Inhalte des ballesterer #171 (Juni 2022) – Seit 3. Juni im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

Schwerpunkt Feyenoord

STADTPORTRÄT MIT WANNE

Feyenoord und das De Kuip sorgen nicht nur für Träume und Traumata, sie sind der Ausdruck Rotterdams

FALSCHE LIEDER

Die antisemitischen Gesänge der Feyenoord-Fans

MISTER FEYENOORD

Ben Wijnstekers kennt Verein und Stadt sein ganzes Leben lang

Außerdem im neuen ballesterer ...

FUSSBALL IST KEIN KAMPF

Ein Anstoß in Erinnerung an Ivan Osim

VON SARAJEVO BIS ICHIHARA

Die Mannschaften des Ivan Osim

ERFOLGE FÜR DIE UNENDLICHKEIT

Die Formeln des Ivan Osim

VEILCHEN MIT WACHSTUMSSCHUB

Braunöder, Jukic und Vucic im Gespräch

PASCHING IST NICHT PALERMO

Die LASK-Fans und der rosarote Sponsor

"ES GIBT KEINEN DRUCK"

Thomas Silberberger über Neuanfänge

WURZELN SCHLAGEN

Saisonstart bei den Oakland Roots

ZEMENT ANRÜHREN

Die Geschichte von Cruz Azul

BERLINER ROT-WEISSE

Frau Kupfer und ihr Verein

CHRONISTEN DER KURVE

"Tornados Rapid" über ihre Medien

GEZEICHNET FÜRS LEBEN

Sankt Pöltens Lino Kasten und seine Tattoos

GROUNDHOPPING

Matchberichte aus Deutschland, England, Schottland und Spanien

Ernst Happel hatte mit Feyenoord gerade den Landesmeistercup und den Weltpokal gewonnen, dachte aber schon weiter. Er wollte seine Mannschaft umbauen und hatte für die rechte Außenbahn Jürgen Grabowski von Eintracht Frankfurt im Auge. Der 26-Jährige hatte bei der WM 1970 den Durchbruch geschafft. "Am Geld soll es jedenfalls nicht scheitern", sagte Happel am Rande eines Freundschaftsspiels der Rotterdamer in Frankfurt. Eine Million Gulden soll der Klub zu zahlen bereit gewesen sein.

Auch Grabowski war interessiert. Doch Happels Spieler hatten etwas dagegen. Der Deutsche hätte Henk Wery den Platz streitig gemacht. Und so ließen Kapitän Willem van Hanegem sowie die Verteidiger Rinus Israel und Theo Laseroms Grabowski 90 Minuten lang spüren, dass Rotterdam kein gutes Pflaster für ihn wäre. Er blieb in Frankfurt.

Nachwehen des Krieges

Diese Anekdote steht symbolisch für das Verhältnis Feyenoords zu deutschen Spielern. Lange prägte das Trauma von Krieg und Besatzung die Sicht. Am 14. Mai 1940 griff die deutsche Luftwaffe Rotterdam an und zerstörte das Zentrum der Stadt. Die Niederlande kapitulierten, um weiteren Orten dieses Inferno zu ersparen. All das war 30 Jahre später noch nicht vergessen. Für van Hanegem kam sein persönliches Schicksal hinzu. Er hatte seinen Vater, seine Schwester und zwei Brüder verloren.

"Jedes Match gegen deutsche Spieler macht mich wütend", zitiert ihn David Winner in seinem Buch "Oranje brillant". "Die Abneigung gegen die Deutschen war lange ein starkes Gefühl in Rotterdam", sagt auch Historiker Wim Bot. "Teils ist sie das noch heute." Spiele gegen deutsche Klubs waren häufig von gewalttätigen Auseinandersetzungen begleitet. Als Feyenoord im Vorjahr auf Union Berlin traf, wurde eine Delegation der Berliner in einem Rotterdamer Restaurant angegriffen.

Ernst Happel wird auf Schultern getragen.
Foto: Bert Verhoeff (Anefo); Nationaal Archief CC0

Die Zahl der deutschen Spieler bei Feyenoord ist gering. Im Sommer 1970 kam der gebürtige Dortmunder Matthias Maiwald von DOS Utrecht, hinterließ aber kaum Spuren. Danach sollte es mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis 1981 mit Josef Kaczor der erste deutsche Bundesliga-Profi vom VfL Bochum zu Feyenoord wechselte. "Ich habe mich direkt wohl gefühlt", sagt Kaczor dem ballesterer.

Er wohnte unweit des Stadions, fuhr mit dem Fahrrad zum Training, spielte international und schoss 14 Tore in 39 Spielen. Anfeindungen habe er keine erlebt. Nur einmal sei es brisant geworden, beim Auswärtsspiel in Amsterdam. "Da haben wir uns im Mannschaftsbus auf den Boden legen müssen, weil wir mit Steinen beworfen worden sind." Nach einer Saison war Kaczors Gastspiel mit Auslaufen seines Vertrags wieder vorbei.

