Es ist die größte lebende Struktur, die auf der Erde existiert – damit wirbt das Great Barrier Reef und zieht jährlich Millionen Besucherinnen und Besucher an. Mit seinen 2300 Kilometern Länge – etwa die Entfernung per Luftlinie von Wien nach Lissabon – ist das australische Great Barrier Reef größer als jeder Pilz, jedes Tier und jede Pflanze und sogar vom Weltall aus sichtbar.

Doch die Erderwärmung bedroht das Riff. Um das einzigartige Ökosystem zu retten, arbeiten hunderte Forschende des Reef Restoration and Adaptation Program daran, das Riff an eine unfreundlichere Umwelt anzupassen. Das größte Forschungs- und Entwicklungsprogramm zum Schutz und Wiederaufbau von Korallen will Tiere züchten, die schneller wachsen, höheren Temperaturen und saureren Gewässern standhalten.

Das Great Barrier Reef ist die größte zusammenhängende lebende Struktur auf der Welt und ist sogar vom All aus sichtbar. Doch gesund ist das Riff schon lange nicht mehr.
Foto: Reuters/Lucas Jackson

Besonders unter dem Klimawandel leiden die Algen, die in den Korallen leben. Seit mehr als 160 Millionen Jahren leben sie mit Polypen, nur wenige Zentimeter großen Nesseltieren, in Einklang. Ihre Farbe bekommen die Korallen von den Algen. Die Polypen bauen Kalkstrukturen und bieten Schutz und Nährstoffe, die Algen vor allem Zucker. Doch die symbiotische Beziehung gerät durch zu hohe Temperaturen aus dem Gleichgewicht. Unter Hitzestress stoßen die Korallen ihre Algen ab und verblassen. Die sogenannte Korallenbleiche ist zwar kein Todesurteil, aber ein Zeichen von hoher Belastung. Dauert diese an, verhungern die Korallen ohne den Zucker der Algen. Eine Untersuchung der Great Barrier Foundation aus diesem Jahr zeigte, dass bereits 91 Prozent der beobachteten Tiere von Korallenbleiche betroffen waren.

Evolution im Eilverfahren

Bei den restlichen neun Prozent der Korallen, die der langen Hitzewelle von 2022 standgehalten haben, setzt das Reef Restoration and Adaptation Program an. Bei der australischen Schirmorganisation arbeiten 200 Forschende an dem Erhalt und dem Wiederaufbau des Great Barrier Reef.

Ein Forschungsteam, das von Line K. Bay und Andrea Severati geführt wird, geht davon aus, dass die widerstandsfähigen Korallen ein hitzeresistentes Gen besitzen. Wie in der Evolution vorgesehen, sind manche Korallen mutiert, um bessere Überlebenschancen zu haben. Diese natürliche Evolution wollen die Forscherinnen und Forscher beschleunigen, um das gesamte Korallenriff fit für die Klimakrise zu machen.

In Labortanks laichen die eingesammelten, hitzeresistenten Korallen. Dabei stoßen die winzigen Polypen der Korallen Eier und Spermien ab.
Foto: Carly Randall

Doch zuvor mussten die Forschenden verstehen, wie sich Korallen fortpflanzen. Diese vermehren sich entweder sexuell oder asexuell. Bei der sexuellen Fortpflanzung laichen die Korallen einmal im Jahr. Im Wasser müssen sich dann die Spermien einer Koralle und die Eier einer anderen Koralle finden und verschmelzen. Damit sich die Chancen der Befruchtung erhöhen, laichen die Korallen derselben Gattungen gleichzeitig. Laut Theorie richten sie sich dabei nach der Mondphase und den Temperaturen. Durch die kreuz und quer schwebenden Keimzellen sieht es während der Paarungssaison unter Wasser aus wie in einer Schneekugel. Doch die Chancen, dass ein winziges Korallenei und ein noch viel winzigeres Korallenspermium aufeinandertreffen, sind sehr gering – die meisten Eier bleiben unbefruchtet.

Wenn doch mal eine Larve entsteht, findet diese oft keinen freien Boden, an dem sie sich festsetzen kann, oder sie wird von einem Fisch gefressen. Manche Korallenarten werden bis zu 500 Jahre alt und pflanzen sich nur sehr langsam fort. Genau diese sterben aber in hohen Zahlen durch die von der Erderwärmung verursachte Korallenbleiche.

