Der Pfingstregen konnte die Stimmung nicht dämpfen: Auch am vierten Tag der Platinfeiern haben die Briten ausgiebig Queen Elizabeth II befeiert. Groß war der Jubel, als sich die 96-Jährige am Sonntagabend nochmals dem Volk zeigte, diesmal ganz in Grün. "Mein Herz war bei Ihnen allen", ließ die "zutiefst gerührte" Königin ihre Untertanen wissen.

"Mein Herz war bei Ihnen allen"
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FRAGE: Was verraten die öffentlichen Auftritte über die Zukunft der Monarchie?

ANTWORT: Gewiss wird die tiefreligiöse Königin ehrlich vorgehabt haben, am Freitag dem zentralen Dankgottesdienst in der Londoner Pauls-Kathedrale zu präsidieren. Ebenso hat sie bestimmt das berühmte Pferderennen von Epsom am Samstag nur ungern versäumt. Wer aber nochmals die vorsichtigen Verlautbarungen aus dem Buckingham-Palast nachliest, stellt fest: Stets waren darin lediglich zwei Termine fix vorgegeben, an denen die 96-Jährige öffentlich auftreten wollte. Beide Gelegenheiten hielt die Queen ein, beide Male erschien sie auf dem Balkon des Palastes.

Am Donnerstag rahmte eine größere Zahl von Verwandten das Oberhaupt der "Firma" Windsor ein. Das Tableau vom Sonntag hingegen verweist auf die Zukunft der "schlankeren Monarchie", die Thronfolger Charles schon seit einiger Zeit in die Tat umzusetzen versucht. Neben der Amtsinhaberin standen dort die Nummern Eins, Zwei und Drei der Thronfolge, daneben ihre Frauen und Geschwister. Also die Prinzen Charles, William und George, Charles‘ Gattin Camilla, Williams Frau Kate, die Mutter von George, Charlotte und Louis.

Mit diesem Septett will das Königshaus die Zukunft nach der Queen bewältigen. Diese dürfte sich, unabhängig von ihrem Gesundheitszustand, zunehmend aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Gewiss werden auch weiterhin Charles‘ Geschwister Anne und Edward eine Rolle als "arbeitende Royals" spielen, Lobbyarbeit für Wohlfahrtsorganisationen betreiben, die Verbindung in die Regionen Schottland und Nordirland aufrechterhalten. Die konstitutionelle Kernarbeit aber erledigen der derzeitige und der zukünftigen Prinz von Wales; Kates und Williams Kinder ermöglichen den Blick in die Zukunft.

FRAGE: Tragen die Briten diese Vision mit?

ANTWORT: Noch werden die Fragen nach der Zukunft durch die Loyalität gegenüber der Amtsinhaberin überschattet. Umfragen ebenso wie die Stimmung der Millionen von fröhlich Feiernden lassen aber doch den Schluss zu: Auf der Insel gibt es keine tiefgreifende Diskussion über das Fortbestehen der Monarchie, geschweige denn eine ernstzunehmende Alternative.

FRAGE: Und in Übersee?

ANTWORT: Bis heute ist die Queen Staatsoberhaupt nicht nur des Vereinigten Königreiches, sondern von 14 weiteren souveränen Staaten, allesamt frühere Kolonien, von geographischen und wirtschaftlichen Riesen wie Australien und Kanada bis zu winzigen Inseln in der Karibik und Südsee wie den Salomonen oder St. Kitts&Nevis. Deren Beitrag zu den Londoner Feiern hielt sich in sehr bescheidenen Grenzen. Die Verbindungen zum Mutterland sind vielerorts durchaus freundlich bis herzlich, politisch aber wollen viele Länder ihren eigenen Weg gehen. Das wurde in der Karibik sehr deutlich, wo der Besuch von William und Kate im Frühjahr nicht nur von Protesten überschattet war. Der Premierminister von Jamaika teilte seinen Besuchern auch live im Fernsehen mit, er strebe eine Republik an.

