Ex-Kanzler Sebastian Kurz hat dem Schweizer Boulevardmedium "Blick" ein Interview gegeben und wurde dabei neben den Korruptionsaffären ("falsche Vorwürfe") und Comebackplänen selbstverständlich auch auf den Ukrainekrieg angesprochen. Tipps wollte er der Schweiz in Sachen Neutralitätspolitik dabei keine geben. Er habe die Schweiz jeher als Vorbild gesehen, sie habe ihre Rolle bereits vor Jahren gefunden. Er betonte die bekannte ÖVP-Linie, die zwischen militärischer Neutralität und moralischer Nicht-Neutralität unterscheidet.

Kaum jemand habe mit so einem Angriffskrieg der Russen gerechnet, sagte Kurz. Der Ausweg daraus sei schwer: "Eine einfache Lösung gibt es nicht. Die Situation ist viel zu verfahren. Die gute Nachricht ist: am Ende des Tages hat noch jeder Krieg mit Verhandlungen ein Ende gefunden". Er hoffe, dass dies früher als später stattfindet, und setzt seine Hoffnungen dabei vor allem in den Istanbuler Prozess, der allerdings wie die Ukraine und Russland betonen aktuell quasi komplett zum Erliegen gekommen ist.

Kritik an Kurz

Die Kurz-Aussage, wonach "am Ende des Tages noch jeder Krieg mit Verhandlungen ein Ende gefunden" habe, sorgte im Laufe des Samstages für heftige Kritik. Militär-Analyst Gerald Karner schrieb auf Twitter: "Wenn man einen eingebildeten Ungebildeten die Welt erklären lässt. Der Zweite Weltkrieg endete mit einer bedingungslosen Kapitulation." In Anspielung auf ebendiesen Zweiten Weltkrieg twitterte die Schriftstellerin Julya Rabinowich, "mit Hitler wurde ja vorzüglich verhandelt!"

Der Neos-Abgeordnete Helmut Brandstätter zwitscherte ebenfalls: "Man kann erst jetzt draufkommen, dass Kurz ungebildet ist. Konnte aber auch schon früher auffallen." Der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried landete einen Vergleich mit 1944: "Zumindest die Alliierten kamen nicht in die Normandie um zu verhandeln."

Die Politologin und Grünen-Abgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic erklärte auf Twitter: "Nein, nicht jeder Krieg endete mit Verhandlungen. Wenn er schon 2014 gewusst hat, was Putin denkt, wieso wurde er als Außenminister nicht aktiv?"

In die Politik will Kurz nicht mehr, ein politischer Mensch will er bleiben.
Foto: ANTHONY ANEX

Kurz fungierte von 2013 bis 2017 als Österreichs Außenminister. Auf die Frage, ob der Westen im Hinblick auf Russland naiv gewesen sei, antwortete Kurz dem "Blick": "Selbst wenn Europa viel aggressiver gegen Russland aufgetreten wäre – vielleicht hätte das die Entstehung des Konflikts nicht verhindert, sondern beschleunigt: Wir wissen das nicht." Klar sei, immer wenn er den russischen Präsidenten Wladimir Putin traf, habe dieser "als Erstes von Versprechungen des Westens, die nicht eingehalten worden seien, und von der Nato [gesprochen], die sich ausbreite." Er steht jedoch dazu, dass es richtig war, "dass Europa so lange als möglich versucht hat, den Dialog zu suchen." Nun aber habe er die Nato noch direkter vor der Haustür, durch die wahrscheinlichen Beitritte Schwedens und Finnlands.

Waffen sollen die liefern, die dürfen

Braucht es einen Kompromiss oder muss Russland besiegt werden? Die Ukraine habe ein Recht auf ihre "geografische Souveränität", sagt Kurz. Er verurteilte den Angriffskrieg im Interview wiederholt und meinte, auch die Ukraine brauche keine Tipps von außen. Dennoch gab er anschließend den Tipp dem Istanbuler Prozess eine Chance zu geben.

Was Waffenlieferungen belangt "bin ich da immer eher auf der zurückhaltenden Seite", sagte Kurz. Es sei nachvollziehbar, dass sich die Ukraine verteidigen müsse, neutrale Staaten können und dürfen das aber halt nicht. Es gebe ein Restrisiko, dass der Konflikt total eskaliert, er glaubt aber aktuell nicht daran.

Ein politisches Comeback schloss Kurz abermals aus, "ein politischer Mensch werde ich trotzdem immer bleiben", sagte er, meinte aber auch, das Leben biete noch andere schöne Dinge als die Politik. (faso, ag, APA, 4.6.2022)