In seinem Gastkommentar beschreibt der Soziologe Max Haller, warum viele Menschen es schwer haben, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen – und wie man die Einbürgerungsrate erhöhen könnte. Lesen Sie zu dieser Debatte auch die Gastkommentare von Andreas Khol, Rainer Bauböck und Gerd Valchars sowie Ebru Sokolova.

Illustration: Fatih Aydogdu

Mit der Wortmeldung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen wurde ein wichtiges Thema (wieder) auf die Tagesordnung gesetzt: die Einbürgerung von hier ansässigen Ausländerinnen und Ausländern. Während der Bundespräsident Erleichterungen als notwendig betrachtet, stellten sich Bundeskanzler Karl Nehammer und die ÖVP strikt dagegen. Die Kommission für Migration und Integration (KMI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat in den vergangenen Jahren eine Reihe fundierter Studien zu diesem Thema durchgeführt. Die letzte darunter war eine vom Autor dieses Beitrags geleitete Umfrage unter 500 schon länger in Wien ansässigen Ausländerinnen und Ausländern über ihre Wünsche und Vorstellungen hinsichtlich des Erwerbs der Staatsbürgerschaft.

Die Forderung nach Erleichterung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft legt schon die Tatsache nahe, dass Österreich (nach Luxemburg) mit 17 Prozent den höchsten Ausländeranteil in der EU hat. In Wien ist es sogar ein Drittel der Bevölkerung. Der Kanzler hat recht, wenn er auf die Möglichkeit zur Einbürgerung nicht erst nach zehn, sondern sogar schon nach sechs Jahren Aufenthalt verweist. Tatsächlich besteht das Paradox, dass über eine halbe Million Fremde bereits mindestens zehn Jahre in Österreich leben, also die diesbezüglichen Voraussetzungen erfüllen, aber dennoch nicht um die Staatsbürgerschaft ansuchen. Wie ist dies zu erklären?

Wunsch und Wirklichkeit

Für die Studie der KMI wurden 500 Menschen in Wien aus allen wichtigen Herkunftsländern (Deutschland, andere EU-Länder, Ex-Jugoslawien, Türkei, Drittstaaten) über ihr Interesse an einer Beantragung der Staatsbürgerschaft befragt. Die Befunde zeigen: Nahezu 40 Prozent haben ein solches Interesse; es liegt also weit höher als die faktische Zahl der Einbürgerungen, die in Österreich pro Jahr nur 0,7 Prozent der hier ansässigen Ausländerinnen und Ausländer erlangen. Es muss also Hindernisse geben, welche der Realisierung dieses Wunsches entgegenstehen.

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass unter der größten Ausländergruppe in Österreich, jener aus der Bundesrepublik Deutschland, gerade einmal ein Zehntel die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben möchte. Für sie spielt – wie für alle anderen Zuwandernden aus EU-Staaten – etwa die Tatsache eine Rolle, dass sie durch die österreichische Staatsbürgerschaft außer dem Wahlrecht nicht viel dazugewinnen würden. Wichtig ist für sie wohl auch die Identifikation mit Deutschland als einem der größten und höchstentwickelten EU-Länder. Die Identifikation mit dem Herkunftsland spielt auch für Zuwanderer aus anderen Ländern, wie der Türkei, eine wichtige Rolle.

Hohe Hürden

Hemmnisse für das Ansuchen sind nach Angaben der Befragten für alle Nichtdeutschsprachigen die hohen Hürden in Bezug auf Deutschkenntnisse und Einkommen sowie die Kosten der Einbürgerung. Der erforderliche Einkommensnachweis ist für viele Zuwandernde in Berufsfeldern mit niedrigem Einkommen (Bauwesen, Handel und einfache Dienstleistungen, Pflege) nicht erreichbar; es wäre dies selbst für die Österreicherinnen und Österreicher in solchen Gruppen oft nicht möglich. Sie alle sind uns als Arbeitskräfte jedoch willkommen, ja inzwischen weitgehend unentbehrlich.

Offene Interviews mit 31 Personen ergaben, dass auch die komplizierten und bürokratischen Verfahren, die oft als schikanös empfunden werden, ein erhebliches Problem darstellen. So werden Eingaben monatelang nicht beantwortet, Volksschulzeugnisse als Unterlagen verlangt, gesetzlich irrelevante Hemmungsgründe (etwa Scheidung) genannt.

Bündel an Maßnahmen

Aus den Befunden lässt sich auch ableiten, dass eine Vielfalt von Maßnahmen zu einer Erhöhung der Einbürgerungsrate beitragen würde. Auf der Ebene von Gemeinden und Ländern wären dies verstärkte Information, Vereinfachung und finanzielle Erleichterung der Verfahren; dies würde vor allem der Masse der Zuwandernden in den einfachen Berufen zugutekommen. Auf der Ebene des Bundes wären gesetzliche Maßnahmen zur Erleichterung des Zugangs und der Ermöglichung von Doppelstaatsbürgerschaften nötig. Eine frühere KMI-Studie zeigte übrigens, dass auch die rund eine halbe Million Auslandsösterreicherinnen und Auslandsösterreicher mit großer Mehrheit dafür ist.

Selbst wenn auf all diesen Ebenen Maßnahmen gesetzt würden, wäre kein plötzlicher Sturm auf die Staatsbürgerschaften zu erwarten, da es in aller Regel mehrere Gründe für das Nichtansuchen gibt. Ebenso wenig stichhaltig ist die Befürchtung, dass die Eingebürgerten ihre Stimme einer bestimmten Partei geben würden, da sie intern genauso differenziert sind wie die österreichische Bevölkerung insgesamt.

Für all jene, die ihren Lebensmittelpunkt hierzulande haben und entscheidend zum Wohlstand Österreichs beitragen, kann eine Erleichterung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft jedoch ein Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit sein. (Max Haller, 8.6.2022)