Welche Auswirkungen der vergangenen zwei Jahre in einer Grundschule in New York zu beobachten waren, berichtet die New Yorkerin Stella Schuhmacher im Gastblog.

Nach zwei Jahren Pandemie hofft Monica Berry, Direktorin einer großen öffentlichen Grundschule auf der Upper West Side in Manhattan, dass im nächsten Schuljahr beliebte Schulveranstaltungen wieder stattfinden können. Normalerweise werden vor den Winterferien Weihnachten, Hannukkah (das jüdische Lichterfest) und Kwanzaa (ein afroamerikanisches Fest) im großen Schulauditorium gefeiert. Auch Black History Monat und Asian American und Pacific Islander Monat wurden in großen Feiern zelebriert. "Ich möchte, dass all diese Veranstaltungen nächstes Jahr wiederkommen. Wir sind zu isoliert. Wir Menschen sind gemeinschaftliche Wesen. Die Isolation führt zu psychischen Problemen", sagt Berry. Die Schule, deren Motto "One Family Under the Sun" ist, zählt zu den besten öffentlichen Grundschulen der Stadt. Sie wird von Kindern im Vorschulalter bis zur inklusive fünften Schulstufe besucht. Seit Beginn der Pandemie ist die Schülerzahl stark rückläufig, schrumpfte von 850 auf 640 Schüler. Schüler wanderten entweder in eine der zahlreichen Privatschulen der Gegend ab oder Familien zogen aus der Stadt weg.

"Als Schulleiterin bin ich es gewohnt, viele Entscheidungen selbst zu treffen, ohne auf Anweisungen von oben warten zu müssen. Aber Corona war für alle brandneu. Das Bildungsministerium musste mit dem Gesundheitsministerium zusammenarbeiten. Entscheidungen zogen sich in die Länge", erzählt Berry. Als New York City zu einem frühen Epizentrum der Pandemie wurde, stellten die Schulen Ende März 2020 bis zum Ende des Schuljahres den Unterricht völlig auf remote learning um. Im Schuljahr 2020/21 wurde in New Yorker Grundschulen ein Hybridmodell angeboten, bei dem die Kinder in Gruppen aufgeteilt wurden und jeweils zwei bis drei Tage pro Woche Präsenzunterricht hatten. Das gerade zu Ende gehende Schuljahr lief normaler ab, wobei bis zum März allgemeine Maskenpflicht herrschte und regelmäßig getestet wird.

Monica Berry, Direktorin von PS 87, einer Gundschule in Manhattan.
Stella Schuhmacher

Schule sollte weiterhin Spaß machen

Es war stressig, keine klare Antworten auf Fragen von Familien zu haben. Auch Personalmangel und Klassenschließungen auf Grund von Krankheitsfällen oder Überforderung des Personals mit der Situation und den neuen Unterrichtsmethoden schufen Probleme. "Eltern beschwerten sich und sagten, dass sie mehr von der Schule erwarteten. Wir erwiderten, dass wir auch lernen müssten. Auch die Kinder mussten lernen, wie man Google-Classroom benutzt", erzählt die Direktorin. Zumindest das Masketragen in der Schule war in New York City nicht kontroversiell.

Monica Berry konzentrierte sich bei ihren Entscheidungen darauf, was das Beste für die Kinder war. "Das hat mir geholfen, Entscheidungen zu treffen und die Situation zu navigieren." Sie versuchte, Wege zu finden, damit die Schule trotz aller Social Distancing Regeln weiterhin Spaß macht. "Wie kann man ein Gruppenprojekt machen, wenn man nicht nebeneinandersitzen darf? Wie können wir eine kleine Klassenfeier abhalten, wenn sich nicht 40 Eltern im selben Klassenzimmer aufhalten dürfen?" Die Schule benutzte die Außenbereiche wie Sportplatz und Spielplatz für Feierlichkeiten oder zum Mittagessen. Statt Schulausflügen mit Schulbus oder U-Bahn fanden Spaziergänge in der Nachbarschaft oder im Central Park statt. 

