Der russische Außenminister Sergej Lawrow reagierte sichtlich wütend, weil er am Montag nicht wie geplant nach Belgrad fliegen konnte, um dort den serbischen Staatschef Aleksandar Vučić zu treffen. Serbiens Nachbarstaaten Nordmazedonien, Montenegro und Bulgarien hatten nämlich dem Regierungsflieger aus Moskau die Überfluggenehmigung verweigert. "Das Undenkbare ist passiert", sagte Lawrow und warf Brüssel vor, dem souveränen Staat Serbien das Recht zu nehmen, seine eigene Außenpolitik zu verfolgen.

Es werde aber niemandem gelingen, die Beziehungen zwischen Russland und Serbien zu zerstören, führte er aus und kritisierte den US-Botschafter in Belgrad, Christopher Hill, der gemeint hatte, dass sich Serbien zwischen dem Osten und dem Westen entscheiden müsse. "Es sollte Wahlfreiheit bezüglich der Partner geben", so Lawrow. Der russische Außenminister kündigte zudem an, dass der serbische Außenminister Nikola Selaković bald nach Moskau fliegen werde.

Wollten einander in Belgrad treffen, klappte aber aufgrund der Sperre des Luftraums für die russische Maschine nicht: der russische Außenminister Sergej Lawrow und Serbiens Staatschef Aleksandar Vučić.
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Unterdessen drohte der Leiter der russischen Luft- und Raumfahrtbehörde Roskosmos Dmitri Rogozin unverhohlen auf Twitter mit einem Angriff der russischen Rakete Sarmat: "Weißt du, wofür die Sarmat gut ist? Sie wird die feigen Bulgaren, die rachsüchtigen Rumänen und die Montenegriner, die unsere gemeinsame Geschichte verraten haben, nicht um Erlaubnis bitten."

Opferrolle für Vučić

Vučić nahm die Opferrolle ein, bezichtigte andere Europäer der Hysterie und Scheinheiligkeit und fragte, wieso es einigen EU-Politikern erlaubt sei, Putin zu besuchen, Belgrad aber nicht mit Moskau kommunizieren solle. Offensichtlich wolle man Serbien "treffen", weil man gegen Russland nichts ausrichten könne, so Vučić. Der Staatschef betonte, dass Serbien seine Politik der unabhängigen Entscheidungsfindung beibehalten werde, allerdings müsse das Land sich auf seinem europäischen Weg beeilen.

Diese Botschaft sollte wohl auch ein Signal an Deutschland sein. Denn der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz wird am Freitag Vučić in Belgrad besuchen. In Berlin hegt man die Hoffnung, dass Serbien sich künftig klarer prowestlich positionieren werde. Unter Diplomaten gibt es allerdings viel Kritik daran, dass Scholz nun Vučić aufsucht, obwohl Serbien sich als einziger Staat in der Region nicht den EU-Sanktionen gegen den Kreml angeschlossen hat. Für Unverständnis sorgt auch, dass Scholz nicht eher einen prowestlich ausgerichteten Staat wie Nordmazedonien besucht.

Offensichtlich ist jedenfalls, dass Berlin sehr verärgert darüber war, dass in der gleichen Woche, in der der Kanzler-Besuch angesetzt war, plötzlich auch Lawrow kommen wollte. Sogar eine Absage der Scholz-Visite stand im Raum. Dabei ist der Ost-West-Schaukelkurs ganz typisch für Vučić. In den vergangenen Jahren wurde zeitnah zu einem Treffen mit Angela Merkel stets ein Treffen mit Putin einberaumt.

Serbien ist seit vielen Jahren das einzige Land in Südosteuropa, das die westliche Politik nicht mitträgt, sondern ähnlich wie früher Jugoslawien unter Staatschef Tito einen Zickzackkurs zwischen dem Westen einerseits sowie Russland und China andererseits betreibt und dabei von allen Seiten profitiert. In den vergangenen Jahren nahm Serbien vor allem eine prochinesische Haltung ein. China wird von Vučić stets gepriesen, zur EU gibt es innerhalb Serbiens vor allem Kritik.

Gefährlicher Einfluss

Wegen des Kriegs gegen die Ukraine gerät Vučićs Schlingerkurs jetzt aber selbst ins Schlingern. Denn vor allem in Berlin, Washington und London hat man erkannt, wie gefährlich der russische Einfluss auf dem Balkan ist. Serbien wird dafür kritisiert, dass es seine Energiepolitik nicht ändert und Flugverbindungen nach Russland aufrechterhält. Zudem gibt es zahlreiche Diskussionen über eine stärkere Westanbindung aller Staaten in Südosteuropa, die nicht Teil der Nato und der EU sind.

Sichtbare Ambivalenzen in Serbien: Ein Wandgemälde in Belgrad, auf dem Putin als "Bruder" gepriesen wird, wurde jüngst übersprüht. Nun rinnt "Blut" aus seinen Augen.
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Auch Österreich hat sich in die Debatte eingeklinkt. In einem Non-Paper schlägt das Außenamt eine stufenweise Integration in die EU, zunächst in den gemeinsamen Markt vor. Das allerdings dürfte vor allem die Montenegriner, Kosovaren und Mazedonier, die einen Vollbeitritt wollen, vor den Kopf stoßen. Auch die wichtigsten Themen in der Region – Demokratisierung und mehr Rechtsstaatlichkeit – würden bei einer bloßen Integration in den EU-Markt hintangestellt.

Die serbische Regierung könnte im Gegensatz zu den anderen aber an dem österreichischen Vorschlag gefallen finden. Vučić selbst wies erst kürzlich darauf hin, dass mehr Leute in Serbien gegen einen EU-Beitritt seien als dafür. Unlängst hat er einen Gas-Deal mit dem Kreml verlängert, der Serbien Lieferungen zu einem sehr günstigen Preis sichert. Er meinte, er glaube nicht an Sanktionen, und 77 Prozent der Bevölkerung seien ebenfalls gegen Strafmaßnahmen gegen den Kreml. Tatsächlich unterstützen viele Leute wegen der jahrzehntelangen Propaganda in Serbien Putin und seine Politik. (Adelheid Wölfl, 7.6.2022)