Sie sind tatsächlich angereist. Und ganz Deutschland konnte zusehen, war – dank Medien und Social Media – irgendwie auch gleich dabei. #Syltentern und #Syltokalypse hatten die einschlägigen Hashtags im Internet gelautet. Da war bei vielen auf der Promi- und Reichen-Insel Sylt (Schleswig-Holstein) schon vor Pfingsten das eine oder andere Fläschchen Champagner mehr nötig gewesen, zur Beruhigung versteht sich – nach dem Motto "Hilfe, der Pöbel kommt mit dem Neun-Euro-Ticket, Hans-Rüdiger, stell den Maserati in die klimatisierte Garage!".

Punks genießen das Leben in vollen Zügen.
Foto: Reuters/Bimmer

Aber eines gleich vorneweg: Es blieb alles ruhig. Punks & Porsche, Dosenbier & Dosenkaviar, Lederjacke & Louis Vuitton verbrachten ohne gröbere Auseinandersetzungen ein schönes Wochenende auf der Nordseeinsel. 50 bis 80 Punks zählte die Polizei und erklärte, es sei bloß einmal "ein wenig laut gewesen", was aber auch nichts Besonderes auf der Insel sei.

"Impressionen aus #Westerland #Sylt" stellte die Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands (APPD) ins Netz, zu sehen waren entspannte Menschen, die in Westerland in der Fußgängerzone saßen und Bier tranken. Gesichtet wurden übrigens auch ein Einhorn und ein Schild, das die Besucherinnen und Besucher aufgestellt hatten: "Wer glotzt, kann auch spenden." Da ist dann vielleicht doch dem einen oder der anderen das Gucci-Halstüchlein ein bisschen verrutscht.

Erinnerungen an 1995

Natürlich gab es im Netz die entsprechenden Kommentare. "Wegen 9 Euro Pöbels: Sylt beantragt Nato-Mitgliedschaft", war ebenso zu lesen wie "Stand with Sylt" und "Malle (Mallorca) ist nur einmal im Jahr! Sylt die nächsten drei Monate!".

Doch es war alles sehr viel gesitteter als im Jahr 1995. Damals führte die Deutsche Bahn ein neues Wochenendticket für 15 D-Mark ein. Es gab ebenfalls Aufrufe, auf Sylt "Chaos" zu verbreiten, dutzende Randalierer wurden gleich am Bahnhof Westerland festgenommen. Dort ist Endstation für den Zug, der Sylt über den Hindenburgdamm mit dem Festland verbindet.

Dabei hatte es an Vorbereitung für echten Rambazamba nicht gefehlt zu Pfingsten 2022. Im Internet kursierte ein Flyer, der "Chaostage" auf Sylt versprach. Es hieß, Bands wie Slipknot, Die Toten Hosen oder Die Ärzte würden auftreten und ein Festival, "größer als Woodstock", bieten, alles gratis natürlich. "Die Reichen und Schönen zittern bereits, denn die Pöbler*innen sitzen auf gepackten Bierkisten", schrieb die Band Alarmsignal und versprach: "Wenn wir mit Sylt fertig sind, ist da nur noch Nordsee und sonst nichts."

Zurück nach Westerland

Alles nur Satire, aber man kann ja nie wissen. Und war nicht auch der "Westerland"-Song der Band Die Ärzte in letzter Zeit verdächtig oft zu hören gewesen? "Oh ich hab' solche Sehnsucht, ich verliere den Verstand, ich will wieder an die Nordsee, ich will zurück nach Westerland", heißt es da.

Aber wer weiß ... Der Sommer hat ja gerade erst begonnen, und das neue Neun-Euro-Ticket kann man im Juni kaufen, im Juli und im August. Es berechtigt je einen Monat lang zu Fahrten in sämtlichen Verkehrsmitteln des Nah- und Regionalverkehrs. Die deutsche Regierung hat es als Reaktion erdacht auf die hohen Spritpreise, es soll den Deutschen das Zugfahren schmackhaft machen. Den Bund kostet das Neun-Euro-Ticket rund 2,5 Milliarden Euro. Dagegen nimmt sich ein reetdachgedecktes Haus auf Sylt für vier Millionen Euro geradezu wie ein Schnäppchen aus. (Birgit Baumann aus Berlin, 7.6.2022)