Gemacht hat diesen Schritt im vergangenen Jahr bereits Barbados. Interessanterweise fand der Festakt im Beisein von Prinz Charles statt: Der Thronfolger wollte die weitere enge Verbundenheit ausdrücken, nicht zuletzt Barbados‘ Zugehörigkeit zum Commonwealth unterstreichen, jenem Club britischer Ex-Kolonien, dem 54 Staaten weltweit angehören.

Schon mehren sich die Stimmen, die dem frischgebackenen König Charles zu einem dramatischen Schritt raten: "Wenn er klug ist, macht er deutlich, dass er die Rolle als Staatsoberhaupt aller anderen Länder gern aufgibt", glaubt beispielsweise Martin Kettle vom Londoner "Guardian". Die Autorin der "Palace Papers" (auf Deutsch im Verlag Droemer Knaur erschienen) geht sogar einen Schritt weiter: Charles solle, so Tina Brown, nach dem Tod der Queen Volksabstimmungen anregen, die über sein weiteres Schicksal entscheiden. Dies würde allerdings womöglich die Republikaner auf der Insel ermutigen: Wenn Australier und Jamaikaner abstimmen dürfen, warum dann nicht Briten?

FRAGE: Bewältigt Charles die Nachfolge? Übergibt er bald an William?

ANTWORT: Zweiflern an seiner Eignung zum Monarchen hat der 73-Jährige zuletzt barsch mitgeteilt, er kenne "selbstverständlich" den Unterschied zwischen der Funktion als Thronfolger und der des Königs. Als am längsten amtierender Prinz von Wales der britischen Geschichte hat sich der grüblerisch veranlagte Mann immer wieder bei wichtigen Themen zu Wort gemeldet, war ein früher Umwelt- und Klimaschützer, verlieh seiner Skepsis gegenüber moderner Architektur beredten Ausdruck. In jüngster Zeit gab es solch kontroverse Meinungsäußerungen nicht mehr zu hören, dem konstitutionellen Monarchen Charles III wären sie gänzlich untersagt.

Ähnlich verstummt wie Charles selbst ist auch das Gerede, der älteste Sohn der Queen könne zugunsten seines ältesten Sohnes William auf den Thron verzichten. Beide haben eindeutig erklärt: Am Prinzip der Erbmonarchie wird nicht gerüttelt. Dass das Duo mitsamt Frauen immer wieder gemeinsam auftritt, erfüllt offenkundig den Zweck, auf die – gemeinsame – Zukunft zu verweisen. Andererseits ist Charles nicht wie seine Mutter geprägt vom Trauma der Abdankung seines Onkels Edward VIII 1936. Nichts spricht dagegen, dass Charles III sich nach angemessener Zeitspanne aus gesundheitlichen Gründen aufs Altenteil zurückzieht.

FRAGE: Wie ist es um die Gesundheit der Königin bestellt?

ANTWORT: Schwer zu sagen. Das Gehen fällt der 96-Jährigen schwer, so viel steht fest. Auch scheut sie zunehmend die Strapaze einer Reise in ihren ohnehin ungeliebten Londoner Palast, hält sich viel eher auf Schloss Windsor oder ihren Landsitzen von Balmoral und Sandringham auf. Hingegen macht die Queen in Zoom-Auftritten immer wieder einen munteren Eindruck, scheint auch einstweilen nicht die gründliche Aktenarbeit vernachlässigen zu wollen, die sie durch ihre 70-jährige Regentschaft mit eiserner Disziplin beibehalten hat.

Dennoch dürften die Treffen häufiger werden, bei denen sich Spitzenbeamte und politische Verantwortungsträgerinnen über den nächsten wichtigen royalen Anlass austauschen. "London Bridge is down" – mit diesem Satz soll dereinst der Tod der Monarchin in Regierungskreisen verbreitet werden. Die anschließenden Tage werden einen Gradmesser darstellen, wie fest die Monarchie auf der Insel tatsächlich im Sattel sitzt. (Sebastian Borger, 6.6.2022)