Schwäche gezeigt hat, eine Schwäche hatte? Ganz oben auf ihrer königlichen Liste standen immer ein paar Menschen, die viel fehlbarer waren als sie selbst: ihre geliebte, aber ungleich wildere Schwester Margret, die immer heitere, aber im Gegensatz zu ihrer Tochter äußerst verschwenderische Queen Mum, ihr ewiger, aber nicht immer politisch korrekter Prinzgemahl Philip.

Was die drei im royalen Protokoll und Leben niemals tun durften: Sie alle sind der Queen vorausgegangen. "Ich denke, es ist an der Zeit, die Hunde zu füttern." Etwas in der Art würde die Queen jetzt wohl sagen. (Mia Eidlhuber, ALBUM, 4.6.2022)