Kaczor ist bis heute der letzte Deutsche bei Feyenoord, Österreicher prägten den Klub hingegen schon früh. Als Happel 1969 kam, war er bereits der vierte österreichische Trainer. Den Anfang machte 1935 Richard Kohn, genannt "Little Dombi", kleine Eminenz. Der 1888 in Wien geborene Kohn führte den FC Bayern 1932 als Trainer zum ersten Meistertitel. 1933 floh er vor den Nazis in die Schweiz und kam über Basel nach Rotterdam. Bei Feyenoord blieb er bis zur Besatzung durch die Deutschen 1940 und gewann zwei Meisterschaften. Zudem war er als Masseur und Physiotherapeut im Einsatz.

Mancher soll nicht wegen der Aussicht auf Titel nach Rotterdam gewechselt sein, sondern weil er sich beim "Wunderdoktor" in den besten Händen wähnte. In den 1950er Jahren trainierte Kohn Feyenoord noch zweimal und rettete den Klub 1954 vor dem Abstieg, 1963 starb er in Rotterdam. "Vom Himmel gesandt wurde uns der größte Trainer, der jemals in den Niederlanden tätig war", heißt es in einer Vereinschronik aus dieser Zeit über ihn. "Er war es, der Feyenoord eigentlich erst gelehrt hat, Fußball zu spielen."

In den 1960er Jahren folgten Franz Fuchs und Wilhelm Kment, der mit Feyenoord erstmals das Double gewann. Doch erst Happel sollte den Klub an die europäische Spitze führen. Franz Hasil, den Happel von Schalke geholt hatte, lenkte das Spiel im Mittelfeld so geschickt, dass er später zum Ehrenbürger der Stadt ernannt und zum besten Legionär des 20. Jahrhunderts in den Niederlanden gekürt wurde. Aber anfangs hatte er es schwer, sich zu behaupten. "Es gab nur ganz wenige Legionäre, und die einheimischen Spieler haben das schon so gesehen, dass ihnen ein Platz weggenommen wurde", sagte Hasil 2017 dem Standard. "In Rotterdam war es außerdem nicht so gut, wenn du Deutsch gesprochen hast."

Lehrer und Cagefighter

Auch Willi Kreuz musste sich eingewöhnen, als er 1974 von Sparta Rotterdam zum Stadtrivalen wechselte. "Bei Sparta war alles familiär, wir haben vor 18.000 Zuschauern gespielt. Bei Feyenoord sind allein schon zum Fototermin am Saisonbeginn 50.000 gekommen", sagt er dem ballesterer. Kreuz konkurrierte mit Lex Schoenmaker um den Platz im Angriff und musste sich den Respekt der Mitspieler erarbeiten.

Willi Kreuz im Dress von Feynoord Rotterdam.
Foto: Hans Peters (Anefo); Nationaal Archief CC0

"Ich habe das erste halbe Jahr keinen Ball bekommen und trotzdem 13 Tore geschossen, danach war ich akzeptiert." An die übrige Zeit hat er gute Erinnerungen. "Ich habe anfangs aber immer sagen müssen, dass ich aus Wien komme. Dann haben sie gelacht und gesagt: ‚Ah, Wiener Schnitzel!‘ Als Deutscher hätte ich wohl nie ein Zuspiel bekommen." Für Österreicher sei Rotterdam ein guter Boden, sagt Kreuz. "Hasil hat mir den Weg geebnet, ich habe es leichter gehabt als er. Und Trauner hat es nun vielleicht noch etwas leichter."

Abwehrspieler Gernot Trauner kam im vergangenen Sommer vom LASK und spielte sich auf Anhieb in die Stammformation und in die Herzen der Fans. Er verkörpert laut Journalist Mark Lievisse Adriaanse zwei Traditionen des Klubs. "Wenn man ihn vor dem Spiel sieht, denkt man, er könnte auch Mathelehrer sein. Im Spiel aber glaubt man, er sei ein Cagefighter", sagt er. "Er kann kämpfen, aber spielt auch intelligent – genau das ist es, was den Verein immer ausgemacht hat, wenn er erfolgreich war."

Selbst schlechte Erfahrungen mit Österreichern wissen die Feyenoord-Fans umzudeuten. Das zeigte sich etwa 1996. Nach dem Halbfinalausscheiden im Cup der Cupsieger gegen Rapid richtete sich der Unmut nicht gegen Happels Heimatverein, sondern gegen Carsten Jancker. Der Deutsche hatte beim 3:0 zwei Tore geschossen. (Jan Mohnhaupt, 8.6.2022)