Die Freude der Kinder am Morgen beim Betreten des Schulgeländes sieht Monica Berry als Bestätigung. "Die Kinder stürmen das Gebäude in der Früh. Wir müssen etwas richtig machen, wenn sie sich so darüber freuen, in die Schule zu kommen." Sie ist stolz darauf, dass die Kinder trotz des Traumas, das sie erlebt haben, noch immer glücklich sind. Die geschrumpfte Schülerzahl erlaubte es ihr, die Kinder besser kennenzulernen. Lernrückstande beobachtet sie bei ihren Schülern nicht.

Die Schulgemeinschaft von PS87 spricht insgesamt 34 Sprachen.
Stella Schuhmacher

Geistige Gesundheit

Psychische Auswirkungen der Pandemie beobachten die Lehrer allerdings schon. Zu Beginn des Jahres waren die Kinder aufgeregt, wieder in der Schule zu sein. Obwohl sie weder deprimiert oder überängstlich schienen, nahmen die Schüler die Hilfe der zwei Fachkräfte für psychische Gesundheit, die es an der Schule gibt, häufig in Anspruch. "Die Kinder wollten doch mit Erwachsenen darüber sprechen, wie sie sich fühlen." Ein sogenannter Guidance Counselor hilft bei allgemeinen Schulproblemen. Außerdem wurde zusätzlich der Posten eines Schulsozialarbeiters in 500 New Yorker Schulen neu geschaffen. Die Gelder dafür stammen aus dem Covid Relief Fund der föderalen Regierung, um die Öffnung des Schulsystems zu unterstützen.

Verhaltensveränderungen der Schüler wurden im Laufe des Schuljahres deutlich: "Verhaltensweisen, die wir von vor der Pandemie kennen, begannen viel früher. Die Fünftklässler geraten meist am Ende des Schuljahres in Kämpfe. Das passiert, weil sie in eine neue Schule gehen werden und sie nicht wissen, wie sie ihren Freunden sagen sollen, dass sie sie vermissen werden. Das hat heuer viel früher und auch stärker begonnen", erzählt Berry. Ein Kind sagte ihr: "Ich glaube, ich bin verärgert, weil wir gerade in die Schule zurückgekommen sind und jetzt müssen wir schon wieder gehen." Es laste ein Gewicht auf den Kindern, meint die Direktorin.

Malerein der Schüler am Schuleingang
Stella Schuhmacher

Soziale Gerechtigkeit

Auch die Black Lives Matter Proteste der letzten beiden Jahre hinterließen ihre Spuren bei den Schülern. Sie machen sich verstärkt Gedanken zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Schüler der fünften Klasse sammelten zum Beispiel mit einem Bake Sale 2.000 Dollar, die an die Ukraine gespendet werden. Andere gründeten einen Club zum Thema Gender Identity und Rassengerechtigkeit und diskutieren über die Black Lives Matter Bewegung, Diskriminierung und LGBTQ+-Themen. Außerdem werden die Schüler eine Gay-Pride-Parade in der Nachbarschaft organisieren und die community über die Stonewall Inn Unruhen und den Beginn der Homosexuellenbewegung in New York City aufklären. "Das sind Zehnjährige!,“ sagt die Direktorin, nicht ohne Stolz. "Sie fanden einen Sponsor und jetzt machen sie das völlig selbstständig. Der Aktivismus nahm bei den Kindern zu. Sie reden offener darüber."

