Studien legen nahe, dass Zwangsarbeiter in die Lieferketten mehrerer außerhalb und innerhalb Chinas operierender Unternehmen integriert sind.

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Ein Datensatz aus anonymer Quelle legt nahe, was NGOs, Wissenschafter und einzelne Regierungen schon lange anprangern: die Internierung und andere menschenrechtswidrige Praktiken, begangen an der muslimischen Minderheit der Uiguren in der westchinesischen Region Xinjiang.

Die Regierung Chinas behauptet, es handle es sich um berufliche Fortbildungszentren, die dem Kampf gegen Armut und extremistisches Gedankengut dienen. Ein internationaler Verbund aus 14 Medienhäusern hat die Xinjiang Police Files auf Authentizität geprüft, Gefangenenlisten, Bildmaterial sowie vertrauliche Behördenanweisungen ausgewertet und veröffentlicht.

Dass der Besuch der angeblichen Fortbildungszentren – wie von chinesischen Funktionären behauptet – freiwillig sei, lässt sich diesen Auswertungen nicht entnehmen. Sichtbar geworden sind vielmehr von bewaffneten Sicherheitskräften abgeführte Menschen in Hand und Fußfesseln – mit einem schwarzen Sack über dem Kopf. Bei Fluchtversuchen gilt laut behördeninternen Anweisungen der Schießbefehl.

Nach den Ergebnissen der Studie eines australischen Forschungsinstituts sollen Zwangsarbeiter in die Lieferketten mehrerer außerhalb und innerhalb von China operierender Unternehmen integriert sein. Auch Angaben verschiedener Multi-Akteurs-Partnerschaften und NGOs weisen seit Jahren auf ein hohes Risiko von Zwangsarbeit in Xinjiang hin. Der geleakte Datensatz bestätigt dies in mehrfacher Hinsicht.

Lieferkettenproblematik

Im Fall Xinjiang würden die in China ansässigen Unternehmen Berichten zufolge dabei unterstützt, sich die mutmaßlichen Zwangsarbeiterprogramme zunutze zu machen. Ständig würden neue Werke aufgrund der geografischen Lage etabliert. Zugverbindungen über den Landweg direkt nach Europa – Stichwort neue Seidenstraße – würden bereits streckenweise in Betrieb genommen. Damit stellt sich in Europa die Lieferkettenthematik in aller Schärfe, zumal hier die Endprodukte unter Einbindung europäischer Unternehmen vertrieben werden.

Supranationale Softlaw-Instrumente halten Unternehmen seit Jahren dazu an, Risiken von Menschenrechtsverletzungen in ihrer globalen Lieferkette zu beobachten und entsprechend zu reagieren. Dabei handelt es sich in vielen Ländern Europas lediglich um Empfehlungen und zahnlose Wohlverhaltensregeln.

Anders in Deutschland, wo jüngst ein rechtlich verbindlicher und durchsetzbarer Rahmen geschaffen wurde: das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das große Unternehmen verpflichtet, regelmäßige Risikoanalysen im eigenen Geschäftsbereich sowie in jenem der unmittelbaren Zulieferer durchzuführen.

Arbeitsteilung

Staaten profitieren weltweit von Arbeitsteilung, denn sie bewirkt regelmäßig eine Erhöhung des BIP, des Mindestlohns, der Alterserwartung und des allgemeinen Wohlstands. Demgemäß sieht auch das LkSG vor, dass deutsche Unternehmen zunächst gemeinsam mit dem betroffenen Unternehmen einen Plan zur Beendigung oder Minimierung der menschenrechtsbezogenen Verletzungen erstellen und umsetzen.

Zusammen mit anderen in der Branche aktiven Unternehmen sollen zudem der Einfluss auf das betroffene Unternehmen erhöht und temporär die Geschäftsbeziehungen während der Bemühungen zur Risikominimierung ausgesetzt werden. Ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen ist hingegen nur dann geboten, wenn die Verletzung als sehr schwerwiegend bewertet wird und die Umsetzung der erarbeiteten Maßnahmen nach Ablauf der festgelegten Zeit keine Abhilfe bewirken konnte.

Abbruch der Geschäfte?

Konkret bedeutet dies, dass die Geschäftsbeziehungen mit Zuliefererbetrieben in Xinjiang abgebrochen werden müssten, sofern Abhilfemaßnahmen erfolglos blieben und die mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen als besonders schwerwiegend bewertet würden – wofür mit den Xinjiang Police Files nunmehr ein starkes Indiz besteht. Risikoanalysen sind daher zu aktualisieren, jedenfalls die neuen Risikohinweise zu berücksichtigen, um Vorwürfen überzeugend entgegentreten zu können.

Das LkSG tritt zwar erst am 1. Jänner 2023 in Kraft, die hier wiedergegebene Vorgehensweise entspricht jedoch im Wesentlichen den Empfehlungen bestehender Softlaw-Instrumente und dem von der EU-Kommission im Februar vorgelegten Vorschlag einer Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (COM [2022] 71 final).

Mit Spannung bleibt abzuwarten, wie und wann ein finaler Beschluss gefasst wird. Unternehmen sollten sich aber jedenfalls jetzt schon ihrer besonderen Verantwortung bewusst werden und entsprechend handeln. Die Zeit drängt. (Nikolai Schäffler, Richard Soyer, 7.6.2022)