Auch Bücher, die kindgerecht Konflikte erklären, können den Kleinen helfen, das Thema Krieg richtig einzuordnen.

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Kinder sind neugierig und wollen die Welt verstehen. Auch eine Welt, in der Krieg herrscht. Aber wie erklärt man seinem Kind am besten, was in der Ukraine gerade passiert? "Neben sachlichen Informationen sollte Kindern im Gespräch auch immer Sicherheit und Hoffnung mitgegeben werden", erklärt Brigitte Sindelar, klinische Psychologin und Psychotherapeutin mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, emeritierte Universitätsprofessorin der Sigmund-Freud-Universität in Wien.

In einer interaktiven Vortragsreihe unter dem Titel "Krise als Daily Business" werden unter anderem folgende Fragen aufgegriffen: Wie kann Kindern und Jugendlichen der Krieg in der Ukraine erklärt werden, und wie kann mit ihnen über das bedrückende Thema Krieg und Flucht gesprochen werden? Dabei sei es besonders wichtig, die "Gefühle der Kinder ernst zu nehmen und sie nicht zu beschwichtigen. Informieren, erklären und trösten, das ist die Aufgabe der Eltern", weiß die Psychologin.

STANDARD: Ab welchem Alter sollte man beginnen, mit Kindern über so ein schwieriges Thema wie den Krieg in der Ukraine zu sprechen?

Sindelar: Das richtet sich immer nach dem Kind. Das bedeutet, dass die Erwachsenen besonders hellhörig sein sollten. Denn nicht immer stellen Kinder konkrete Fragen dazu. Es kann sein, dass das Kind einfach nur äußert, dass es Angst hat. Wichtig ist es, im Vorhinein abzuklären, ob dieses Gefühl tatsächlich mit dem Thema Krieg zu tun hat und was das Kind darüber gehört hat. Bei älteren Volksschulkindern und bei Jugendlichen ist es hingegen wichtig, das Thema aktiv anzusprechen.

STANDARD: Sie sprechen von Ängsten bei Kindern. Wie kann die Angst vor dem Krieg bei kleinen Kindern entstehen?

Sindelar: Kinder haben eine große Fantasie und können Bemerkungen oft falsch verstehen. Ein Beispiel dafür ist, dass man immer wieder "vom Krieg bei unseren Nachbarn" hört. Ein Kind im Kindergartenalter, aber auch ein junges Volksschulkind kann das durchaus wörtlich nehmen. Die Fantasie ist für das Kind oft bedrohlicher als die Realität.

Bei älteren Kindern und Jugendlichen sollte immer bedacht werden, dass sie in den sozialen Medien etwas gehört oder gelesen haben könnten, was sie nicht ausreichend verstehen. Eltern sollten ihre Kinder aktiv fragen, ob sie etwas und was sie gelesen, gehört oder gesehen haben, was sie vielleicht nicht verstehen. Hier geht es dann um eine erweiterte sachliche Aufklärung.

STANDARD: Gerade beim Thema Krieg gibt es ja viele Informationen, die nicht gerade kindgerecht sind. Welche Inhalte sollten Eltern vermeiden?

Sindelar: Vor allem Kriegsbilder, Kampfszenen oder Bilder, auf denen verletzte oder gar getötete Menschen zu sehen sind, sollten Kindern nicht gezeigt werden. Wenn ein Kind jedoch ein Bild sehen möchte, könnte man etwa ein zerstörtes Haus zeigen, um den Krieg bildlich darzustellen.

STANDARD: Der Krieg in der Ukraine ist schon für viele Erwachsene ein komplexes und angsteinflößendes Thema – wie kann ich beispielsweise einem Kindergartenkind oder einem Kind im frühen Volksschulalter erklären, was Krieg bedeutet?

Sindelar: Man muss sich bemühen, die Ursache kindgerecht zu erklären. Ein Beispiel: Da gibt es einen Bestimmer von einem großen Land, und dieser Bestimmer möchte jetzt auch noch Bestimmer von einem anderen Land werden. Darum hat er Soldaten geschickt, die darum kämpfen, dass er dort auch Bestimmer werden kann.

Bei Kindern ab ungefähr acht Jahren kann man dann natürlich schon Präsident sagen. Wichtig ist: den Wortschatz immer an den Wortschatz des Kindes anpassen. Danach kann man die Kinder auch gleich einbeziehen und sie fragen, ob es bei ihnen im Kindergarten oder in der Schule auch jemanden gibt, der gern der Bestimmer sein möchte. So kann man Kindern etwa das Prinzip Machtkampf erklären.

STANDARD: Manchmal haben Kinder sehr viele Fragen. Was können Eltern tun, wenn sie eine Frage nicht beantworten können?

Sindelar: Man darf auch mal keine Antwort parat haben. Wichtig ist es, dem Kind das auch ganz ehrlich zu sagen. Eine gute Sache ist es auch, sich – bevor man mit seinem Kind über so ein komplexes Thema wie den Krieg spricht – im Internet Nachrichtenseiten für Kinder anzuschauen. Diese kann man dann auch gemeinsam mit dem Kind ansehen. Wichtig dabei: Man sollte nicht mehr beantworten, als vom Kind gefragt wurde, aber auch nicht weniger.

STANDARD: Nachrichtenseiten für Kinder sind ein gutes Stichwort: Ab wann sollten Kinder denn Nachrichten schauen?

Sindelar: Kinder sollten generell keine Nachrichten im Fernsehen anschauen. Bei Kindern ab zwölf oder 13 Jahren und Jugendlichen sollte man, wenn sie Nachrichten im TV sehen möchten, immer dabei sein, um aufkommende Fragen zu beantworten. Ansonsten gilt gerade in der jetzigen Zeit: Nachrichten – auch im Radio – wegschalten, wenn Kinder im Raum sind.

STANDARD: Sie haben vorhin die Fantasie der Kinder angesprochen. Was mache ich denn, wenn mein Kind Kriegsszenen mit Panzern und Soldaten nachspielen möchte?

Sindelar: Wichtig ist, keine Angst zu haben, dass das Kind durch dieses Spielen nun zum Kriegsbefürworter wird. Kinder spielen, was sie bewegt, was sie ängstigt, und entlasten sich dadurch. Hier kann man die Chance nutzen, das Kind zu unterstützen, indem man sich als Erwachsener in das Spiel einbringt und dann etwa einen Krankenwagen oder einen Wagen mit Hilfsgütern in das Spiel einbaut. Und gerne auch kommentieren: Jetzt kommt ein Auto mit Hilfsgütern aus Österreich, um den Menschen im Land zu helfen. So kann man das ganz wichtige Prinzip der Hoffnung in das Spiel einbringen. Bei Kindern ist es ganz wichtig, neben der Information auch Hoffnung und Sicherheit zu vermitteln – das geht beim Spielen natürlich genauso wie im Gespräch.

Manchmal fragen Kinder auch: Mama, hast du auch Angst? Darauf kann man ganz ehrlich antworten, dass man ab und zu auch Angst hat. Dann aber unbedingt erklären, dass man sich daran erinnert, dass wir in einem sicheren Land leben und wir gut geschützt sind. (Jasmin Altrock, 5.6.2022)