Daniela Cochlar verliert ihren Posten als Abteilungsleiterin der MA 10. Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) begründet den Schritt mit unterschiedlichen Auffassungen über das Krisenmanagement.

APA/Hans Punz

Die Anzeige gegen einen weiteren Kindergartenpädagogen, der am Standort in Wien-Penzing tätig war, hat keinen Vorwurf von sexuellem Missbrauch zum Inhalt. Ihm wird pädagogisches Fehlverhalten vorgeworfen.

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Nach den bereits bekannten Missbrauchsvorwürfen gegen einen Pädagogen in einem städtischen Kindergarten in Wien-Penzing ist ein weiterer Betreuer angezeigt worden. Ihm wird "pädagogisches Fehlverhalten" vorgeworfen, sagte der zuständige Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) am Dienstag. Die Vorwürfe gegen den zweiten Pädagogen betreffen einen Zeitraum im Vorjahr, in dem dieser ebenfalls am betroffenen Kindergartenstandort in Penzing tätig war. Laut Wiederkehr soll es sich aber um keinen Vorwurf von sexuellem Missbrauch handeln. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt aktuell in Richtung Freiheitsentziehung. Es dürfte darum gehen, dass Kindergartenkinder strafweise in einen Raum gesperrt wurden.

Das Bekanntwerden des nächsten mutmaßlichen Übergriffs hat auch für die Leiterin der Magistratsabteilung 10 (Kindergärten) Konsequenzen: Daniela Cochlar, seit zehn Jahren Chefin der Abteilung, wird abgesetzt. Wiederkehr habe Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) am Dienstagvormittag gebeten, Cochlar von ihren Aufgaben zu entbinden. Der pinke Stadtrat begründete den Schritt damit, dass es eine zunehmend unterschiedliche Auffassung über das aktuelle Krisenmanagement gebe. Stadtchef Ludwig sagte wenig später, dass er der Bitte Wiederkehrs nachkommen werde.

Zunehmende Kritik an Cochlar

Schon zuvor hatte Wiederkehr indirekt deutliche Kritik an Cochlar geübt. So gab es in der Causa mutmaßlicher sexueller Übergriffe durch einen Kindergartenpädagogen bereits im März des Vorjahres eine erste Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Weitere Eltern, die ihre Kinder der Einrichtung anvertrauten, wurden von diesem Verdachtsfall aber erst mehr als ein Jahr später informiert. Das sei viel zu spät passiert, sagte Wiederkehr – der selbst als Stadtrat erst vor wenigen Wochen davon erfahren hat.

Mittlerweile prüft die Staatsanwaltschaft in vier Fällen den Vorwurf des (teils schweren) sexuellen Missbrauchs von Unmündigen gegen diesen Pädagogen. Die mutmaßlichen Übergriffe sollen allesamt mehr als ein Jahr zurückliegen. Der betroffene Mitarbeiter wurde bereits nach Aufkommen der ersten Vorwürfe in den Innendienst versetzt und hat keinen beruflichen Kontakt mit Kindern mehr.

Pädagogischer Übergriff erst vor kurzem gemeldet

Auch der nunmehr bekanntgewordene Fall von pädagogischem Fehlverhalten gegen den zweiten Pädagogen betrifft einen länger zurückliegenden Zeitraum. Allerdings haben Eltern den mutmaßlichen Übergriff erst vor kurzem gemeldet. Laut Wiederkehr dürfte die Berichterstattung über die ersten Missbrauchsfälle dafür gesorgt haben, dass die Eltern die Vorwürfe nun äußerten. Laut Wiederkehr gab es am 25. Mai eine erste Meldung an die Stadt. Am vergangenen Freitag wurde via MA 11 (Kinder- und Jugendhilfe) die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Geprüft wird laut Wiederkehr auch, ob es einen Zusammenhang zwischen der aktuellen Causa und den bereits bekannten vier Missbrauchsfällen rund um den ersten Pädagogen gibt.

Der zweite betroffene Mitarbeiter hat die Einrichtung in Penzing jedenfalls noch im Vorjahr auf eigenen Wunsch verlassen und war seit September 2021 in leitender Funktion in einem Kindergarten in Wien-Liesing tätig. Mit Bekanntwerden der Vorwürfe am 25. Mai 2022 wurde dieser ebenfalls in den Innendienst versetzt und hat beruflich keinen Kontakt mehr mit Kindern. In der neuen Einrichtung wurden noch keine Vorwürfe gegen den Betreuer geäußert, sagte Wiederkehr.