Juni ist Pride Month in NYC. Hier das mit Fahnen dekorierte Stonewall Inn Monument.
Stella Schuhmacher

Bücherverbote

Auch die in den Vereinigten Staaten ausgebrochene Diskussion darüber, welche Bücher im Unterricht verwendet oder in den Schulbüchereien zu finden sein sollen, hat ihren Niederschlag gefunden. "Wir sind eine sehr liberale Gemeinschaft. Einige Kinder in der fünften Klasse haben ein Projekt über Bücher, die in Bundesstaaten wie Florida und Texas verboten werden, durchgeführt," erzählt die Direktorin. Die Schüler machten ein Referat und fragten dann ihre Klassenkollegen, was ihnen an den verbotenen Büchern auffiel. "Das sind alle farbige Menschen oder LGBTQ-Community, meinten die Kinder. Sie erkannten von selbst, was diese Bücher gemeinsam hatten." 

Als Bücher in anderen Bundesstaaten verboten wurden, kaufte das New Yorker Department of Education genau diese Bücher und platzierte sie in den Schulen. Berry schmunzelt. "Wir hatten viele dieser Bücher bereits in unserer Schulbibliothek und in den Klassen. Jetzt haben wir mehr Exemplare davon." Bücher zum Thema Rassendiskriminierung, Gender und Sexualität werden zur Zeit in zahlreichen amerikanischen Bundesstaaten aus Schulbibliotheken verbannt, wie beispielsweise George M. Johnsons "All Boys Are't Blue", Jonathan Evisons "Lawn Boy", Maia Kobabes "Gender Queer" und Toni Morrisons "The Bluest Eye". Zu den umstrittenen Bilderbüchern zählt zum Beispiel "Call Me Max" von Kyle Lukoff über ein Transgenderkind.

Kinder und Jugendbücher in einer Buchhandlung während des Pride Month.
Stella Schuhmacher

Kürzlich verbot ein Schulbezirk in Tennessee das Buch "Maus", die 1986 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Graphic Novel über den Holocaust von Art Spiegelman. In "Maus" zeichnet Spiegelman Juden als Mäuse und Nazis als Katzen. Der Autor sagte, er finde die Mausmetapher angemessen für Hitlers Rhetorik der Vernichtung und seine Verweise auf Juden als Ungeziefer. Das Buch erzählt die Geschichte, wie die jüdischen Eltern des Autors den Holocaust in Polen überlebten.

Maus von Art Spiegelman
Stella Schuhmacher

Herausforderungen und Masketragen

Principal Berry hofft, dass sich die Situation und der Umgang mit dem Virus weiter normalisieren. Im Moment beträgt die Quarantänedauer fünf Tage. Wenn jemand asymptomatisch ist oder 24 Stunden lang ohne Medikamente fieberfrei war, kann man ins Schulgebäude zurückkehren. "Ich hoffe, dass wir nicht mehr so viel Angst vor Covid haben." Zurzeit muss sie bei einem positiven Coronafall die gesamte Schulgemeinschaft verständigen.

Das ganztägige Tragen von Masken hatte negative Auswirkungen auf die Schüler. "Als wir die Maskenpflicht aufhoben, stellten wir fest, dass die Erstklässler uns nicht erkannten. Ich merkte, dass ich sie auch nicht erkannte. Wir hatten auch nicht bemerkt, wie sehr die Masken sie zurückhielten. Aussprache und Sprachentwicklung haben sich seit Ablegen der Masken wieder viel schneller entwickelt." Man sollte über die Verwendung von durchsichtigen Masken nachdenken, falls solche Maßnahmen wieder notwendig wären, meint Berry. "Denn die Masken wirken sich negativ aus, insbesondere im Klassenzimmer. Die Veränderung nach Ende der Maskenpflicht war unglaublich."

Die Kinder waren anfangs nervös, als die Maskenpflicht in Schulen im März dieses Jahres beendet wurde. Lehrer sprachen mit den Schülern darüber. Die Entscheidung wurde den Schülern individuell überlassen. Ein Mädchen sagte am ersten Schultag ohne Maskenpflicht: "Jeder trifft seine eigene Wahl. Und wir machen uns nicht über sie lustig, egal ob sie ihre Maske tragen oder nicht." (Stella Schuhmacher, 13.6.2022)

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