Fährt man durch die Außenbezirke von Moskau, kilometerlang durch triste Hochhausviertel, blitzt immer wieder eine goldene Kuppel zwischen den Häusern auf. Eine Kirche, erbaut im traditionellen orthodoxen Stil. Die Mehrheit der Menschen in Russland gibt an, orthodoxer Christ oder orthodoxe Christin zu sein, so eine aktuelle Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada.

Kyrill gilt als eine der wichtigsten Stützen Putins.
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Würde sich die russisch-orthodoxe Kirche mit ihrem mächtigen Oberhaupt, dem Patriarchen Kyrill, gegen den Krieg in der Ukraine stellen, würde sich in Russland die öffentliche Meinung schnell drehen. Tut sie aber nicht. Im Gegenteil: Präsident Wladimir Putin und Patriarch Kyrill arbeiten Hand in Hand.

Wer ist dieser Kyrill, der den Einmarsch in die Ukraine mit der seiner Meinung nach aggressiven Haltung des Westens rechtfertigt?

Als Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche gilt Patriarch Kyrill als einer der wichtigsten Unterstützer von Russlands Machthaber Putin. Seit 400 Jahren versuche der Westen, die russische Welt zu teilen, vor allem den Westen und den Süden abzuspalten, um das traditions- und werteverhaftete russische Volk zu schwächen, behauptet Kyrill. Die russisch-orthodoxe Kirche bietet damit gewissermaßen den ideologischen Unterbau zu den Gebietsansprüchen des Kreml-Chefs.

Fest steht: Kyrill ist ein brillanter Netzwerker. Geboren ist der heute 75-Jährige in Sankt Petersburg. Bereits zu Sowjetzeiten werden ihm beste Kontakte zum Geheimdienst nachgesagt. Mit bürgerlichem Namen heißt das Kirchenoberhaupt Wladimir Gundjajew, er stammt aus einer Klerikerfamilie. In den 1970er- und 1980er-Jahren beteiligt er sich an der Öffnung der Ostkirche und am ökumenischen Austausch. In der Kirche steigt er auf, wird 1984 Bischof der Diözese Smolensk und Kaliningrad, später auch Metropolit.

Gewaltige Geldflüsse

Viel wesentlicher für seine Karriere ist jedoch: 1989 übernimmt er das Amt des Vorsitzenden für externe Kirchenbeziehungen. Es ist die Zeit der Perestrojka in der Sowjetunion. Der absolute Atheismus der Sowjetzeit wandelte sich zu einem wohlwollenden Entgegenkommen der Staatsführung gegenüber der Kirche, die das Recht erhält, zollfrei mit Tabak und Alkohol zu handeln.

Gewaltige Geldflüsse laufen über Kyrill. Er knüpft ein enges Netzwerk innerhalb der Kirche. Das hilft ihm 2008, nach dem Tod von Patriarch Alexi II., dessen Nachfolger als Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche zu werden.

Krieg und Religion– kein Widerspruch?
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Offiziell sind Staat und Kirche in Russland getrennt. Doch in den vergangenen Jahren sind die Verbindungen immer enger geworden. Kyrill hat gute Beziehungen zu Geheimdienstkreisen, Putin war selbst KGB-Agent und umgibt sich, so heißt es, mit führenden Mitgliedern der sogenannten Geheimdienstfraktion. Die orthodoxe Kirche in Russland ist quasi zur Staatskirche geworden. Davon profitiert auch der Kreml. In seinen Predigten unterstützt Kyrill ohne Wenn und Aber dessen Positionen. Liberale, westliche Denkweisen lehnt er ab.

Immer wieder setzt sich die russische Opposition mit den konservativen Positionen der Kirche auseinander. Die wohl spektakulärste Protestaktion war der Auftritt der feministischen Punk-Band Pussy Riot im März 2012 in der Christ-Erlöser-Kathedrale. "Das Gespenst der Freiheit ist im Himmel", heißt es in ihrem berühmten Punk-Gebet. Die Pussy-Riot-Frauen Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina mussten dafür ins Straflager – wegen "Rowdytums aus religiösem Hass", wie es hieß.

Kirchenscheidung

Die ukrainisch-orthodoxe Kirche hat sich inzwischen von der russisch-orthodoxen getrennt. Dort, in Kiew, sieht man die Unterstützung des Angriffskriegs Russlands durch Kyrill als Verstoß gegen das Gebot "Du sollst nicht töten". (red, 7.6.2022)