Den Altar hat eine Granate zerfetzt, zwischen den hölzernen Bankreihen der Kirche liegen Leichen, eine aufgeschlagene Bibel ist mit Blut durchtränkt: Bilder aus der katholischen St-Francis-Kirche in der südwestnigerianischen Stadt Owo, die einem die Sprache verschlagen.

Ein Verletzter des Anschlags in der St.-Francis-Kirche.
Foto: REUTERS/Temilade Adelaja

Während des Gottesdienstes am Pfingstsonntag, den Christen in aller Welt als Manifestation des Heiligen Geistes feiern, wurde das Gotteshaus zum Schauplatz eines der blutigsten Überfälle in der Geschichte des westafrikanischen Staates. Bis zu 100 Personen, darunter Kinder und schwangere Frauen, sollen dem Anschlag zum Opfer gefallen sein. Arakunrin Akeredolu, der Gouverneur des nigerianischen Bundesstaates Ondo, erklärte den Tag zum "schwarzen Sonntag" und sprach von einem "satanischen Überfall".

Überfall zu fünft

Der Priester war fast am Ende des Gottesdienstes angelangt, als plötzlich mehrere bewaffnete Männer in die Kirche eindrangen: Erst warfen sie Handgranaten, dann eröffneten sie das Feuer. Wem zunächst die Flucht gelang, wurde vor der Kirche von weiteren Schützen niedergestreckt. Dann verschwanden die fünf Männer in einem VW Golf so schnell, wie sie aufgetaucht waren.

Nigeria befindet sich im Schock: Zwar mussten sich die Bewohner des bevölkerungsreichsten Staates Afrikas in den vergangenen zwei Jahrzehnten an Massaker gewöhnen: aber nicht in diesem Teil des Landes, der bisher als relativ sicher galt.

Der Norden Nigerias wird von den Extremisten der islamischen Boko-Haram-Sekte oder von Lösegeld erpressenden Banditen heimgesucht – doch im Yoruba-Land leben Christen und Muslime seit Jahrhunderten friedlich zusammen.

Vorerst keine Bekenner

Bisher bekannte sich keine Organisation zu dem Überfall. Allerdings werden die ersten Finger auf Angehörige des Fulani-Volks gerichtet, die in der Sahelzone immer häufiger als Sündenböcke herhalten müssen. Sie sind nomadische Viehhirten, die regelmäßig mit sesshaften Ackerbauern zusammenstoßen; außerdem sind sie Muslime, während es sich bei den Ackerbauern nicht selten um Christen handelt.

In jüngster Zeit werden aus Nigeria immer öfter kaltblütige Verbrechen gemeldet. Bewaffnete überfielen im April einen Zug, töteten acht Passagiere und entführten dutzende. Vor einer Woche wurden drei methodistische Geistliche entführt.

In Nigeria sollen im kommenden Jahr Wahlen stattfinden, diese werden stets von Unruhen begleitet. Derzeit finden die Vorwahlen statt: Der regierende All Progressive Congress (APC) und die oppositionelle People’s Democratic Party (PDP) müssen ihre Kandidaten bestimmen. APC-Favorit ist Yoruba Bola Tinubu, Favorit der PDP der Nordnigerianer Atiku Abubakar. Eine Konstellation, die die Temperatur zusätzlich aufheizt. (Johannes Dieterich, 7.6.2022)