Im Gastkommentar fordert die Rapperin Ebru Sokolova, die Hürden für die Staatsbürgerschaft abzubauen. Lesen Sie dazu auch den Gastkommentar von ÖVP-Politiker Andreas Khol: "Staatsbürgerschaft: Wer will, kann auch" und die Replik der Politikwissenschafter Rainer Bauböck und Gerd Valchars sowie des Soziologen Max Haller darauf.

Illustration: Fatih Aydogdu

Welche Fußballmannschaft würde ich unterstützen, wenn Österreich gegen die Türkei oder Bulgarien spielen würde, fragte mich ORF-Journalist Hanno Settele für seine Dok 1-Folge über die "heilige Kuh" Staatsbürgerschaft. Doch mich würde eher interessieren, in welchem Team ich spielen dürfte. Würde mich Österreich mit einem türkischen Trikot spielen lassen? Oder umgekehrt? Wohl kaum.

"Es ist etwas sehr Absurdes, nicht wählen zu dürfen. Ich bin hier geboren und aufgewachsen."

Dieses Jahr sind Bundespräsidentschaftswahlen. Es ist etwas sehr Absurdes, nicht wählen zu dürfen. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich habe in der Hauptschule das Topic im Deutschunterricht gelesen, die Biene Maja geschaut, Christina Stürmer war als Kind meine liebste österreichische Künstlerin. Was also ist es, das mich von den Wahlkabinen fernhält und davon, meine politische Meinung durch ein simples "X" auszudrücken? Oder davon, Volksbegehren unterschreiben zu dürfen?

Es ist das "wertvolle Gut" namens Staatsbürgerschaft. Das angeblich "entwertet" werden würde, wenn man sie "so einfach" bekommen würde. Dann frage ich mal direkt heraus: Was haben Sie konkret dafür geleistet, die Staatsbürgerschaft zu erhalten? Was war Ihr "Beitrag"? Denn während Ihrer Geburt hier in Österreich werden Sie wohl nicht allzu großer Anstrengung ausgesetzt gewesen sein. Ich kann doch auch nicht behaupten, dass Einradfahren kinderleicht wäre, wenn ich es noch nie probiert habe (Spoiler: Ich habe mir sagen lassen, dass es sehr schwer zu erlernen ist). Mein "Pech" war lediglich, dass meine Eltern nicht hier geboren wurden, und somit blieb mir das Privileg einer österreichischen Staatsbürgerschaft verwehrt.

So einfach?

Nun könnte man jetzt meinen: "Aber wo ist denn das Problem? Hol sie dir doch einfach!" Und in diesem "einfach" liegt das größte Problem. Ich bin niemandem böse, wenn das der erste Gedanke ist; wohl eher auf diejenigen, die so darauf beharren, dass es doch so einfach wäre, sie zu bekommen, und man sich nur anstrengen müsse. Meistens bekomme ich das von Menschen zu hören, die den Pass sowieso schon seit ihrer Geburt haben. Natürlich ohne zu wissen, wie der genaue Prozess abläuft und was man alles dafür "leisten" muss. Wie denn auch, wenn sie es nie mussten?

Zunächst einmal ist das Ganze eine finanzielle Frage. Verdient man genug Geld, sodass man einen Antrag stellen kann? Hinzu kommt, dass man ja vielleicht auch noch Familie hat. Bei meiner Elterngeneration überschlagen sich die Kosten zusätzlich, weil zum Beispiel Geburtsurkunden übersetzt und Deutschkenntnisse nachgewiesen werden müssen. Im Grunde sind die Kosten bei jeder Person individuell verschieden, da man sich auch vom alten Pass trennen und sich "freikaufen" muss. Jedes Land hat andere Gebühren, und hinzu kommt auch noch, dass man eine Zeitlang staatenlos ist.

Viele Hürden

Wenn man sich die Geschichten von Betroffenen anhört, kann einem schon der Gedanke kommen, dass einem so viele Steine wie möglich in den Weg gelegt werden. Von über eine gelbe Ampel fahren bis zu einem Strafzettel wegen Falschparkens; das alles kann ein Grund zur Ablehnung des Antrags sein. Man würde nicht einmal das Geld für die Antragstellung zurückbekommen. Es ist im Grunde ein langwieriger, bürokratischer, teurer, nervenaufreibender Prozess, der von völlig unterbesetzten Behörden zu erledigen ist.

Die Politik scheint ebenso wenig interessiert. Es ist ein Schlag ins Gesicht, wenn hochrangige Politikerinnen und Politiker, wie unser amtierender Bundeskanzler, indirekt meinen, dass es nicht so schwer wäre, oder wenn ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner ständig von Entwertung spricht. Immerhin haben die beiden ihre Geburt ebenso in Österreich "absolviert" wie ich. Gleiche Leistung eben. Man könnte vielleicht auch mal über einen einfacheren Zugang nachdenken, anstatt ständig zu erwähnen, wie leicht es doch wäre. Ja, für Prominente wie Anna Netrebko vielleicht.

Schlecht für Österreich

Eine Novelle dieses veralteten Gesetzes ist schon längst hinfällig. Dieser Ausschluss ist nicht nur für uns schlecht, sondern auch für Österreich. Allein in Wien dürfen bereits mehr als 30 Prozent nicht wählen. Wie wird es in 20 oder in 50 Jahren aussehen? Was bleibt von der Demokratie dann übrig? Immerhin kommen noch die Nichtwählerinnen und Nichtwähler hinzu. Wählt dann nur noch ein kleiner auserwählter Teil der Bevölkerung? Das erinnert eher ans Mittelalter als an eine Demokratie.

Man fordert Integration stets von einer Seite, jedoch ist die Integration ein beidseitiger Prozess. Wenn man immer fordert, ohne einem entgegenzukommen, und nur von Parallelgesellschaften spricht, glaubt man diesen Unsinn doch irgendwann selbst.

"Meine Stimme scheint niemanden zu interessieren."

Dafür, dass meine Eltern nicht hier geboren wurden, kann ich nichts. Alles, was in der Politik passiert, betrifft nun mal auch mich; nur scheint meine Stimme niemanden zu interessieren, sie ist unsichtbar. Nun wählen "wir" dieses Jahr wieder einen Bundespräsidenten oder eine Bundespräsidentin, und ich werde wieder die ZiB-Hochrechnung schauen und wissen, dass Österreich meine Stimme "wuascht" ist.

Ich selbst habe mich eigentlich nie anders oder ausgeschlossen gefühlt. Das alles kam erst dann, als mir bereits als Kind Fragen gestellt wurden, die ich mir selbst nie gestellt habe. Und welche Fußballmannschaft ich letztendlich unterstützen würde? Gar keine. Ich schaue nämlich kein Fußball. (Ebru Sokolova, 5.6.2022)