Boris Johnson bleibt Premierminister.

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Kaum haben die Briten ihre Queen als Musterbeispiel von Permanenz und treuem Dienst am Gemeinwesen hochleben lassen, meldet sich die kurzatmige Tagespolitik zurück. Denn die überraschend anberaumte Vertrauensabstimmung in der konservativen Parlamentsfraktion hat Boris Johnson zwar nicht gestürzt, ihn aber massiv geschwächt. Die Agonie der britischen Regierung dürfte monatelang anhalten.

Mindestens 54 konservative Rebellen hatten eine Abstimmung über ihren Vorsitzenden verlangt, überfallsartig wurde das Votum auf den Montagabend gelegt, wohl in der Hoffnung, damit dem Amtsinhaber zu nützen. Vordergründig ging das Kalkül auf, der 57-Jährige entschied die Abstimmung für sich. Aber immerhin 41 Prozent der Regierungsfraktion wollten den Premierminister loswerden. Vertrauen sieht anders aus.

Corona-Partys und Inkompetenz – unter diesen beiden Stichworten lässt sich knapp drei Jahre nach dem Amtsantritt das Sündenregister des Regierungschefs zusammenfassen. Vertreter aller Parteiflügel, altgediente Parlamentarierinnen ebenso wie Frischlinge haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten, zuletzt noch am Montag selbst, von ihrem Chef distanziert. Im Nachhinein muss man wohl sagen: Die Rebellen warteten zu lang mit dem Misstrauensvotum, immerhin standen die Vorwürfe seit Jänner fest, gab es an den Partys selbst kaum noch Zweifel, höchstens an Johnsons Beteiligung. Dessen Dementis kamen einer Irreführung des Parlaments gleich.

Dazu gesellen sich immer neue handwerkliche Fehler einer Regierung, der ein klares Konzept zu fehlen scheint. Die Konservativen, immerhin seit mehr als zwölf Jahren im Amt, bleiben Lösungen für vielerlei Probleme schuldig: mangelnde Produktivität, Millionen wartender Patienten im Gesundheitssystem, Chaos an den Flughäfen. Stattdessen will die Regierung Flüchtlinge nach Ruanda exportieren, was selbst Parteifreunde als unmenschlich, womöglich illegal abkanzeln. Der EU droht Johnson mit dem Bruch völkerrechtlich gültiger Verträge, nicht zuletzt über den Status von Nordirland.

Bei der Entscheidung dürften zwei Überlegungen eine Rolle gespielt haben: Von der Labour-Opposition unter Keir Starmer geht keine existenzielle Gefahr aus, die nur ein neues Gesicht an der Regierungsspitze abwenden könnte. Zudem wirkte keine der möglichen Kandidatinnen auf die Nachfolge sonderlich überzeugend. Vor dem monatelangen innerparteilichen Wahlkampf schreckten viele zurück. (Sebastian Borger aus London, 6.6.2022)