Österreich verfolgt eine eher restriktive Politik in Sachen Zuwanderung – trotz deren positiver Effekte für rurale Gebiete.

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Mitte März hat die österreichische Bevölkerung die Neun-Millionen-Marke überschritten. Zurückzuführen ist das Bevölkerungswachstum allein auf Migration, ohne den Zuzug würde die Bevölkerung schrumpfen. Auch wenn rund 40 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund in Wien leben, sollte sich der Fokus bei der Einwanderungspolitik stärker auf ländliche Gebiete und Regionen richten, findet Marika Gruber. "Häufig ist es so, dass der ländliche Raum als Abwanderungsraum dargestellt wird", sagt sie.

Gruber ist Senior Researcher an der Fachhochschule Kärnten und forscht seit Jahren zu den Chancen und Möglichkeiten von Migration im ländlichen Raum. "Was oft übersehen wird, ist, dass Migration auch in den ländlichen Regionen stattfindet, vor allem die internationale Migration aus den unterschiedlichsten Gründen, wie die Fluchtmigration."

Landflucht

Die Landflucht macht ruralen Gegenden zu schaffen. Nicht nur dass Arbeitskräfte verlorengehen, der Bevölkerungsverlust bewirkt auf Dauer einen Rückbau der Dienstleistungsversorgung, von Postämtern, Geldautomaten, öffentlichen Veranstaltungen. Migration und gelungene Integration sind eine Möglichkeit, um diesen Gebieten wieder mehr Leben einzuhauchen.

Wie ländliche Regionen von Zuwanderung profitieren können, erforscht Marika Gruber in dem EU-weiten Projekt Matilde ("Migration Impact Assessment to Enhance Integration and Local Development in European Rural and Mountain Areas"). Neben Österreich sind neun weitere Länder beteiligt, in denen seit 2020 insgesamt 13 Fallstudien zu sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Zuzugs von Drittstaatsangehörigen in rurale und Bergregionen durchgeführt worden sind. In Österreich werden in Vorarlberg die Gemeinden Frastanz, Schruns und Innerbraz sowie in Kärnten die Stadt Villach und Umland untersucht.

Wichtige Faktoren, warum sich Zuwanderer aus Drittstaaten in diesen Gegenden niederlassen, sind laut den Ergebnissen des Projekts die Möglichkeiten der Mobilität und das öffentliche Verkehrsnetz, oder das Vorhandensein bestimmter Industrien und damit Arbeitsplätze, für die sie geeignete Qualifikationen mitbringen.

Bildung und Kinderbetreuung

Wichtig seien außerdem Weiterbildungsmöglichkeiten und Kinderbetreuungsplätze, die es vor allem immigrierten Frauen ermöglichen, Deutschkurse zu besuchen und am sozialen Leben teilzunehmen. Sinnvoll sei es auch, Zuwanderung gleichmäßig auf Gemeinden aufzuteilen.

Die Fallstudie in Vorarlberg zeichnet beispielsweise aus, dass jede Vorarlberger Gemeinde 2015 zur Aufnahme von Flüchtlingen verpflichtet wurde. Einerseits würde eine gleichmäßige Verteilung von Zuwanderern eine Entlastung für größere Städte bedeuten, meint Marika Gruber, in denen sich aufgrund hoher Einwanderungszahlen schneller geschlossene Communitys bilden.

"Andererseits wäre eine ausgewogenere Verteilung insofern gut, als im ländlichen Raum die Wohnraumkapazitäten eher vorhanden sind", sagt Gruber. Einfamilienhäuser könnten dort in Zukunft weniger genutzt werden, wenn ältere Bewohner, deren Kinder in vielen Fällen schon weggezogen sind, pflegebedürftig werden.

Schule und Sprache

"Das Bundesland Kärnten ist dabei, Bevölkerung zu verlieren. Die Stadt Villach hat hingegen in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein sehr positives Wachstum aufgewiesen", sagt Kristijan Miksche, Integrationsbeauftragter der Stadt, die Kooperationspartner der Kärntner Fallstudie ist. Auch dieses Wachstum basiere stark auf Zuwanderung.

Herausforderungen würden sich dadurch in den Schulen und im Bereich Sprache ergeben, jedoch sei Diversität für die Wirtschaft und Gesellschaft in Villach ein "Stabilitäts garant", wie Miksche sagt. Vor allem die Hightech-Industrie, die sich zunehmend ansiedelt, ziehe Fachkräfte aus dem Ausland an und baue auf Diversität.

Die 60.000-Einwohner-Stadt ist auch die einzige im Bundesland mit einem Integrationsbüro, dabei sind gerade solche spezialisierten Strukturen in zweierlei Weise wichtig. Vereine und Institutionen, die aufgrund der Zuwanderung entstehen und sich um kulturelle Kommunikation oder Integration bemühen, stellen einerseits ein neues Beschäftigungsfeld für die Bevölkerung dar. Anderseits sind "Brückenbauer", wie Marika Gruber sie bezeichnet, ein wichtiger Faktor für die soziale Integration und für ein Zusammenkommen der Kulturen.

Restriktive Integrationspolitik

Auf nationaler Ebene wird Österreich eine restriktive Integrationspolitik vom Projekt attestiert, die Zuwanderern im Vergleich zu ande ren teilnehmenden Ländern sehr stark Pflichten und Verantwortung auferlegt. Integration wird hierzulande an Arbeit und Sprachkenntnisse geknüpft. "Was man in Österreich feststellen kann, ist ein vorherrschendes Leistungsparadigma", sagt Marika Gruber. "Wir haben in den Interviews von Migrantinnen und Migranten immer wieder von dem Gefühl gehört, mehr leisten zu müssen als die ansässige Bevölkerung, aber immer wieder auch auf Hürden zu stoßen."

Finnland formuliere in seiner Integrationsstrategie zum Beispiel ein positives Ver ständnis vom Integrationsprozess, der Hilfe und Unterstützung der ganzen Gesellschaft benötigt, was die Zustimmung zu Zuwanderung steigern könne. "Die Grundstimmung, die von der österreichischen Bundespolitik verbreitet wird, sich abschotten und Zäune errichten zu müssen, bewirkt große Verunsicherung und Angst in der Bevölkerung", sagt Gruber.

Starre Strukturen brechen auf

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse des Projekts Matilde, dass Zuwanderung auf die Standortentwicklung ländlicher Gebiete positive Effekte hat, sofern eine offene Gesellschaft und Wirtschaft das Potenzial der zugewanderten Menschen fördert und nutzt. Die sozial eher geschlossene Struktur "Land" bricht auf, wenn engagierte Bürgerinnen und Bürger sich um ein Zusammenkommen der Kulturen bemühen.

Trotz messbarer positiver Effekte würden aber vielerorts weiterhin Ressentiments gegen Geflüchtete und Migranten gehegt, die sich sowohl am Arbeitsmarkt als auch im privaten Umfeld bemerkbar machen. "Auch in früheren Projekten haben Migrantinnen und Migranten erzählt: ‚Weiter als zur Türschwelle kommst du nicht.‘ Es dauert lange, bis man in Österreich von Einheimischen eingeladen wird", sagt Gruber. (Sarah Kleiner, 11.6.2022)