Es wird zwar keinen einheitlichen Mindestlohn in Europa geben, dafür aber einheitliche Kriterien für alle EU-Länder.

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Wien – Der Kompromiss, auf den sich EU-Staaten und Europaparlament in Brüssel am Dienstag geeinigt haben, erfreut Gewerkschafter in ganz Europa. Die EU bekommt zwar keinen einheitlichen Mindestlohn, wohl aber homogene Standards zur Überprüfung und Anpassung derselben, die in sämtlichen EU-Staaten alle zwei Jahre durchgeführt werden müssen. "Good News für Millionen Arbeitnehmerinnen in Europa", meint dazu Wolfgang Katzian, Chef des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB).

Doch nicht nur auf EU-Ebene tut sich etwas in Sachen Mindestlohn, auch im wirtschaftlich bedeutendsten Mitgliedsstaat Deutschland. Im Berliner Bundestag erfüllten SPD, FDP, Grüne und Linke am Freitag eines der zentralen Wahlkampfversprechen des nunmehrigen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD). Der gesetzliche Mindestlohn wird mit Oktober auf zwölf Euro pro Stunde erhöht. Derzeit beträgt der deutsche Mindestlohn 9,82 Euro pro Stunde; mit 1. Juli steigt die Lohnuntergrenze nach geltendem Recht auf 10,45 Euro. Von der nun beschlossenen Erhöhung auf zwölf Euro erhoffen sich die Befürworter, dass sie die finanzielle Lage von Millionen Deutschen deutlich verbessern wird.

Größter Lohnsprung

Laut Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kommt dies etwa sechs Millionen Menschen zugute. Das sei "möglicherweise der größte Lohnsprung im Leben von 22 Prozent der Bevölkerung", sagte Heil.

Es gibt aber auch Kritik – und zwar sowohl aus Arbeitgeber- als auch aus Arbeitnehmerperspektive. Die deutschen Arbeitgeberverbände verweisen auf den seit langem praktizierten Modus, dass die Festsetzung der Mindestlöhne einer sogenannten Mindestlohnkommission obliegt, statt Angelegenheit von Politikern und Gesetzen zu sein. Von dieser Vorgangsweise gehe man ab, kritisiert Rainer Dulger, Präsident der Vereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), in der Welt. "Die Bundesregierung hält sich nicht an die Absprachen von 2015, als mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns die Mindestlohnkommission gegründet wurde."

Es gibt auch Kritik

Deutsche Arbeitnehmer wiederum kritisieren, dass der Mindestlohn ein Stück weit Alibipolitik bleibe. Denn bei schlecht bezahlten und prekär beschäftigten Arbeitskräften werde oft bei der Arbeitszeiterfassung getrickst; da helfen großzügige Mindestlöhne auch nichts.

Und Österreich? Einen gesetzlich fixierten Mindestlohn gibt es hierzulande zwar nicht – wohl aber sind in Österreich, anders als in Deutschland, die allermeisten Arbeitnehmer vom Regime der Kollektivverträge (KV) erfasst. Das bedeutet: Wirtschaftskammer und Gewerkschaften einigen sich jährlich auf die Löhne und deren Erhöhung. Wenn man so will, läuft dies ebenfalls auf Mindestlöhne hinaus – wenn sie auch nicht gesetzlich verankert und je nach Branche unterschiedlich sind.

Bis zur Umsetzung dauert es noch

Die deutsche Ampelregierung aus SPD, FDP und Grünen wünscht sich österreichische Verhältnisse ein Stück weit auch für Deutschland. Konkret hat die Regierung ein sogenanntes Tariftreuegesetz angekündigt. Ziel: Berlin will, dass mehr Unternehmen nach Tarifverträgen bezahlen, dem deutschen Pendant zu Österreichs KV. "Wir werden dafür sorgen, dass Aufträge des Bundes zukünftig nur an Unternehmen gehen, die nach Tarif bezahlen", sagt SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil.

Was das neue Regime der Mindestlöhne in der EU betrifft, muss der Kompromiss jetzt noch offiziell abgesegnet werden; danach haben die EU-Staaten zwei Jahre Zeit, ihn in nationales Recht zu gießen. In Österreich jedoch wird sich aufgrund des besagten KV-Systems kaum etwas ändern. Nur einige Arbeitnehmer aus dem Ausland, die dortigem Recht unterliegen, werden die neuen Regeln zu spüren bekommen. Für den großen Rest gilt, was ÖGB-Chef Katzian sagt: "Österreich wird als KV-Weltmeisterland unmittelbar gar nicht betroffen sein." (Joseph Gepp, 7.6.2022)