Transplantation per Boot

Um die Larven mit der kostbaren Hitzemutation nicht zu verschwenden, fängt sie das Forscherteam von Bay und Severati im Wasser ab. Die Larven von Gebieten, die ohne Korallenbleiche davonkommen, landen in einen Container, der an einem Boot hängt. Dieses eskortiert die Korallensprösslinge mit der besonderen Mutation in ein stark geschädigtes Gebiet – eine Transplantation sozusagen. Die resistenten Korallen teilen dort ihr Erbgut mit gefährdeten Riffen, die weiter entfernt stehen. Langfristig könnten sich die erfolgreich transplantierten Korallen wiederum selbst vermehren.

Den Laich, den die Korallen unter nachgestellten Umweltbedingungen abstoßen, sammeln die Forscherinnen zur Weiterzüchtung ein.
Foto: Great Barrier Reef Foundation/Dorian Tsai

Dennoch sind die Forscherteams noch vom natürlichen Laichvorgang abhängig, der nur einmal im Jahr stattfindet. Laut dem Leiter des Reef Restoration and Adaptation Program, Cedric Robillot, ist die Zukunft der Züchtung ein eingeleitetes Korallenlaichen im Labor. In speziellen Tanks wird die Atmosphäre des Ozeans zur Paarungssaison nachgeahmt. "Diese Laborkorallen laichen genauso wie Korallen in freier Wildbahn – sogar an denselben Tagen und zu denselben Zeiten", sagt Robillot. Danach kreuzen Forscherteams hitzeresistente mit empfindlichen Korallen. So soll eine robuste Art entstehen, die auch dem sich durch die Klimakrise erhitzenden Wasser standhält.

Das Team von Bay und Severati testet die daraus entstandenen Kreuzungen in Extremsituationen. In Simulationstanks müssen sie Hitze, Übersäuerung und Verschmutzung standhalten. Die Idee ist, die Tiere auf möglichst große Widerstandskraft bei unfreundlichen Umweltbedingungen zu züchten. Laut Robillot forscht das Team des Reef Restoration and Adaptation Program an Strategien, um das Laichen zu verschiedenen Zeiten des Jahres auszulösen, damit die Vermehrung das ganze Jahr über stattfinden kann. Noch handelt es sich dabei aber um Zukunftsmusik.

Aus Klein wird Groß

Aber schon jetzt sind die Forscherinnen und Forscher des Aufforstungsprogramms außerhalb der Laichsaison nicht untätig. Denn Korallen pflanzen sich nicht nur sexuell durch Laich fort, sie vermehren sich auch asexuell. Brechen Bruchteile von Korallen bei einem Sturm ab, können Taucher sie wie Pflanzensetzlinge wieder am Boden ansetzen. Der Korallenforscher David Vaughan entdeckte auf der anderen Seite des Globus, in Florida, dass Korallen umso schneller wachsen, je kleiner man sie zerteilt. Vaughan entwickelte daraufhin die Methode der Mikrofragmentation, die es auch ins Great Barrier Reef geschafft hat.

Zuvor mussten Wissenschafter bei der Züchtung von bestimmten Steinkorallen bis zu zwei Jahre warten, bis sie zur Größe einer mittelgroßen Münze herangewachsen sind. Derselbe Prozess dauert nach der Mikrofragmentation nur sechs bis zwölf Monate. Die kleinen Bruchteile können sich aber, den Naturgewalten ausgesetzt, kaum behaupten. Doch auch dafür hat Vaughan eine Lösung gefunden: Das sogenannte "Reskinning" soll die Minikorallen schneller wachsen lassen. Normalerweise berühren sich Korallen unterschiedlicher Arten ungern und töten Konkurrenten bei Platzmangel sogar. Vaughan entdeckte erstmals, dass die fragmentierten Teile derselben Koralle einander erkennen und zusammenwachsen. Eine Steinkoralle, die erst nach 15 bis 25 Jahren ausgewachsen wäre, braucht durch die Kombination von Mikrofragmentation und Reskinning nur ein bis zwei Jahre. Am Great Barrier Reef setzen Taucher unter Wasser mikrofragmentierte Bruchteile auf künstliche Betonstrukturen an. Wie eine neue Haut bedecken die Korallenteile nach und nach den Beton, daher auch der Name Reskinning.

Die meisten Interventionen im Zuge des Reef Restore and Adaptation Program werden noch im kleinen Rahmen erforscht. Doch um das Riff zu retten, sollen Tiere künftig durch automatisierte Systeme en masse produziert werden. Von wenigen Zehntausend soll die Produktion auf mehrere Millionen Korallen im Jahr anwachsen. "Das Great Barrier Reef ist so groß wie Italien – wir wissen also, dass wir in großen Dimensionen denken müssen", sagt der Biologe Robillot. (Isadora Wallnöfer, 8.6.2022)