Zivilisten in Sorge vor russischen Angriffen in der Region Luhansk.

Foto: Reuters / Serhii Nuezhnenko

Hundert Tage und kein Ende in Sicht. Russische Medien vermieden es zwar am Freitag, auf die bisherige Länge des "Spezialeinsatzes" in der Ukraine hinzuweisen, der nach mutmaßlichen Plänen des Kremls eigentlich längst vorbei sein müsste.

Regierungssprecher Dmitri Peskow nahm aber dennoch in Moskau in bilanzierender Form zum Geschehen im Nachbarland Stellung, wobei auch er das Wort "Krieg" zur Beschreibung des völkerrechtswidrigen Überfalls vermied. Er machte wenig Hoffnung auf ein baldiges Ende des Blutvergießens. Vielmehr hielt er fest, Russland werde seine Aktionen fortsetzen, bis alle Ziele erreicht seien. Diese benannte er nicht näher, sodass weiter offenblieb, was Moskau genau erreichen möchte.

Kampf um jeden Meter

Als eines der Hauptvorhaben führte Peskow aber "den Schutz der Menschen in der DNR und LNR" auf – also in jenen selbsternannten Volksrepubliken in den ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk, die Russland kurz vor Beginn des Krieges offiziell als Staaten anerkannt hatte.

Die Stadt Sjewjerodonezk liegt innerhalb der Region Luhansk, ihre Bewohner müssen seit Tagen vor schweren Kämpfen flüchten, die durch die Donbass-Offensive der russischen Armee ausgelöst worden waren. 800 flohen laut Berichten in das Tunnelsystem unter einer Chemiefabrik – ein Schicksal, das an jenes der Bewohnerinnen und Bewohner der von Russland weitgehend zerstörten Stadt Mariupol (Region Donezk) erinnert.

Nach Angaben des ukrainischen Luhansker Gouverneurs Serhij Gajdaj wird weiterhin "um jeden Meter der Region" gekämpft. Laut Einschätzungen des britischen Geheimdienstes stehen allerdings nun schon 90 Prozent des Stadtgebietes unter russischer Kontrolle. Nach Moskauer Angaben sollen bei einem Luftangriff in der Nacht 360 ukrainische Soldaten getötet worden sein.

Hoffnung für Nahrungsversorgung

Leise Hoffnung gab es unterdessen, was die Exporte des ukrainischen Getreides aus der Winterernte betrifft, die wegen der russischen Sperre der Zugänge zum Schwarzen Meer derzeit im Land auf Abholung warten. Gespräche zwischen der Türkei – die sich trotz der Nato-Mitgliedschaft zwischen den beiden Kriegsparteien sieht – und Russlands Außenminister Sergej Lawrow werden in Ankara als große Chance gewertet.

Solange das Getreide nicht außer Landes gebracht werden kann, droht weiterhin massive Lebensmittelknappheit in vielen ärmeren Ländern der Welt. Nach Uno-Schätzungen könnten wegen hoher Preise und schlechter Versorgung 1,4 Milliarden Menschen in den kommenden Monaten an Lebensmittelknappheit leiden.

Im Tschad rief aus diesem Grund schon Donnerstagabend den Versorgungsnotstand aus. Zugleich wird Russland vorgeworfen, Getreide aus besetzten Gebieten zu stehlen. (Manuel Escher, 5.6.2022)