In beiden Fällen gilt die Unschuldsvermutung. Eine etwaige Vertragsauflösung wäre laut Dienstrecht im Fall einer Verurteilung vorgesehen, hieß es am Dienstag.

Ein weiterer, dritter Fall betrifft einen privaten Kindergarten ebenfalls in Liesing: Dort gibt es den Verdacht, dass ein Betreuer zwei Buben misshandelt und sexuell bedrängt haben könnte. Der Pädagoge ist nicht mehr am Standort tätig. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Mehrere personelle Konsequenzen

Die geplante Absetzung von MA-10-Chefin Cochlar ist die nächste Maßnahme, die Wiederkehr als Konsequenz nach Auftreten der Vorwürfe getroffen hat. Schon zuvor wurde die Kindergartenleitung am betroffenen Standort in Penzing ausgetauscht, auch eine neue Regionalstellenleitung, die als nächste übergeordnete Instanz für den Standort zuständig war, kündigte Wiederkehr an.

Für Mittwoch hat der Stadtrat eine Expertinnenrunde zum Thema Kinderschutz einberufen. Bereits bekannt ist, dass im Herbst ein neues Kinderschutzkonzept in allen Kindergärten Wiens eingeführt werden soll. An diesem wird aktuell gearbeitet. Die Stadt hat auch eine Untersuchungskommission eingesetzt, die den Prozessablauf beim ersten Verdachtsfall in Penzing prüft. Auch Versäumnisse der Behörden sollen aufgezeigt werden. Der Bericht der Kommission soll Ende Juni oder spätestens Anfang Juli vorliegen und auch veröffentlicht werden, wie Wiederkehr dem STANDARD sagte.

Großer Missbrauchsfall an Wiener Schule

Neben den mutmaßlichen Übergriffen in den Kindergärten ist zuletzt nach STANDARD-Recherche auch ein bedrückender Missbrauchsfall an einer Wiener Schule öffentlich bekannt geworden. Ein Pädagoge einer Mittelschule im zweiten Bezirk soll Schüler über Jahre sexuell missbraucht und kinderpornografisches Material angefertigt haben. Anfang April 2019 ging eine erste Anzeige bei den Behörden ein, nur wenig später kam es zum Suizid des Lehrers. Die Wiener Polizei sagte dem STANDARD, dass es insgesamt 25 Opfer des sexuellen Missbrauchs sowie der Kinderpornografie gebe. Laut Bildungsdirektion der Stadt handelt es sich ausschließlich um Buben, die zum Zeitpunkt der Verbrechen zwischen elf und 14 Jahre alt waren. Die Fälle gehen laut Polizei "bis ins Jahr 2009 zurück".

Die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft sprach von einem Systemversagen: Schüler seien jahrelang ohnmächtig der Willkür eines Lehrers ausgesetzt gewesen. Um Versäumnisse aufzuzeigen, wurde ebenfalls eine Untersuchungskommission im Auftrag der Stadt eingerichtet. Ein Bericht liegt noch nicht vor. "Hier wird noch zu entscheiden sein, wie man dann mit dem Bericht vorgeht", sagte Wiederkehr. Sprich: Es ist noch offen, ob der Bericht auch öffentlich zugänglich gemacht wird.

Kritik der Rathausopposition

Die Wiener FPÖ kritisiert, dass Stadtrat Wiederkehr mit der Abberufung Cochlars viel zu spät reagiert habe, wie Klubchef Maximilian Krauss ausführt. Die Freiheitlichen hätten "weitere Hinweise von Eltern erhalten, die eine Ausweitung des Skandals und noch größeres Fehlverhalten befürchten lassen". Die ÖVP pocht darauf, dass eine "offizielle Entschuldigung" der Stadt mehr als angebracht sei. Gefordert wird eine "Standardisierung der Elterninformation", wie es in einer Aussendung von Klubchef Markus Wölbitsch und Bildungssprecher Harald Zierfuß heißt.

Die Wiener Grünen verweisen darauf, dass Eltern am betroffenen Standort weiterhin mangelnde Unterstützung, Mängel in der Kommunikation sowie fehlende psychologische Betreuung beklagen würden. Kinderschutz müsse verstärkt ein Thema in der Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen werden. (David Krutzler, 7.6.2022)