Die Heisl-Saga geht weiter. Aus einer Diskussion über wienerische Kraftausdrücke wird plötzlich ein identitätspolitischer Streitfall.

Von Anfang an: Am Parteitag der Wiener SPÖ beschimpfte Ernst Nevrivy, der Bezirksvorsteher von Donaustadt, die Grünen und andere Umweltbewegte als "Heisln" (= menschgewordene Aborte). Bei uns im STANDARD war das auch ein Anlass, eine kleine Anthologie von Wiener Schimpfwörtern zusammenzustellen (von A wie "Anpumperer" bis Z wie "Zwirnscheißer"). Mitsamt Herkunftserklärung. Die Online-Version des Artikels war als Quiz gestaltet und hatte fast 1400 Leserkommentare (Postings). Es gab sprachwissenschaftliche Debatten: "Kusch" oder "Gusch"? (Karl Kraus schrieb immer: Kusch.)

Wien ist eine Großstadt, deren Einwohner zu 42,7 Prozent "Migrationshintergrund" haben.
Foto: Christian Fischer

Wir hatten auch als neuwienerischen Kraftausdruck das Wort "Schwabo" angeführt. Das ist die exjugoslawische Bezeichnung für Deutschsprachige. Unser Motiv war, zu zeigen, dass es auch ein migrantisches "Neuwienerisch" gibt, das durchaus abwertende Untertöne hat.

Mehr haben wir nicht gebraucht. "Schwabo" habe man noch nie gehört, und außerdem sei es nicht Wienerisch, schimpften dutzende Poster. Unsere zarten Hinweise, dass "Wienerisch" und "Wiener" zumindest im Grundsatz auch für die zehntausenden Menschen serbischer, kroatischer, bosnischer und mazedonischer Herkunft gelten muss, die hier geboren und aufgewachsen sind, wurden zornig weggewischt ("Das sind Gastarbeiterkinder!"). Es half auch nichts, dass wir auf einen Artikel in dem Migrantenmagazin Biber verwiesen, wo genau dieser Begriff "Schwabo", geschrieben auch Švabo, von Wiener Schülerinnen verwendet wird.

Gesellschaftliche Realität

Nicht wenige wollen einfach die gesellschaftliche Realität nicht wahrhaben: dass Wien eine Großstadt ist, deren Einwohner zu 42,7 Prozent "Migrationshintergrund" haben (entweder ausländische Staatsbürger oder im Ausland geborene österreichische Staatsbürger). Dass Dienstleistungsberufe in hohem Maß von Zuwanderern ausgeübt werden. Dass es eine ganze Generation junger Leute mit Migrationshintergrund gibt, die hier geboren und aufgewachsen sind und ganz sicher nicht mehr weggehen werden. Die aber zu einem beträchtlichen Teil nicht wählen dürfen, weil sie keine Staatsbürger sind. Aber sie sind Wiener, mehr oder weniger.

"Schwabo" leitet sich von den "Donauschwaben" her, die im 18. Jahrhundert an die damalige Balkan-Militärgrenze geschickt wurden. Der Begriff wanderte vom Balkan mit den Migranten nach Österreich. Deutsche und Österreicher heißen übrigens im türkischen Migranten-Slang "Alman" – mit Subtext "leicht spießig, selbstzufrieden".

Vielleicht liegt es daran, dass man mit "Wienerisch" eher "Altwienerisch" verbindet. Denn die Wahrheit ist: Viele der herrlichen und herrlich ordinären Wiener Schimpfwörter sind schon ziemlich alt und einer jüngeren Generation nicht mehr so geläufig. Aber Sprache ändert sich, auch und gerade durch Zuwanderung.

Ein Großteil der Wiener Ausdrücke stammt aus dem Jiddischen. Oder aus dem Tschechischen. Die Vorfahren des Herrn Nevrivy sind wohl von daher gekommen. Halt nur 100 Jahre früher. (Hans Rauscher, 8.6.2022)